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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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Wir verändern die Ordnung der Momente, worauf in den §§. 545 ff.
die anhängenden Formen begründet sind, nach dem Werthe, den sie in
den einzelnen Künsten haben. So führt uns in der Malerei die absteigende
Linie von der noch mit freiem Kunstgeist erfindenden, aber stoffartig be-
stimmten Caricatur zu der sinnvoll reproductiven Nachbildung, von da
zu der bloßen Verschönerung. Hier ist die bedeutendste Sphäre die Bühnen-
malerei
, wenigstens die moderne, die nicht nur das Nothwendigste von
architektonischer Umgebung, Straßenprospecten mit einer Andeutung land-
schaftlicher Natur, sondern entschieden malerisch wirkende architektonische
Innenseiten und Landschaften herzustellen hat. Die beschränktere Skeno-
graphie der Alten war übrigens doch ein wichtiges Moment für Aus-
bildung der Perspective. Den Schein der Tiefe hervorzubringen ist ein
wesentlicher Theil der Aufgabe dieses Nebenzweigs, die zunächst fordert,
daß das Umgebende überhaupt bezeichnet und so die mimische Handlung
erläutert werde, zugleich aber den tieferen Anspruch stellt, daß das Sce-
nische die Handlung ästhetisch stimmend ergänze. Dabei kann die Bühnen-
malerei Geist und höheren Kunstsinn zeigen, sie ist und bleibt aber nicht
nur an sich eine blos anhängende, sondern auch in der Ausführung eine
gröbere Kunst, weil die Art, wie sie Alles auf eine Fernwirkung anzu-
legen hat, mehr Handwerksberechnung, als eigentliches Kunstgefühl in
Anspruch nimmt, und weil sie neben der künstlerischen Täuschung der
Einen Fläche im Hintergrund noch auf rein äußerliche des scheinbaren Zu-
sammengehens der Seiten-Coulissen abzusehen hat. Beleuchtung hat ma-
lerisch mitzuwirken. Die Uebersteigerung dieser Dinge, die hetzende Ueber-
schüttung der Sinne ist moderne Blasirtheit und erdrückt den Mittelpunct,
dem sie doch nur dienen sollten, die dramatische Kunst. -- An diesen
Zweig lehnt sich die zur Täuschung gesteigerte Vedute in Mauerprospecten,
in Dioramen u. dgl. -- Ein Anderes ist nun die Decoration als Ver-
zierung der architektonischen Fläche, bei welcher im Unterschied von der
Freske diese ganz in Geltung bleibt, die Malerei also sie nicht als bloßes
Mittel zur Anheftung ihres selbständigen Scheins benützt, sondern sich ganz
unterordnet und daher jede bestimmtere Form, die sie verzierend anbringt,
architektonisch stylisiren muß. Als Verzierung des Aeußern ist diese Art
der Decoration Polychromie und bei der Baukunst (§. 573) besprochen;
nicht eben so zweifelhaft, wie hier, ist ihre volle Berechtigung in Aus-
schmückung des Innern. Handelt es sich nun blos um den allgemeinen
Farben-Ueberzug der Flächen, so ist auch dieß eine Mitwirkung der Ma-
lerei zu der Baukunst, die eigentlich als Anhang zu dieser angesehen
werden muß; auch die Erfindung bestimmterer Verzierungen aus der vege-
vegetabilischen Welt und andern Gebieten, denen das Ornament überhaupt
seine Motive entnimmt, ist immer noch mehr ein malerisches Ausblühen

Wir verändern die Ordnung der Momente, worauf in den §§. 545 ff.
die anhängenden Formen begründet ſind, nach dem Werthe, den ſie in
den einzelnen Künſten haben. So führt uns in der Malerei die abſteigende
Linie von der noch mit freiem Kunſtgeiſt erfindenden, aber ſtoffartig be-
ſtimmten Caricatur zu der ſinnvoll reproductiven Nachbildung, von da
zu der bloßen Verſchönerung. Hier iſt die bedeutendſte Sphäre die Bühnen-
malerei
, wenigſtens die moderne, die nicht nur das Nothwendigſte von
architektoniſcher Umgebung, Straßenproſpecten mit einer Andeutung land-
ſchaftlicher Natur, ſondern entſchieden maleriſch wirkende architektoniſche
Innenſeiten und Landſchaften herzuſtellen hat. Die beſchränktere Skeno-
graphie der Alten war übrigens doch ein wichtiges Moment für Aus-
bildung der Perſpective. Den Schein der Tiefe hervorzubringen iſt ein
weſentlicher Theil der Aufgabe dieſes Nebenzweigs, die zunächſt fordert,
daß das Umgebende überhaupt bezeichnet und ſo die mimiſche Handlung
erläutert werde, zugleich aber den tieferen Anſpruch ſtellt, daß das Sce-
niſche die Handlung äſthetiſch ſtimmend ergänze. Dabei kann die Bühnen-
malerei Geiſt und höheren Kunſtſinn zeigen, ſie iſt und bleibt aber nicht
nur an ſich eine blos anhängende, ſondern auch in der Ausführung eine
gröbere Kunſt, weil die Art, wie ſie Alles auf eine Fernwirkung anzu-
legen hat, mehr Handwerksberechnung, als eigentliches Kunſtgefühl in
Anſpruch nimmt, und weil ſie neben der künſtleriſchen Täuſchung der
Einen Fläche im Hintergrund noch auf rein äußerliche des ſcheinbaren Zu-
ſammengehens der Seiten-Couliſſen abzuſehen hat. Beleuchtung hat ma-
leriſch mitzuwirken. Die Ueberſteigerung dieſer Dinge, die hetzende Ueber-
ſchüttung der Sinne iſt moderne Blaſirtheit und erdrückt den Mittelpunct,
dem ſie doch nur dienen ſollten, die dramatiſche Kunſt. — An dieſen
Zweig lehnt ſich die zur Täuſchung geſteigerte Vedute in Mauerproſpecten,
in Dioramen u. dgl. — Ein Anderes iſt nun die Decoration als Ver-
zierung der architektoniſchen Fläche, bei welcher im Unterſchied von der
Freske dieſe ganz in Geltung bleibt, die Malerei alſo ſie nicht als bloßes
Mittel zur Anheftung ihres ſelbſtändigen Scheins benützt, ſondern ſich ganz
unterordnet und daher jede beſtimmtere Form, die ſie verzierend anbringt,
architektoniſch ſtyliſiren muß. Als Verzierung des Aeußern iſt dieſe Art
der Decoration Polychromie und bei der Baukunſt (§. 573) beſprochen;
nicht eben ſo zweifelhaft, wie hier, iſt ihre volle Berechtigung in Aus-
ſchmückung des Innern. Handelt es ſich nun blos um den allgemeinen
Farben-Ueberzug der Flächen, ſo iſt auch dieß eine Mitwirkung der Ma-
lerei zu der Baukunſt, die eigentlich als Anhang zu dieſer angeſehen
werden muß; auch die Erfindung beſtimmterer Verzierungen aus der vege-
vegetabiliſchen Welt und andern Gebieten, denen das Ornament überhaupt
ſeine Motive entnimmt, iſt immer noch mehr ein maleriſches Ausblühen

