Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
nung ist es nun, wodurch die Plastik in veränderter Form innerhalb der
nung iſt es nun, wodurch die Plaſtik in veränderter Form innerhalb der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0055" n="547"/> nung iſt es nun, wodurch die Plaſtik in veränderter Form innerhalb der<lb/> Malerei wieder auftritt, denn ſie ſtellt jene Ueberſetzung der Geſtalt auf<lb/> die Fläche her, von welcher im Allgemeinen ſchon §. 649 gehandelt hat.<lb/> Was wir ſo eben Entkleidung vom Körper genannt haben, beſteht zugleich<lb/> nothwendig im Wegfall von Licht und Schatten, welche das Bildwerk<lb/> von außen empfängt; die Zeichnung iſt bloße Umſchreibung der Ge-<lb/> ſtalt nach ihren äußerſten Grenzen und nach einem Theile der inneren,<lb/> ſoweit nämlich die Einzelformen innerhalb jener in ſolcher Beſtimmtheit<lb/> ſich abheben, daß ſie in einem Umriß zu faſſen ſind. Dennoch gibt ſchon<lb/> dieſe bloße Umſchreibung (Contur) einen Begriff von der wirklich Raum-<lb/> erfüllenden Bildung: das ſchaffende Auge verſetzt ſich in ihre Mitte und<lb/> erzeugt wie aus einem innern Kern herausbauend ſich das Bild des<lb/> vollen Ganzen. Die gute, die gefühlte Zeichnung nöthigt das Auge dazu,<lb/> indem ſie durch Fluß und wechſelnden Druck und Dünne der Umriß-<lb/> Linie den Schwung der gefüllten, runden, in die Dimenſionen des Raums<lb/> ausſchwellenden organiſchen Formen andeutet. Auch der Bildhauer muß<lb/> zuerſt zeichnen lernen und der ausführende Meiſter zeichnet ſein Werk,<lb/> ehe er es modellirt; dieß iſt hier bloße Vorübung und Vorarbeit, aber<lb/> doch entwickelt ſich in ihr und legt ſich in ſie das Gefühl des Ganzen<lb/> der Geſtalt, wie es dann im Modell und in der Ausführung gegeben<lb/> wird. Der Maler nun hat natürlich noch andere Gegenſtände zu zeich-<lb/> nen, als die (thieriſch und) menſchlich organiſche Geſtalt, dieſe aber iſt<lb/> doch und bleibt auch für ihn die höchſte Aufgabe und erſt nachdem er in<lb/> ihrer Nachbildung geübt iſt, mag er ſich auch auf Zweige werfen, worin<lb/> ſie nur eine Nebenrolle ſpielt. Er iſt daher in dieſem Stadium auf die-<lb/> ſelben wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe gewieſen wie der Bildner, auf Pro-<lb/> portionen und Anatomie. Weſentlich verlangt hiebei ſeine Ausbildung<lb/> eine Methode, die ihn ſo raſch als möglich an die Nachbildung der vollen<lb/> Geſtalt führt, denn von dem Abzeichnen des Gezeichneten lernt man nicht<lb/> Uebertragung auf die Fläche. Die Zeichnung ſoll nun, zunächſt beſonders<lb/> im Anatomiſchen und den Verhältniſſen, vor Allem richtig ſein; auf die<lb/> Verzeichnungen, die man großen Meiſtern verzeiht, darf ſich kein Schüler<lb/> berufen, gewiſſer Unrichtigkeiten, die dieſe ſich um äſthetiſcher Motive willen<lb/> erlaubt haben, nicht zu gedenken. Obwohl nun die Zeichnung dem Gan-<lb/> zen der Malerei gegenüber nur ein Moment darſtellt, iſt ſie doch auch<lb/> im Reich des Schönen für ſich, wie wir dieß eben ſchon damit ausge-<lb/> ſprochen haben, daß wir das Ganze der Geſtalt in ihr wie in einem Keim<lb/> ſahen, welchen die Phantaſie des Beſchauenden aufſchließt und zur vollen<lb/> Blume entfaltet. Die ſichere, kräftige, ſchwungvolle Fauſt des Meiſters<lb/> führt Griffel, Kohle, Feder in einem Schwunge, der die reinſte Geſtalten-<lb/> freude hervorruft, man glaubt ſich durch ſie in die geheime Werkſtätte<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [547/0055]
nung iſt es nun, wodurch die Plaſtik in veränderter Form innerhalb der
Malerei wieder auftritt, denn ſie ſtellt jene Ueberſetzung der Geſtalt auf
die Fläche her, von welcher im Allgemeinen ſchon §. 649 gehandelt hat.
