Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

des Bildes so zusammengeordnet sein, daß harmonische Accorde nach dem
Farbengesetz entstehen. Der §. sagt: irgendwie, denn hier namentlich ist
im Abstracten außer diesem allgemeinen Satze gar nichts zu bestimmen.
Am leichtesten begreift sich das Gesetz im Kleinen, wenn sich z. B. der
Porträtmaler zu fragen hat, wie er eine blasse oder blühende Blondine
oder Brünette zu kleiden, welchen Grund er dem Bild zu geben hat:
dort sucht das Auge Blau, sei es für sich oder im Grünen gegeben; ist
die Blondine blaß, so wird allerdings in ihrem Teint selbst schon das
Grünliche fühlbar sein, dann aber kann es durch ein kräftigeres Grün in
Kleid oder Hindergrund bezwungen und das Roth, die Ergänzungsfarbe
des Grünen hervorgerufen werden; lebhaftes Braunroth einer Brünette
wird durch lebhafte, lichtreiche Farben, gelb, scharlachroth wohlthuend in's
Bläuliche, Gräuliche abgedämpft u. s. w. Solche einzelne Erwägungen
sind jedoch nur dürftige Winke. Es durchkreuzen sich unzähliche Beding-
ungen, durch welche selbst feindliche Farben sich gegenseitig fördern und
heben können. Einzelnes hierüber ist schon im Abschnitt von der Farbe
in der Lehre vom Naturschönen angedeutet, wie z. B. der höchst wirksame
Gegensatz des dunkeln Baumgrüns und lichtvollen Blaus des Himmels.
Die unendliche Möglichkeit von Vermittlungen in der Zusammenstellung
schneidet hier jede nähere Bestimmung ab. Von Fr. W. Unger sind Un-
tersuchungen in Aussicht gestellt, die das Gesetz der Farbenharmonie in
den bedeutendsten Werken der Malerei auf bestimmte Formeln zurückführen,
welche sich auf die Analogie der Farben mit den Zahlverhältnissen der
Töne gründen. Solche Forschungen können nur lehrreich sein, haben
aber die schwere Aufgabe, sich mit der unberechenbaren Freiheit der künst-
lerischen Schöpfung über die Grenze des durch Formeln Bestimmbaren
auseinanderzusetzen. Sie ziehen einige Linien in ein unerschöpfliches Ge-
biet. Sie zeigen eine Reihe von Accorden auf und müssen zugestehen,
daß unendlich viele andere möglich sind. Daß der Künstler unmittelbar
für die Erfindung daraus lernen könne, kann nicht die Meinung sein
und ist es auch nicht. Als Zeichner ist er noch an wissenschaftliche Grund-
lagen gewiesen, dieser Führer verläßt ihn im Colorit; die Grundsätze der
Farbenlehre bleiben unumstößlich, aber man kann daraus nichts für das
Individuelle lernen, weil es unendlich eigene Mischungen hat, vergl.
§. 252, 1. Zusammenstellungen wie die von Chevreuil können nur für
das Decorative leitend sein und jene tieferen Untersuchungen können nur
Rechenschaft über die Farbengeheimnisse einer Reihe von ausgeführten
Kunstwerken geben. -- Der nächste weitere Punct betrifft das Zusammen-
halten der entschiedenen Farben. Die Farbe soll sich nicht in isolirte
Klexe zersplittern, sondern wie Licht und Schatten, ihre vollere Local-
wirkung in wohlgeordneten Massen zusammenhalten, zwischen welchen

des Bildes ſo zuſammengeordnet ſein, daß harmoniſche Accorde nach dem
Farbengeſetz entſtehen. Der §. ſagt: irgendwie, denn hier namentlich iſt
im Abſtracten außer dieſem allgemeinen Satze gar nichts zu beſtimmen.