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[769/0277] Wir verändern die Ordnung der Momente, worauf in den §§. 545 ff. die anhängenden Formen begründet ſind, nach dem Werthe, den ſie in den einzelnen Künſten haben. So führt uns in der Malerei die abſteigende Linie von der noch mit freiem Kunſtgeiſt erfindenden, aber ſtoffartig be- ſtimmten Caricatur zu der ſinnvoll reproductiven Nachbildung, von da zu der bloßen Verſchönerung. Hier iſt die bedeutendſte Sphäre die Bühnen- malerei, wenigſtens die moderne, die nicht nur das Nothwendigſte von architektoniſcher Umgebung, Straßenproſpecten mit einer Andeutung land- ſchaftlicher Natur, ſondern entſchieden maleriſch wirkende architektoniſche Innenſeiten und Landſchaften herzuſtellen hat. Die beſchränktere Skeno- graphie der Alten war übrigens doch ein wichtiges Moment für Aus- bildung der Perſpective. Den Schein der Tiefe hervorzubringen iſt ein weſentlicher Theil der Aufgabe dieſes Nebenzweigs, die zunächſt fordert, daß das Umgebende überhaupt bezeichnet und ſo die mimiſche Handlung erläutert werde, zugleich aber den tieferen Anſpruch ſtellt, daß das Sce- niſche die Handlung äſthetiſch ſtimmend ergänze. Dabei kann die Bühnen- malerei Geiſt und höheren Kunſtſinn zeigen, ſie iſt und bleibt aber nicht nur an ſich eine blos anhängende, ſondern auch in der Ausführung eine gröbere Kunſt, weil die Art, wie ſie Alles auf eine Fernwirkung anzu- legen hat, mehr Handwerksberechnung, als eigentliches Kunſtgefühl in Anſpruch nimmt, und weil ſie neben der künſtleriſchen Täuſchung der Einen Fläche im Hintergrund noch auf rein äußerliche des ſcheinbaren Zu- ſammengehens der Seiten-Couliſſen abzuſehen hat. Beleuchtung hat ma- leriſch mitzuwirken. Die Ueberſteigerung dieſer Dinge, die hetzende Ueber- ſchüttung der Sinne iſt moderne Blaſirtheit und erdrückt den Mittelpunct, dem ſie doch nur dienen ſollten, die dramatiſche Kunſt. — An dieſen Zweig lehnt ſich die zur Täuſchung geſteigerte Vedute in Mauerproſpecten, in Dioramen u. dgl. — Ein Anderes iſt nun die Decoration als Ver- zierung der architektoniſchen Fläche, bei welcher im Unterſchied von der Freske dieſe ganz in Geltung bleibt, die Malerei alſo ſie nicht als bloßes Mittel zur Anheftung ihres ſelbſtändigen Scheins benützt, ſondern ſich ganz unterordnet und daher jede beſtimmtere Form, die ſie verzierend anbringt, architektoniſch ſtyliſiren muß. Als Verzierung des Aeußern iſt dieſe Art der Decoration Polychromie und bei der Baukunſt (§. 573) beſprochen; nicht eben ſo zweifelhaft, wie hier, iſt ihre volle Berechtigung in Aus- ſchmückung des Innern. Handelt es ſich nun blos um den allgemeinen Farben-Ueberzug der Flächen, ſo iſt auch dieß eine Mitwirkung der Ma- lerei zu der Baukunſt, die eigentlich als Anhang zu dieſer angeſehen werden muß; auch die Erfindung beſtimmterer Verzierungen aus der vege- vegetabiliſchen Welt und andern Gebieten, denen das Ornament überhaupt ſeine Motive entnimmt, iſt immer noch mehr ein maleriſches Ausblühen

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/277>, abgerufen am 26.11.2024.