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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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und Runden immer eine Hauptregion bleibt. Wir stellen diesen
Satz, daß C nebst seinen Nachbartönen sozusagen die beste Mittellage und
damit einen Vorzug in Bezug auf Helle und ruhige Tonkraft habe, daß es
zwei Octaventöne besitze, die der Mittellage angehören, einen untern immer
noch hellen und einen obern immer noch nicht zu scharfen und spitzen,
während z. B. F, G, A sie schon nicht mehr so haben, nicht als Behaup-
tung, sondern als ein Ergebniß hin, das sich vielleicht auch Andern bestätigt;
wir können auch die weitere Vermuthung nicht unterdrücken, ob nicht über-
haupt C von Natur schon in einem freilich nicht näher zu erforschenden
spezifischen Verhältniß zu unserer Gehörorganisation stehe, indem etwa der
Factor seiner Schwingungsgeschwindigkeit dieselbe in besonderer Weise an-
spräche, so daß die Erwählung von C zur Grundtonart nicht so zufällig
wäre als es den Anschein hat. Es ist zwar natürlich und an einzelnen
Beispielen sicher erwiesen, daß nicht alle Instrumente, Orchester, Stimm-
gabeln das gleiche C haben, indem z. B. bei französischen und deutschen
Theaterorchestern der gebräuchliche Normalton A zwischen 428 und 442
Schwingungen schwankt (Zamminer S. 13), aber es würde durch solche
Schwankungen an jenem Factor nur wenig verändert, und der Umstand,
daß gerade C den ersten faßlichen Tiefton gibt, ist doch vielleicht nicht ohne
Bedeutung. Ja es wäre sogar nicht undenkbar, daß die Grundtonart selbst
einem gewissen Schwanken, namentlich einer Inklination höher hinauf zu
rücken unterläge, indem es z. B. wohl möglich ist, daß ein Zeitalter mehr
gedämpfte, ein anderes schärfere und höhere Töne haben will, wie ver-
schiedene Zeiten auch in Bezug auf ihre Anforderungen an kräftigen,
energischen Farbenton unter einander differiren; jenes hypothetisch ange-
nommene spezifische Verhältniß des C zur Gehörorganisation würde so zwar
um etwas alterirt, aber es würde auch da noch die letzte Grundlage für
die Bevorzugung der Ctonart bilden. -- Von diesen Voraussetzungen aus
würde sich der verschiedene Charakter der Tonarten so bestimmen: die einen
sind in der Lage C benachbart und theilen seine Einfachheit, Kraft und
Helligkeit; bei B verschwände die letztere schon, träte aber bei H Cis (Des), D
noch hervor, während andererseits die beiden erstern für das Gefühl etwas
Fremdartigeres und damit Bedeutsameres hätten, weil sie in ihren Einzel-
tönen von C so ganz differiren. Es und E stehen schon höher und haben
daher in der Mittellage der beiden mittlern Octaven (oberhalb und unter-
halb des ViolinA) einen hellern, aber weniger kräftigen Klang, den z. B.
das unterste SopranC durch seine und falls es begleitet ist durch seiner
Accorde größere Tiefe hat; diese Einbuße an Kraft nähme zu bei den Ton-
arten F bis A, da diese, wenn sie in der Mittellage bleiben wollen, noch
weniger als Es und E herabgehen können, und da sie ebendamit innerhalb
der Sopranregion stets höher stehen als das unterste SopranC, ohne doch

und Runden immer eine Hauptregion bleibt. Wir ſtellen dieſen
Satz, daß C nebſt ſeinen Nachbartönen ſozuſagen die beſte Mittellage und
damit einen Vorzug in Bezug auf Helle und ruhige Tonkraft habe, daß es
zwei Octaventöne beſitze, die der Mittellage angehören, einen untern immer
noch hellen und einen obern immer noch nicht zu ſcharfen und ſpitzen,
während z. B. F, G, A ſie ſchon nicht mehr ſo haben, nicht als Behaup-
tung, ſondern als ein Ergebniß hin, das ſich vielleicht auch Andern beſtätigt;
wir können auch die weitere Vermuthung nicht unterdrücken, ob nicht über-
haupt C von Natur ſchon in einem freilich nicht näher zu erforſchenden
ſpezifiſchen Verhältniß zu unſerer Gehörorganiſation ſtehe, indem etwa der
Factor ſeiner Schwingungsgeſchwindigkeit dieſelbe in beſonderer Weiſe an-