Am leichteſten begreift ſich das Geſetz im Kleinen, wenn ſich z. B. der
Porträtmaler zu fragen hat, wie er eine blaſſe oder blühende Blondine
oder Brünette zu kleiden, welchen Grund er dem Bild zu geben hat:
dort ſucht das Auge Blau, ſei es für ſich oder im Grünen gegeben; iſt
die Blondine blaß, ſo wird allerdings in ihrem Teint ſelbſt ſchon das
Grünliche fühlbar ſein, dann aber kann es durch ein kräftigeres Grün in
Kleid oder Hindergrund bezwungen und das Roth, die Ergänzungsfarbe
des Grünen hervorgerufen werden; lebhaftes Braunroth einer Brünette
wird durch lebhafte, lichtreiche Farben, gelb, ſcharlachroth wohlthuend in’s
Bläuliche, Gräuliche abgedämpft u. ſ. w. Solche einzelne Erwägungen
ſind jedoch nur dürftige Winke. Es durchkreuzen ſich unzähliche Beding-
ungen, durch welche ſelbſt feindliche Farben ſich gegenſeitig fördern und
heben können. Einzelnes hierüber iſt ſchon im Abſchnitt von der Farbe
in der Lehre vom Naturſchönen angedeutet, wie z. B. der höchſt wirkſame
Gegenſatz des dunkeln Baumgrüns und lichtvollen Blaus des Himmels.
Die unendliche Möglichkeit von Vermittlungen in der Zuſammenſtellung
ſchneidet hier jede nähere Beſtimmung ab. Von Fr. W. Unger ſind Un-
terſuchungen in Ausſicht geſtellt, die das Geſetz der Farbenharmonie in
den bedeutendſten Werken der Malerei auf beſtimmte Formeln zurückführen,
welche ſich auf die Analogie der Farben mit den Zahlverhältniſſen der
Töne gründen. Solche Forſchungen können nur lehrreich ſein, haben
aber die ſchwere Aufgabe, ſich mit der unberechenbaren Freiheit der künſt-
leriſchen Schöpfung über die Grenze des durch Formeln Beſtimmbaren
auseinanderzuſetzen. Sie ziehen einige Linien in ein unerſchöpfliches Ge-
biet. Sie zeigen eine Reihe von Accorden auf und müſſen zugeſtehen,
daß unendlich viele andere möglich ſind. Daß der Künſtler unmittelbar
für die Erfindung daraus lernen könne, kann nicht die Meinung ſein
und iſt es auch nicht. Als Zeichner iſt er noch an wiſſenſchaftliche Grund-
lagen gewieſen, dieſer Führer verläßt ihn im Colorit; die Grundſätze der
Farbenlehre bleiben unumſtößlich, aber man kann daraus nichts für das
Individuelle lernen, weil es unendlich eigene Miſchungen hat, vergl.
§. 252, 1. Zuſammenſtellungen wie die von Chevreuil können nur für
das Decorative leitend ſein und jene tieferen Unterſuchungen können nur
Rechenſchaft über die Farbengeheimniſſe einer Reihe von ausgeführten
Kunſtwerken geben. — Der nächſte weitere Punct betrifft das Zuſammen-
halten der entſchiedenen Farben. Die Farbe ſoll ſich nicht in iſolirte
Klexe zerſplittern, ſondern wie Licht und Schatten, ihre vollere Local-
wirkung in wohlgeordneten Maſſen zuſammenhalten, zwiſchen welchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0073" n="565"/>
des Bildes &#x017F;o zu&#x017F;ammengeordnet &#x017F;ein, daß harmoni&#x017F;che Accorde nach dem<lb/>
Farbenge&#x017F;etz ent&#x017F;tehen. Der §. &#x017F;agt: irgendwie, denn hier namentlich i&#x017F;t<lb/>
im Ab&#x017F;tracten außer die&#x017F;em allgemeinen Satze gar nichts zu be&#x017F;timmen.<lb/>
Am leichte&#x017F;ten begreift &#x017F;ich das Ge&#x017F;etz im Kleinen, wenn &#x017F;ich z. B. der<lb/>
Porträtmaler zu fragen hat, wie er eine bla&#x017F;&#x017F;e oder blühende Blondine<lb/>
