Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
Frost des direct idealen Styls und eröffnet in positiver Entscheidung den Ent- Was die Venetianer vorbereitet, aber nicht durchgeführt haben, wozu
Froſt des direct idealen Styls und eröffnet in poſitiver Entſcheidung den Ent- Was die Venetianer vorbereitet, aber nicht durchgeführt haben, wozu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0250" n="742"/> Froſt des direct idealen Styls und eröffnet in poſitiver Entſcheidung den Ent-<lb/> wicklungsgang der modernen Malerei. Das erſte große Stadium dieſer Be-<lb/> wegung ſtellt ſich in dem Belgier <hi rendition="#g">Rubens</hi> dar, deſſen großartiger Naturaliſmus<lb/> mit den mythiſchen Stoffen noch nicht völlig bricht, zugleich jedoch das Ge-<lb/> biet der reinen Wirklichkeit in Beſitz nimmt und unedle, aber im Geiſte des<lb/> M. Angelo gewaltige Formen durch dramatiſches Feuer der Leidenſchaft und<lb/> Handlung, ſo wie durch die Lebensgluth eines Colorits verklärt, das er insbe-<lb/> beſondere am Muſter der Venetianer ausgebildet hat und wodurch er jener im<lb/> nordiſch maleriſchen Style ſelbſt bis dahin herrſchenden falſchen Plaſtik des<lb/> Umriſſes (§. 726) ein Ende macht.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Was die Venetianer vorbereitet, aber nicht durchgeführt haben, wozu<lb/> die Deutſchen den höchſten Beruf zeigen, ohne es doch anders, als ver-<lb/> einzelt, in’s Werk zu ſetzen, was auch jene italieniſchen Naturaliſten nur<lb/> mangelhaft beginnen, das übernimmt mit entſcheidendem, wiewohl noch<lb/> nicht nach allen Seiten gleich vordringendem Schritte jener Stamm, der<lb/> ſich jetzt von der Gemeinſchaft der deutſchen Nation abgeſondert und die<lb/> Kämpfe, welche die Reformation hervorrief, glücklich überſtanden hat: die<lb/> Niederländer. Das moderne Ideal der Malerei ſoll dem Stoffe nach<lb/> die Tranſcendenz abwerfen und die reine Wirklichkeit in Beſitz nehmen,<lb/> der Form nach dem ſtreng maleriſchen Style das richtige Maaß des pla-<lb/> ſtiſchen beimiſchen. Der erſte Theil dieſer Aufgabe wird von den Nieder-<lb/> ländern erfüllt: es ſiegt der Geiſt der Immanenz, der Realität; der<lb/> zweite Theil wird noch nicht erfüllt, in der außerordentlichen Vervollkomm-<lb/> nung aller Momente des Maleriſchen, insbeſondere der Farbe, fehlt noch<lb/> die Zumiſchung des reineren, höheren Formgefühls. Doch läßt ſich das<lb/> in gewiſſer Beziehung in Frage ſtellen; wir kommen auf dieſen ver-<lb/> wickelten Punct zurück. Es wiederholt ſich nun hier dieſelbe Gruppe,<lb/> wie im vorh. §., zunächſt ſo, daß die Belgier <hi rendition="#g">zuſammen</hi> mit den Hol-<lb/> ländern, die der §. noch nicht ausdrücklich nennt, den Kampf gegen den nach<lb/> Norden verbreiteten kalten, conventionellen Idealiſmus ebenſo übernehmen,<lb/> wie jene italieniſchen Naturaliſten. Den Gegner brauchen wir nicht noch<lb/> einmal zu ſchildern: es iſt jener geiſtloſe Formaliſmus der Nachahmung<lb/> des reifen italieniſchen Styls, der in §. 732 aufgeführt iſt und in den<lb/> Niederlanden immer weiter eingedrungen war (Franz Floris „der belgiſche<lb/> Raphael“ u. And.). Der Zorn dagegen ſchlägt nun in hellen Flammen<lb/> durch und wirft abſichtlich mit dem ſteifen Zwang der todten Regel zuerſt<lb/> auch das wahre Maaß zu Boden. Vergleicht man aber <hi rendition="#g">Rubens</hi> und<lb/> ſeine Stylgenoſſen nicht mit jenem ihrem Gegner, ſondern unterſcheidet<lb/> ſie von den <hi rendition="#g">Holländern</hi>, ſo haben ſie in <hi rendition="#g">dieſer</hi> Beziehung doch ſelbſt<lb/> noch einen Reſt von Tranſcendenz und etwas von der Ariſtokratie des<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [742/0250]
