der Aufnahme von häßlichen Abnormitäten, Verkrüpplungen, Entstellungen durch Krankheit, gräßlichen Wunden, Tod, Verwesung ist der Malerei eine Grenze gesteckt, wo furchtbare oder komische Wirkung nicht mehr hin- reicht, zu einer Fesslung dessen, was der Dichter rasch an der innern Vor- stellung vorüberführt, auf der ruhenden Leinwand zu berechtigen. Mit dem Krüppel auf einer von Raphael's Tapeten versöhnt sich das Auge trotzdem nicht, daß er nur der Stoff ist, an welchem die Wunderkraft des Apostels sich geltend machen soll; die Pestkranken in dem Bilde von Gros (Napoleon im Pesthause von Jaffa) gehen weit über das zulässige Maaß des Naturalismus; die Stadien der Verwesung malte nur die Naivetät unreifer Kunst (z. B. Orcagna im Campo Santo zu Pisa) und das Zu- halten der Nase, wie es oft bei Darstellungen der Auferweckung des La- zarus vorkommt, fixirt im Bilde des Eckels den Gestank, der in einem ästhetischen Ganzen nur momentan und nur in der innern Vorstellung auszuhalten ist, es erregt durch Vormachen des Eckels gerade unsern Eckel. Nicht ebenso ein Fehler der Naivetät ist es, wenn ein moderner Maler zwei Leichen Enthaupteter mit einer zwar sparsamen, doch durch furchtbare Wahrheit schneidenden Bloslegung des Grassen im Mittelpuncte eines historischen Bildes vor uns hinlegt. Man darf solche Darstellung des Todes nicht an sich angreifen, sondern nur den Grad des Anspruchs, den sie im Ganzen des Bildes macht; es mag da an solchen Theilen, welche uns durch erhebenden Ausdruck mit dem Grassen versöhnen, nicht fehlen, wenn sie aber nicht in der Stärke vortreten, daß sie es in den Hintergrund drücken, so ist das ästhetische Gesetz verletzt, zumal da man nicht einen Nachschimmer des hohen Friedens in solche Leichname legen kann, wie in den Leichnam Christi. -- In der Tracht haben wir die Ma- lerei ungleich weniger wählerisch gefunden, als die Sculptur, doch auch bereits Forderungen gestellt, aus denen hervorgeht, daß die Bekleidung, die unter dem Scheine, dem Körper zu folgen, ein falsches Bild seiner Glieder gibt, d. h. die moderne, auch für sie ein Kreuz sein muß. In einem ernsten Bilde ist sie kaum, in einem ernsten, das zugleich monumen- tal ist, gar nicht zu brauchen. Aehnlich verhält es sich mit den phantasie- losen Formen der Geräthe u. s. w. und im höhern Gebiete der Cultur- formen mit der Abtödtung der geselligen Lebendigkeit in der Erscheinung des Menschen selbst. Freilich stellt sich dieß anders in der komischen Gattung überhaupt und speziell in der Caricatur; aber der Spott auf das Unästhetische ist eben gerade die Verurtheilung desselben vor dem Fo- rum der höheren Kunstaufgabe.
der Aufnahme von häßlichen Abnormitäten, Verkrüpplungen, Entſtellungen durch Krankheit, gräßlichen Wunden, Tod, Verweſung iſt der Malerei eine Grenze geſteckt, wo furchtbare oder komiſche Wirkung nicht mehr hin- reicht, zu einer Feſſlung deſſen, was der Dichter raſch an der innern Vor- ſtellung vorüberführt, auf der ruhenden Leinwand zu berechtigen. Mit dem Krüppel auf einer von Raphael’s Tapeten verſöhnt ſich das Auge trotzdem nicht, daß er nur der Stoff iſt, an welchem die Wunderkraft des Apoſtels ſich geltend machen ſoll; die Peſtkranken in dem Bilde von Gros (Napoleon im Peſthauſe von Jaffa) gehen weit über das zuläſſige Maaß des Naturaliſmus; die Stadien der Verweſung malte nur die Naivetät unreifer Kunſt (z. B. Orcagna im Campo Santo zu Piſa) und das Zu- halten der Naſe, wie es oft bei Darſtellungen der Auferweckung des La- zarus vorkommt, fixirt im Bilde des Eckels den Geſtank, der in einem äſthetiſchen Ganzen nur momentan und nur in der innern Vorſtellung auszuhalten iſt, es erregt durch Vormachen des Eckels gerade unſern Eckel. Nicht ebenſo ein Fehler der Naivetät iſt es, wenn ein moderner Maler zwei Leichen Enthaupteter mit einer zwar ſparſamen, doch durch furchtbare Wahrheit ſchneidenden Bloslegung des Graſſen im Mittelpuncte eines hiſtoriſchen Bildes vor uns hinlegt. Man darf ſolche Darſtellung des Todes nicht an ſich angreifen, ſondern nur den Grad des Anſpruchs, den