oder Brünette zu kleiden, welchen Grund er dem Bild zu geben hat:<lb/>
dort &#x017F;ucht das Auge Blau, &#x017F;ei es für &#x017F;ich oder im Grünen gegeben; i&#x017F;t<lb/>
die Blondine blaß, &#x017F;o wird allerdings in ihrem Teint &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon das<lb/>
Grünliche fühlbar &#x017F;ein, dann aber kann es durch ein kräftigeres Grün in<lb/>
Kleid oder Hindergrund bezwungen und das Roth, die Ergänzungsfarbe<lb/>
des Grünen hervorgerufen werden; lebhaftes Braunroth einer Brünette<lb/>
wird durch lebhafte, lichtreiche Farben, gelb, &#x017F;charlachroth wohlthuend in&#x2019;s<lb/>
Bläuliche, Gräuliche abgedämpft u. &#x017F;. w. Solche einzelne Erwägungen<lb/>
&#x017F;ind jedoch nur dürftige Winke. Es durchkreuzen &#x017F;ich unzähliche Beding-<lb/>
ungen, durch welche &#x017F;elb&#x017F;t feindliche Farben &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig fördern und<lb/>
heben können. Einzelnes hierüber i&#x017F;t &#x017F;chon im Ab&#x017F;chnitt von der Farbe<lb/>
in der Lehre vom Natur&#x017F;chönen angedeutet, wie z. B. der höch&#x017F;t wirk&#x017F;ame<lb/>
Gegen&#x017F;atz des dunkeln Baumgrüns und lichtvollen Blaus des Himmels.<lb/>
Die unendliche Möglichkeit von Vermittlungen in der Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung<lb/>
&#x017F;chneidet hier jede nähere Be&#x017F;timmung ab. Von Fr. W. Unger &#x017F;ind Un-<lb/>
ter&#x017F;uchungen in Aus&#x017F;icht ge&#x017F;tellt, die das Ge&#x017F;etz der Farbenharmonie in<lb/>
den bedeutend&#x017F;ten Werken der Malerei auf be&#x017F;timmte Formeln zurückführen,<lb/>
welche &#x017F;ich auf die Analogie der Farben mit den Zahlverhältni&#x017F;&#x017F;en der<lb/>
Töne gründen. Solche For&#x017F;chungen können nur lehrreich &#x017F;ein, haben<lb/>
aber die &#x017F;chwere Aufgabe, &#x017F;ich mit der unberechenbaren Freiheit der kün&#x017F;t-<lb/>
leri&#x017F;chen Schöpfung über die Grenze des durch Formeln Be&#x017F;timmbaren<lb/>
auseinanderzu&#x017F;etzen. Sie ziehen einige Linien in ein uner&#x017F;chöpfliches Ge-<lb/>
biet. Sie zeigen eine Reihe von Accorden auf und mü&#x017F;&#x017F;en zuge&#x017F;tehen,<lb/>
daß unendlich viele andere möglich &#x017F;ind. Daß der Kün&#x017F;tler unmittelbar<lb/>
für die Erfindung daraus lernen könne, kann nicht die Meinung &#x017F;ein<lb/>
und i&#x017F;t es auch nicht. Als Zeichner i&#x017F;t er noch an wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Grund-<lb/>
lagen gewie&#x017F;en, die&#x017F;er Führer verläßt ihn im Colorit; die Grund&#x017F;ätze der<lb/>
Farbenlehre bleiben unum&#x017F;tößlich, aber man kann daraus nichts für das<lb/>
Individuelle lernen, weil es unendlich eigene Mi&#x017F;chungen hat, vergl.<lb/>
§. 252, <hi rendition="#sub">1.</hi> Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellungen wie die von Chevreuil können nur für<lb/>
das Decorative leitend &#x017F;ein und jene tieferen Unter&#x017F;uchungen können nur<lb/>
Rechen&#x017F;chaft über die Farbengeheimni&#x017F;&#x017F;e einer Reihe von ausgeführten<lb/>
Kun&#x017F;twerken geben. &#x2014; Der näch&#x017F;te weitere Punct betrifft das Zu&#x017F;ammen-<lb/>
halten der ent&#x017F;chiedenen Farben. Die Farbe &#x017F;oll &#x017F;ich nicht in i&#x017F;olirte<lb/>