Froſt des direct idealen Styls und eröffnet in poſitiver Entſcheidung den Ent-
wicklungsgang der modernen Malerei. Das erſte große Stadium dieſer Be-
wegung ſtellt ſich in dem Belgier Rubens dar, deſſen großartiger Naturaliſmus
mit den mythiſchen Stoffen noch nicht völlig bricht, zugleich jedoch das Ge-
biet der reinen Wirklichkeit in Beſitz nimmt und unedle, aber im Geiſte des
M. Angelo gewaltige Formen durch dramatiſches Feuer der Leidenſchaft und
Handlung, ſo wie durch die Lebensgluth eines Colorits verklärt, das er insbe-
beſondere am Muſter der Venetianer ausgebildet hat und wodurch er jener im
nordiſch maleriſchen Style ſelbſt bis dahin herrſchenden falſchen Plaſtik des
Umriſſes (§. 726) ein Ende macht.
Was die Venetianer vorbereitet, aber nicht durchgeführt haben, wozu
die Deutſchen den höchſten Beruf zeigen, ohne es doch anders, als ver-
einzelt, in’s Werk zu ſetzen, was auch jene italieniſchen Naturaliſten nur
mangelhaft beginnen, das übernimmt mit entſcheidendem, wiewohl noch
nicht nach allen Seiten gleich vordringendem Schritte jener Stamm, der
ſich jetzt von der Gemeinſchaft der deutſchen Nation abgeſondert und die
Kämpfe, welche die Reformation hervorrief, glücklich überſtanden hat: die
Niederländer. Das moderne Ideal der Malerei ſoll dem Stoffe nach
die Tranſcendenz abwerfen und die reine Wirklichkeit in Beſitz nehmen,
der Form nach dem ſtreng maleriſchen Style das richtige Maaß des pla-
ſtiſchen beimiſchen. Der erſte Theil dieſer Aufgabe wird von den Nieder-
ländern erfüllt: es ſiegt der Geiſt der Immanenz, der Realität; der
zweite Theil wird noch nicht erfüllt, in der außerordentlichen Vervollkomm-
nung aller Momente des Maleriſchen, insbeſondere der Farbe, fehlt noch
die Zumiſchung des reineren, höheren Formgefühls. Doch läßt ſich das
in gewiſſer Beziehung in Frage ſtellen; wir kommen auf dieſen ver-
wickelten Punct zurück. Es wiederholt ſich nun hier dieſelbe Gruppe,
wie im vorh. §., zunächſt ſo, daß die Belgier zuſammen mit den Hol-
ländern, die der §. noch nicht ausdrücklich nennt, den Kampf gegen den nach
Norden verbreiteten kalten, conventionellen Idealiſmus ebenſo übernehmen,
wie jene italieniſchen Naturaliſten. Den Gegner brauchen wir nicht noch
einmal zu ſchildern: es iſt jener geiſtloſe Formaliſmus der Nachahmung
des reifen italieniſchen Styls, der in §. 732 aufgeführt iſt und in den
Niederlanden immer weiter eingedrungen war (Franz Floris „der belgiſche
Raphael“ u. And.). Der Zorn dagegen ſchlägt nun in hellen Flammen
durch und wirft abſichtlich mit dem ſteifen Zwang der todten Regel zuerſt
auch das wahre Maaß zu Boden. Vergleicht man aber Rubens und
ſeine Stylgenoſſen nicht mit jenem ihrem Gegner, ſondern unterſcheidet
ſie von den Holländern, ſo haben ſie in dieſer Beziehung doch ſelbſt
noch einen Reſt von Tranſcendenz und etwas von der Ariſtokratie des
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