sie ist gerade durch das Aufgeben der schweren Materialität ebensosehr vollerer Schein, führt zur streng realen Bedingtheit des Daseins und weist daher jene mythische Abbreviatur ab, welche im Alterthum und Mittelalter als eine geglaubte noch concret war, in der neuern Zeit durch die auflösende Kraft der Kritik zur Abstraction der Allegorie sich erkältet hat. Dieß mußte beim Colorit schon berührt werden (§. 674 Anm.). Die Geschichte unserer Kunst wird erst in voller Klarheit zeigen, wie ihr inneres Gesetz sie trieb, das Mythische immer inniger in das menschlich Vetrauliche, ganz real Bedingte hereinzuführen, bis die Einsicht sich auf- drängte, daß dieses Gesetz andere Stoffe, d. h. die ursprüngliche Stoff- welt verlange. Gerade die Sculptur ist es vielmehr, die wir durchaus als Götterbildende Kunst kennen gelernt haben. Was nun die eigentli- lichen Allegorien betrifft, d. h. (um von unbeseelten Objecten hier abzu- sehen) sinnbildliche Personen und Handlungen solcher Personen, welche niemals streng zu den mythischen Wesen gehörten, sondern schon in der mythischen Zeit zwischen geglaubter Existenz und bewußter bloßer Gedan- kenhaftigkeit schwebten, oder welche sogar vom Einzelnen neu erfunden werden ohne weiteren Anspruch auf Wärme der Illusion, so mag es auch hier im Einzelnen geschehen, daß der Künstler durch innige Versetzung in die verklungene Form der Phantasie, welche mehr, als Allegorien, welche Götter und Geister schuf, ihnen einen mystischen Anflug, traumhaften Le- benshauch zu geben vermag, im Ganzen aber bleiben solche Bildungen doch in der Malerei viel unwahrer, als in der Bildnerkunst. Dagegen die Skizze, wie sie überhaupt das plastische Moment in der Malerei für sich fixirt, bewegt sich hierin freier, willkührlicher. Ebenso in der Farben- Ausführung die Freske gegenüber der Oelmalerei, denn sie führt die Erscheinungen nicht so innig in die volle Wärme des Lebensscheins herein, der die Wolkengebilde einer zweiten Stoffwelt durch die Kraft seiner Realität tödtet. Es ist die Ausführung mit allen Farbenmitteln in der Fülle des Scheins, was gegen Kaulbach's Zerstörung Jerusalems (das Staffelei-Bild) die Kritik herausgefordert hat, vorzüglich an diesem Werke zu zeigen, wie das Nebeneinander des geschichtlich Wirklichen und des theils Mythischen, theils Allegorischen sich gegenseitig todtschlägt und die Einheit zerreißt. So viel über die eine der oben unterschiedenen zwei Seiten. Die Freske ist es nun, welche uns zugleich auf die andere Seite der malerischen Darstellung führt. Sie benützt das Moment der Feßlung des Scheins an eine Fläche zur Ueberkleidung großer Räume. Dieß Moment ist es, was naturgemäßer zur gedankenhaften Darstellung führt, denn die umfassenden cyklischen Entfaltungen einer Idee, welche sich hier darbieten, können mindestens zur Verknüpfung und Zusammenfassung den Mythus und die Allegorie kaum entbehren. Hier mag denn die Wand-
ſie iſt gerade durch das Aufgeben der ſchweren Materialität ebenſoſehr vollerer Schein, führt zur ſtreng realen Bedingtheit des Daſeins und weist daher jene mythiſche Abbreviatur ab, welche im Alterthum und Mittelalter als eine geglaubte noch concret war, in der neuern Zeit durch die auflöſende Kraft der Kritik zur Abſtraction der Allegorie ſich erkältet hat. Dieß mußte beim Colorit ſchon berührt werden (§. 674 Anm.). Die Geſchichte unſerer Kunſt wird erſt in voller Klarheit zeigen, wie ihr inneres Geſetz ſie trieb, das Mythiſche immer inniger in das menſchlich Vetrauliche, ganz real Bedingte hereinzuführen, bis die Einſicht ſich auf- drängte, daß dieſes Geſetz andere Stoffe, d. h. die urſprüngliche Stoff- welt verlange. Gerade die Sculptur iſt es vielmehr, die wir durchaus als Götterbildende Kunſt kennen gelernt haben. Was nun die eigentli- lichen Allegorien betrifft, d. h. (um von unbeſeelten Objecten hier abzu- ſehen) ſinnbildliche Perſonen und Handlungen ſolcher Perſonen, welche niemals ſtreng zu den mythiſchen Weſen gehörten, ſondern ſchon in der mythiſchen Zeit zwiſchen geglaubter Exiſtenz und bewußter bloßer Gedan- kenhaftigkeit ſchwebten, oder welche ſogar vom Einzelnen neu erfunden werden ohne weiteren Anſpruch auf Wärme der Illuſion, ſo mag es auch hier im Einzelnen geſchehen, daß der Künſtler durch innige Verſetzung in die verklungene Form der Phantaſie, welche mehr, als Allegorien, welche Götter und Geiſter ſchuf, ihnen einen myſtiſchen Anflug, traumhaften Le- benshauch zu geben vermag, im Ganzen