Was wir ſo eben Entkleidung vom Körper genannt haben, beſteht zugleich
nothwendig im Wegfall von Licht und Schatten, welche das Bildwerk
von außen empfängt; die Zeichnung iſt bloße Umſchreibung der Ge-
ſtalt nach ihren äußerſten Grenzen und nach einem Theile der inneren,
ſoweit nämlich die Einzelformen innerhalb jener in ſolcher Beſtimmtheit
ſich abheben, daß ſie in einem Umriß zu faſſen ſind. Dennoch gibt ſchon
dieſe bloße Umſchreibung (Contur) einen Begriff von der wirklich Raum-
erfüllenden Bildung: das ſchaffende Auge verſetzt ſich in ihre Mitte und
erzeugt wie aus einem innern Kern herausbauend ſich das Bild des
vollen Ganzen. Die gute, die gefühlte Zeichnung nöthigt das Auge dazu,
indem ſie durch Fluß und wechſelnden Druck und Dünne der Umriß-
Linie den Schwung der gefüllten, runden, in die Dimenſionen des Raums
ausſchwellenden organiſchen Formen andeutet. Auch der Bildhauer muß
zuerſt zeichnen lernen und der ausführende Meiſter zeichnet ſein Werk,
ehe er es modellirt; dieß iſt hier bloße Vorübung und Vorarbeit, aber
doch entwickelt ſich in ihr und legt ſich in ſie das Gefühl des Ganzen
der Geſtalt, wie es dann im Modell und in der Ausführung gegeben
wird. Der Maler nun hat natürlich noch andere Gegenſtände zu zeich-
nen, als die (thieriſch und) menſchlich organiſche Geſtalt, dieſe aber iſt
doch und bleibt auch für ihn die höchſte Aufgabe und erſt nachdem er in
ihrer Nachbildung geübt iſt, mag er ſich auch auf Zweige werfen, worin
ſie nur eine Nebenrolle ſpielt. Er iſt daher in dieſem Stadium auf die-
ſelben wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe gewieſen wie der Bildner, auf Pro-
portionen und Anatomie. Weſentlich verlangt hiebei ſeine Ausbildung
eine Methode, die ihn ſo raſch als möglich an die Nachbildung der vollen
Geſtalt führt, denn von dem Abzeichnen des Gezeichneten lernt man nicht
Uebertragung auf die Fläche. Die Zeichnung ſoll nun, zunächſt beſonders
im Anatomiſchen und den Verhältniſſen, vor Allem richtig ſein; auf die
Verzeichnungen, die man großen Meiſtern verzeiht, darf ſich kein Schüler
berufen, gewiſſer Unrichtigkeiten, die dieſe ſich um äſthetiſcher Motive willen
erlaubt haben, nicht zu gedenken. Obwohl nun die Zeichnung dem Gan-
zen der Malerei gegenüber nur ein Moment darſtellt, iſt ſie doch auch
im Reich des Schönen für ſich, wie wir dieß eben ſchon damit ausge-
ſprochen haben, daß wir das Ganze der Geſtalt in ihr wie in einem Keim
ſahen, welchen die Phantaſie des Beſchauenden aufſchließt und zur vollen
Blume entfaltet. Die ſichere, kräftige, ſchwungvolle Fauſt des Meiſters
führt Griffel, Kohle, Feder in einem Schwunge, der die reinſte Geſtalten-
freude hervorruft, man glaubt ſich durch ſie in die geheime Werkſtätte
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