ſie im Ganzen des Bildes macht; es mag da an ſolchen Theilen, welche uns durch erhebenden Ausdruck mit dem Graſſen verſöhnen, nicht fehlen, wenn ſie aber nicht in der Stärke vortreten, daß ſie es in den Hintergrund drücken, ſo iſt das äſthetiſche Geſetz verletzt, zumal da man nicht einen Nachſchimmer des hohen Friedens in ſolche Leichname legen kann, wie in den Leichnam Chriſti. — In der Tracht haben wir die Ma- lerei ungleich weniger wähleriſch gefunden, als die Sculptur, doch auch bereits Forderungen geſtellt, aus denen hervorgeht, daß die Bekleidung, die unter dem Scheine, dem Körper zu folgen, ein falſches Bild ſeiner Glieder gibt, d. h. die moderne, auch für ſie ein Kreuz ſein muß. In einem ernſten Bilde iſt ſie kaum, in einem ernſten, das zugleich monumen- tal iſt, gar nicht zu brauchen. Aehnlich verhält es ſich mit den phantaſie- loſen Formen der Geräthe u. ſ. w. und im höhern Gebiete der Cultur- formen mit der Abtödtung der geſelligen Lebendigkeit in der Erſcheinung des Menſchen ſelbſt. Freilich ſtellt ſich dieß anders in der komiſchen Gattung überhaupt und ſpeziell in der Caricatur; aber der Spott auf das Unäſthetiſche iſt eben gerade die Verurtheilung deſſelben vor dem Fo- rum der höheren Kunſtaufgabe.
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der Aufnahme von häßlichen Abnormitäten, Verkrüpplungen, Entſtellungen
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eine Grenze geſteckt, wo furchtbare oder komiſche Wirkung nicht mehr hin-
reicht, zu einer Feſſlung deſſen, was der Dichter raſch an der innern Vor-
ſtellung vorüberführt, auf der ruhenden Leinwand zu berechtigen. Mit
dem Krüppel auf einer von Raphael’s Tapeten verſöhnt ſich das Auge
trotzdem nicht, daß er nur der Stoff iſt, an welchem die Wunderkraft des
Apoſtels ſich geltend machen ſoll; die Peſtkranken in dem Bilde von Gros
(Napoleon im Peſthauſe von Jaffa) gehen weit über das zuläſſige Maaß
des Naturaliſmus; die Stadien der Verweſung malte nur die Naivetät
unreifer Kunſt (z. B. Orcagna im Campo Santo zu Piſa) und das Zu-
halten der Naſe, wie es oft bei Darſtellungen der Auferweckung des La-
zarus vorkommt, fixirt im Bilde des Eckels den Geſtank, der in einem
äſthetiſchen Ganzen nur momentan und nur in der innern Vorſtellung
auszuhalten iſt, es erregt durch Vormachen des Eckels gerade unſern
Eckel. Nicht ebenſo ein Fehler der Naivetät iſt es, wenn ein moderner
Maler zwei Leichen Enthaupteter mit einer zwar ſparſamen, doch durch
furchtbare Wahrheit ſchneidenden Bloslegung des Graſſen im Mittelpuncte
eines hiſtoriſchen Bildes vor uns hinlegt. Man darf ſolche Darſtellung
des Todes nicht an ſich angreifen, ſondern nur den Grad des Anſpruchs,
den ſie im Ganzen des Bildes macht; es mag da an ſolchen Theilen,
welche uns durch erhebenden Ausdruck mit dem Graſſen verſöhnen, nicht
fehlen, wenn ſie aber nicht in der Stärke vortreten, daß ſie es in den
Hintergrund drücken, ſo iſt das äſthetiſche Geſetz verletzt, zumal da man
nicht einen Nachſchimmer des hohen Friedens in ſolche Leichname legen
kann, wie in den Leichnam Chriſti. — In der Tracht haben wir die Ma-
lerei ungleich weniger wähleriſch gefunden, als die Sculptur, doch auch
bereits Forderungen geſtellt, aus denen hervorgeht, daß die Bekleidung,
die unter dem Scheine, dem Körper zu folgen, ein falſches Bild ſeiner
Glieder gibt, d. h. die moderne, auch für ſie ein Kreuz ſein muß. In
einem ernſten Bilde iſt ſie kaum, in einem ernſten, das zugleich monumen-
tal iſt, gar nicht zu brauchen. Aehnlich verhält es ſich mit den phantaſie-
loſen Formen der Geräthe u. ſ. w. und im höhern Gebiete der Cultur-
formen mit der Abtödtung der geſelligen Lebendigkeit in der Erſcheinung
des Menſchen ſelbſt. Freilich ſtellt ſich dieß anders in der komiſchen
Gattung überhaupt und ſpeziell in der Caricatur; aber der Spott auf
das Unäſthetiſche iſt eben gerade die Verurtheilung deſſelben vor dem Fo-
rum der höheren Kunſtaufgabe.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/98>, abgerufen am 16.07.2024.
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