aber bleiben ſolche Bildungen doch in der Malerei viel unwahrer, als in der Bildnerkunſt. Dagegen die Skizze, wie ſie überhaupt das plaſtiſche Moment in der Malerei für ſich fixirt, bewegt ſich hierin freier, willkührlicher. Ebenſo in der Farben- Ausführung die Freske gegenüber der Oelmalerei, denn ſie führt die Erſcheinungen nicht ſo innig in die volle Wärme des Lebensſcheins herein, der die Wolkengebilde einer zweiten Stoffwelt durch die Kraft ſeiner Realität tödtet. Es iſt die Ausführung mit allen Farbenmitteln in der Fülle des Scheins, was gegen Kaulbach’s Zerſtörung Jeruſalems (das Staffelei-Bild) die Kritik herausgefordert hat, vorzüglich an dieſem Werke zu zeigen, wie das Nebeneinander des geſchichtlich Wirklichen und des theils Mythiſchen, theils Allegoriſchen ſich gegenſeitig todtſchlägt und die Einheit zerreißt. So viel über die eine der oben unterſchiedenen zwei Seiten. Die Freske iſt es nun, welche uns zugleich auf die andere Seite der maleriſchen Darſtellung führt. Sie benützt das Moment der Feßlung des Scheins an eine Fläche zur Ueberkleidung großer Räume. Dieß Moment iſt es, was naturgemäßer zur gedankenhaften Darſtellung führt, denn die umfaſſenden cykliſchen Entfaltungen einer Idee, welche ſich hier darbieten, können mindeſtens zur Verknüpfung und Zuſammenfaſſung den Mythus und die Allegorie kaum entbehren. Hier mag denn die Wand-
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ſie iſt gerade durch das Aufgeben der ſchweren Materialität ebenſoſehr
vollerer Schein, führt zur ſtreng realen Bedingtheit des Daſeins und
weist daher jene mythiſche Abbreviatur ab, welche im Alterthum und
Mittelalter als eine geglaubte noch concret war, in der neuern Zeit durch
die auflöſende Kraft der Kritik zur Abſtraction der Allegorie ſich erkältet
hat. Dieß mußte beim Colorit ſchon berührt werden (§. 674 Anm.).
Die Geſchichte unſerer Kunſt wird erſt in voller Klarheit zeigen, wie ihr
inneres Geſetz ſie trieb, das Mythiſche immer inniger in das menſchlich
Vetrauliche, ganz real Bedingte hereinzuführen, bis die Einſicht ſich auf-
drängte, daß dieſes Geſetz andere Stoffe, d. h. die urſprüngliche Stoff-
welt verlange. Gerade die Sculptur iſt es vielmehr, die wir durchaus
als Götterbildende Kunſt kennen gelernt haben. Was nun die eigentli-
lichen Allegorien betrifft, d. h. (um von unbeſeelten Objecten hier abzu-
ſehen) ſinnbildliche Perſonen und Handlungen ſolcher Perſonen, welche
niemals ſtreng zu den mythiſchen Weſen gehörten, ſondern ſchon in der
mythiſchen Zeit zwiſchen geglaubter Exiſtenz und bewußter bloßer Gedan-
kenhaftigkeit ſchwebten, oder welche ſogar vom Einzelnen neu erfunden
werden ohne weiteren Anſpruch auf Wärme der Illuſion, ſo mag es auch
hier im Einzelnen geſchehen, daß der Künſtler durch innige Verſetzung in
die verklungene Form der Phantaſie, welche mehr, als Allegorien, welche
Götter und Geiſter ſchuf, ihnen einen myſtiſchen Anflug, traumhaften Le-
benshauch zu geben vermag, im Ganzen aber bleiben ſolche Bildungen
doch in der Malerei viel unwahrer, als in der Bildnerkunſt. Dagegen
die Skizze, wie ſie überhaupt das plaſtiſche Moment in der Malerei für
ſich fixirt, bewegt ſich hierin freier, willkührlicher. Ebenſo in der Farben-
Ausführung die Freske gegenüber der Oelmalerei, denn ſie führt die
Erſcheinungen nicht ſo innig in die volle Wärme des Lebensſcheins herein,
der die Wolkengebilde einer zweiten Stoffwelt durch die Kraft ſeiner
Realität tödtet. Es iſt die Ausführung mit allen Farbenmitteln in der
Fülle des Scheins, was gegen Kaulbach’s Zerſtörung Jeruſalems (das
Staffelei-Bild) die Kritik herausgefordert hat, vorzüglich an dieſem Werke
zu zeigen, wie das Nebeneinander des geſchichtlich Wirklichen und des
theils Mythiſchen, theils Allegoriſchen ſich gegenſeitig todtſchlägt und die
Einheit zerreißt. So viel über die eine der oben unterſchiedenen zwei
Seiten. Die Freske iſt es nun, welche uns zugleich auf die andere Seite
der maleriſchen Darſtellung führt. Sie benützt das Moment der Feßlung
des Scheins an eine Fläche zur Ueberkleidung großer Räume. Dieß
Moment iſt es, was naturgemäßer zur gedankenhaften Darſtellung führt,
denn die umfaſſenden cykliſchen Entfaltungen einer Idee, welche ſich hier
darbieten, können mindeſtens zur Verknüpfung und Zuſammenfaſſung den
Mythus und die Allegorie kaum entbehren. Hier mag denn die Wand-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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