Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
kein Wort; wir sagen etwa: das fühlt sich so öde, so hart, so schwül, so Vischer's Aesthetik. 3. Band. 43
kein Wort; wir ſagen etwa: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 43
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0157" n="649"/> kein Wort; wir ſagen etwa: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo<lb/> dämmernd, ſo feucht, aber wir ſind uns bewußt, wie ungenügend wir den<lb/> Zuſtand bezeichnen. Nur ſo viel iſt gewiß: der Maler, deſſen Landſchaft<lb/> nicht ſo auf uns wirkt, daß uns irgendwie <hi rendition="#g">zu Muthe wird</hi>, hat<lb/> nichts geleiſtet. Dieß iſt nun ganz wie in der Muſik, wo unſer Herz<lb/> voll iſt und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der<lb/> Lyrik, wenn man von dem beſtimmteren Inhalt abſieht und nur das<lb/> Tönen und Weben der Empfindung in’s Auge faßt, das durch ein Gedicht<lb/> geht. Es iſt ein äſthetiſcher Fehler, wenn der Künſtler, damit nicht zu-<lb/> frieden, beſtimmte Gedanken mit ſichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land-<lb/> ſchaft andeutet, wie z. B. Leſſing in ſeinem winterlichen Kirchhofe, ja<lb/> ſelbſt Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen ſo behandelt,<lb/> daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, ſymboliſchem Finger-<lb/> zeig auf die Geſchichte hingewieſen wird: man fühlt die Abſicht und wird<lb/> dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin-<lb/> dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen<lb/> und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben iſt. Dieß führt<lb/> auf das Poſitive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenſtimmung<lb/> geſagt ſein ſoll. Hierüber iſt jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt;<lb/> dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erſte lebendige Individuum in<lb/> der Natur, ſcheint ſie dem ahnenden Menſchen, welcher ſeine Empfindungen<lb/> der unbeſeelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt beſtimmteren<lb/> Anhalt für dieſes Leihen. In §. 654 iſt gezeigt, wie dieſe pſychiſche Be-<lb/> dingung in der Auffaſſungsweiſe der Malerei nun eintritt. Auch in den<lb/> Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 iſt der innere Vorgang dargeſtellt:<lb/> wir fühlen wohl in dunkler Weiſe, daß das Leihen ein bloßes Leihen iſt,<lb/> aber darum geben wir es nicht auf, ſondern vollziehen nun die Vorſtellung,<lb/> als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menſchlichen<lb/> Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in ſich bärge und dennoch<lb/> in ungetrübter Objectivität und Geſetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen<lb/> des ſubjectiven Lebens wüßte, als ob ſie eine Seele ohne Seele hätte,<lb/> ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder<lb/> ein ſolches, das, wo es ſie zu theilen, in Sturm und Zerſtörung vor-<lb/> zubilden ſcheint, trotz denſelben einig mit ſich bleibt. Das iſt der Grund<lb/> unſerer ſentimentalen Beziehung auf die Natur: wir ſuchen in ihr den<lb/> noch ungetheilten Menſchen. Das Seelenleben, wie es ſich hier ge-<lb/> ſpiegelt ſieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir<lb/> epiſch genannt und man ſieht nun deutlicher, wie beide Beſtimmungen,<lb/> die des Lyriſchen und des Epiſchen, ſich vertragen. — Uebrigens leuchtet nun<lb/> ein, wie in dieſem Gebiete mit ganz beſonderer Kraft in Geltung tritt,<lb/> was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Viſcher’s</hi> Aeſthetik. 3. Band. 43</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [649/0157]
kein Wort; wir ſagen etwa: das fühlt ſich ſo öde, ſo hart, ſo ſchwül, ſo
dämmernd, ſo feucht, aber wir ſind uns bewußt, wie ungenügend wir den
Zuſtand bezeichnen. Nur ſo viel iſt gewiß: der Maler, deſſen Landſchaft
nicht ſo auf uns wirkt, daß uns irgendwie zu Muthe wird, hat
nichts geleiſtet. Dieß iſt nun ganz wie in der Muſik, wo unſer Herz
voll iſt und doch das Wort keinen Ausdruck dafür hat, oder wie in der
Lyrik, wenn man von dem beſtimmteren Inhalt abſieht und nur das
Tönen und Weben der Empfindung in’s Auge faßt, das durch ein Gedicht
geht. Es iſt ein äſthetiſcher Fehler, wenn der Künſtler, damit nicht zu-
frieden, beſtimmte Gedanken mit ſichtbarer Ausdrücklichkeit in der Land-
ſchaft andeutet, wie z. B. Leſſing in ſeinem winterlichen Kirchhofe, ja
ſelbſt Rottmann, wo er die Stätten großer Erinnerungen ſo behandelt,
daß man durch Gewitter und dergl. mit merklichem, ſymboliſchem Finger-
zeig auf die Geſchichte hingewieſen wird: man fühlt die Abſicht und wird
dadurch aus jener Dämmerung des Leihens, wodurch wir der Natur Empfin-
dungen unterlegen, gerade herausgeworfen, man fühlt, daß zu viel geliehen
und daher das Unwillkührliche des Leihens aufgehoben iſt. Dieß führt
auf das Poſitive, was mit jenem Ausdrucke: geahnte Seelenſtimmung
geſagt ſein ſoll. Hierüber iſt jedoch bereits zu §. 240 das Nöthige bemerkt;
dazu vergl. §. 270 von der Pflanze: das erſte lebendige Individuum in
der Natur, ſcheint ſie dem ahnenden Menſchen, welcher ſeine Empfindungen
der unbeſeelten Welt leihend unterlegt, vorzuempfinden, gibt beſtimmteren
Anhalt für dieſes Leihen. In §. 654 iſt gezeigt, wie dieſe pſychiſche Be-
dingung in der Auffaſſungsweiſe der Malerei nun eintritt. Auch in den
Krit. Gängen des Verf. B. 1, S. 222 iſt der innere Vorgang dargeſtellt:
wir fühlen wohl in dunkler Weiſe, daß das Leihen ein bloßes Leihen iſt,
aber darum geben wir es nicht auf, ſondern vollziehen nun die Vorſtellung,
als ob die Natur zu gleicher Zeit eine die Stimmungen des menſchlichen
Gemüths vorbildende und wiederholende Seele in ſich bärge und dennoch
in ungetrübter Objectivität und Geſetzmäßigkeit nicht um die Schmerzen
des ſubjectiven Lebens wüßte, als ob ſie eine Seele ohne Seele hätte,
ein Gemüth ohne die Spannungen und Conflicte des Gemüths oder
ein ſolches, das, wo es ſie zu theilen, in Sturm und Zerſtörung vor-
zubilden ſcheint, trotz denſelben einig mit ſich bleibt. Das iſt der Grund
unſerer ſentimentalen Beziehung auf die Natur: wir ſuchen in ihr den
noch ungetheilten Menſchen. Das Seelenleben, wie es ſich hier ge-
ſpiegelt ſieht, bleibt reines, naturnothwendiges Sein; dieß haben wir
epiſch genannt und man ſieht nun deutlicher, wie beide Beſtimmungen,
die des Lyriſchen und des Epiſchen, ſich vertragen. — Uebrigens leuchtet nun
ein, wie in dieſem Gebiete mit ganz beſonderer Kraft in Geltung tritt,
was von der Bedeutung der allgemeinen Medien, vom Tone, von der
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