Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
aber auch dieß hält die Phantasie von ihrem schönen Verdoppeln nicht 2. Wenn aus dieser Beziehung zu umgebendem Raume, sei er ein Vischer's Aesthetik. 3. Band. 26
aber auch dieß hält die Phantaſie von ihrem ſchönen Verdoppeln nicht 2. Wenn aus dieſer Beziehung zu umgebendem Raume, ſei er ein Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 26
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aber auch dieß hält die Phantaſie von ihrem ſchönen Verdoppeln nicht
ab und der Gott in voller Kunſt-Erſcheinung ſchaut ſich nun um im
Schauplatze ſeines Wirkens, Poſeidon thront am Meere, Diana wohnt
im Haine und Athene überſchaut freundlich ſchützend, dem Feinde feindlich
ihr geliebtes Attika mit den heiligen Oelwäldern, die ſie ſelbſt gepflanzt.
Untergeordnete Genien, die nicht ebenſo wie die hohen Götter aus Na-
turgeiſtern zu ſittlichen Weſen erhöht ſind, finden ihre Stätte noch beſtimm-
ter in Hainen, Wäldern, Gärten, an Quellen, Flüſſen. Werden nun die
höheren Weſen in ihrer ethiſchen und politiſchen Bedeutung gefaßt, ſo
führt dieß entweder zur Aufſtellung im Tempel, wovon wir ſchon geſpro-
chen, oder in einer geöffneten architektoniſchen Umgebung, und der Sinn
der letzteren Aufſtellung iſt derſelbe wie der landſchaftlichen: Ackerbau,
Gewerbfleiß, Handel, Geſittung, Geſetz, Recht, Krieg, Staat ſind im
Gotte repräſentirt, dieß überſetzt die Phantaſie in die Vorſtellung, er habe
ſie gegründet und regiere ſie, und die Kunſt errichtet nun ſein Bild am
Hauſe des Gerichts, der Erziehung, den Hallen des Markts, auf der
Burg; er iſt da im Seinigen zu Hauſe, ſchaut ſich um und ebenſoſehr
bleibt er ſelbſtgenugſam in ſich und iſt das Alles ſelbſt. So nun auch
der Heros, der ausgezeichnete Menſch in ſeiner ethiſchen, nationalen Be-
deutung: als Sculpturbild iſt er verewigt und über den Schauplatz ſeines
Wirkens unendlich hinweggehoben, aber die reine Geſtalt verläßt ihren
Himmel, verweilt freundlich in den Straßen, Plätzen, wo ſie gewirkt; der
Krieger hütet Burg und Zeughaus, der Dichter ſtellt ſich am Theater,
der Künſtler am Kunſtgebäude, der Richter am Hauſe der Gerechtigkeit
auf; die Errichtung von Standbildern in Sälen öffentlicher Paläſte kann zu
dieſer nicht geſchloſſenen Aufſtellung gezogen werden, das Heroon iſt es
eigentlich, was hier dem Tempel entſpricht. Die beſondere Art der Kämpfe
und Leiden eines durch die Sage gefeierten Menſchen mag aber auch zur
landſchaftlichen Aufſtellung führen und der vertraute Geiſterbeſuch kann
ohne Verletzung jener idealen Raumloſigkeit ſelbſt ſo eng auf die wirk-
liche Natur bezogen ſein, wie jenes Bild des Narciſſus, das an die
wirkliche Quelle geſtellt in ihrem Spiegel ſich zu beſchauen ſchien.
2. Wenn aus dieſer Beziehung zu umgebendem Raume, ſei er ein
natürlicher oder geöffnete Architektur oder das Innere eines Tempels, die
Relativität der Größenverhältniſſe für die Plaſtik von ſelbſt ſich ergibt,
ſo muß ſich doch in dieſen die Nachbarſchaft der Baukunſt, ihr Herüber-
wirken in die Bildnerkunſt auch abgeſehen von der äußern Beziehung
prinzipiell geltend machen; die verewigende, monumentale Natur, welche
ſie mit jener gemein hat, muß alle Formen ſtrecken und erhöhen und der
Menſch in ihrem Werke gleicht dem Odyſſeus, welchen, da er aus dem
Bade ſtieg, Athene höher an Geſtalt und völliger ſchuf. Unſer Auge
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