Klexe zer&#x017F;plittern, &#x017F;ondern wie Licht und Schatten, ihre vollere Local-<lb/>
wirkung in wohlgeordneten Ma&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;ammenhalten, zwi&#x017F;chen welchen<lb/></hi> </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[565/0073] des Bildes ſo zuſammengeordnet ſein, daß harmoniſche Accorde nach dem Farbengeſetz entſtehen. Der §. ſagt: irgendwie, denn hier namentlich iſt im Abſtracten außer dieſem allgemeinen Satze gar nichts zu beſtimmen. Am leichteſten begreift ſich das Geſetz im Kleinen, wenn ſich z. B. der Porträtmaler zu fragen hat, wie er eine blaſſe oder blühende Blondine oder Brünette zu kleiden, welchen Grund er dem Bild zu geben hat: dort ſucht das Auge Blau, ſei es für ſich oder im Grünen gegeben; iſt die Blondine blaß, ſo wird allerdings in ihrem Teint ſelbſt ſchon das Grünliche fühlbar ſein, dann aber kann es durch ein kräftigeres Grün in Kleid oder Hindergrund bezwungen und das Roth, die Ergänzungsfarbe des Grünen hervorgerufen werden; lebhaftes Braunroth einer Brünette wird durch lebhafte, lichtreiche Farben, gelb, ſcharlachroth wohlthuend in’s Bläuliche, Gräuliche abgedämpft u. ſ. w. Solche einzelne Erwägungen ſind jedoch nur dürftige Winke. Es durchkreuzen ſich unzähliche Beding- ungen, durch welche ſelbſt feindliche Farben ſich gegenſeitig fördern und heben können. Einzelnes hierüber iſt ſchon im Abſchnitt von der Farbe in der Lehre vom Naturſchönen angedeutet, wie z. B. der höchſt wirkſame Gegenſatz des dunkeln Baumgrüns und lichtvollen Blaus des Himmels. Die unendliche Möglichkeit von Vermittlungen in der Zuſammenſtellung ſchneidet hier jede nähere Beſtimmung ab. Von Fr. W. Unger ſind Un- terſuchungen in Ausſicht geſtellt, die das Geſetz der Farbenharmonie in den bedeutendſten Werken der Malerei auf beſtimmte Formeln zurückführen, welche ſich auf die Analogie der Farben mit den Zahlverhältniſſen der Töne gründen. Solche Forſchungen können nur lehrreich ſein, haben aber die ſchwere Aufgabe, ſich mit der unberechenbaren Freiheit der künſt- leriſchen Schöpfung über die Grenze des durch Formeln Beſtimmbaren auseinanderzuſetzen. Sie ziehen einige Linien in ein unerſchöpfliches Ge- biet. Sie zeigen eine Reihe von Accorden auf und müſſen zugeſtehen, daß unendlich viele andere möglich ſind. Daß der Künſtler unmittelbar für die Erfindung daraus lernen könne, kann nicht die Meinung ſein und iſt es auch nicht. Als Zeichner iſt er noch an wiſſenſchaftliche Grund- lagen gewieſen, dieſer Führer verläßt ihn im Colorit; die Grundſätze der Farbenlehre bleiben unumſtößlich, aber man kann daraus nichts für das Individuelle lernen, weil es unendlich eigene Miſchungen hat, vergl. §. 252, 1. Zuſammenſtellungen wie die von Chevreuil können nur für das Decorative leitend ſein und jene tieferen Unterſuchungen können nur Rechenſchaft über die Farbengeheimniſſe einer Reihe von ausgeführten Kunſtwerken geben. — Der nächſte weitere Punct betrifft das Zuſammen- halten der entſchiedenen Farben. Die Farbe ſoll ſich nicht in iſolirte Klexe zerſplittern, ſondern wie Licht und Schatten, ihre vollere Local- wirkung in wohlgeordneten Maſſen zuſammenhalten, zwiſchen welchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/73
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/73>, abgerufen am 25.11.2024.