ſpräche, ſo daß die Erwählung von C zur Grundtonart nicht ſo zufällig
wäre als es den Anſchein hat. Es iſt zwar natürlich und an einzelnen
Beiſpielen ſicher erwieſen, daß nicht alle Inſtrumente, Orcheſter, Stimm-
gabeln das gleiche C haben, indem z. B. bei franzöſiſchen und deutſchen
Theaterorcheſtern der gebräuchliche Normalton A zwiſchen 428 und 442
Schwingungen ſchwankt (Zamminer S. 13), aber es würde durch ſolche
Schwankungen an jenem Factor nur wenig verändert, und der Umſtand,
daß gerade C den erſten faßlichen Tiefton gibt, iſt doch vielleicht nicht ohne
Bedeutung. Ja es wäre ſogar nicht undenkbar, daß die Grundtonart ſelbſt
einem gewiſſen Schwanken, namentlich einer Inklination höher hinauf zu
rücken unterläge, indem es z. B. wohl möglich iſt, daß ein Zeitalter mehr
gedämpfte, ein anderes ſchärfere und höhere Töne haben will, wie ver-
ſchiedene Zeiten auch in Bezug auf ihre Anforderungen an kräftigen,
energiſchen Farbenton unter einander differiren; jenes hypothetiſch ange-
nommene ſpezifiſche Verhältniß des C zur Gehörorganiſation würde ſo zwar
um etwas alterirt, aber es würde auch da noch die letzte Grundlage für
die Bevorzugung der Ctonart bilden. — Von dieſen Vorausſetzungen aus
würde ſich der verſchiedene Charakter der Tonarten ſo beſtimmen: die einen
ſind in der Lage C benachbart und theilen ſeine Einfachheit, Kraft und
Helligkeit; bei B verſchwände die letztere ſchon, träte aber bei H Cis (Des), D
noch hervor, während andererſeits die beiden erſtern für das Gefühl etwas
Fremdartigeres und damit Bedeutſameres hätten, weil ſie in ihren Einzel-
tönen von C ſo ganz differiren. Es und E ſtehen ſchon höher und haben
daher in der Mittellage der beiden mittlern Octaven (oberhalb und unter-
halb des ViolinA) einen hellern, aber weniger kräftigen Klang, den z. B.
das unterſte SopranC durch ſeine und falls es begleitet iſt durch ſeiner
Accorde größere Tiefe hat; dieſe Einbuße an Kraft nähme zu bei den Ton-
arten F bis A, da dieſe, wenn ſie in der Mittellage bleiben wollen, noch
weniger als Es und E herabgehen können, und da ſie ebendamit innerhalb
der Sopranregion ſtets höher ſtehen als das unterſte SopranC, ohne doch

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[879/0117] und Runden immer eine Hauptregion bleibt. Wir ſtellen dieſen Satz, daß C nebſt ſeinen Nachbartönen ſozuſagen die beſte Mittellage und damit einen Vorzug in Bezug auf Helle und ruhige Tonkraft habe, daß es zwei Octaventöne beſitze, die der Mittellage angehören, einen untern immer noch hellen und einen obern immer noch nicht zu ſcharfen und ſpitzen, während z. B. F, G, A ſie ſchon nicht mehr ſo haben, nicht als Behaup- tung, ſondern als ein Ergebniß hin, das ſich vielleicht auch Andern beſtätigt; wir können auch die weitere Vermuthung nicht unterdrücken, ob nicht über- haupt C von Natur ſchon in einem freilich nicht näher zu erforſchenden ſpezifiſchen Verhältniß zu unſerer Gehörorganiſation ſtehe, indem etwa der Factor ſeiner Schwingungsgeſchwindigkeit dieſelbe in beſonderer Weiſe an- ſpräche, ſo daß die Erwählung von C zur Grundtonart nicht ſo zufällig wäre als es den Anſchein hat. Es iſt zwar natürlich und an einzelnen Beiſpielen ſicher erwieſen, daß nicht alle Inſtrumente, Orcheſter, Stimm- gabeln das gleiche C haben, indem z. B. bei franzöſiſchen und deutſchen Theaterorcheſtern der gebräuchliche Normalton A zwiſchen 428 und 442 Schwingungen ſchwankt (Zamminer S. 13), aber es würde durch ſolche Schwankungen an jenem Factor nur wenig verändert, und der Umſtand, daß gerade C den erſten faßlichen Tiefton gibt, iſt doch vielleicht nicht ohne Bedeutung. Ja es wäre ſogar nicht undenkbar, daß die Grundtonart ſelbſt einem gewiſſen Schwanken, namentlich einer Inklination höher hinauf zu rücken unterläge, indem es z. B. wohl möglich iſt, daß ein Zeitalter mehr gedämpfte, ein anderes ſchärfere und höhere Töne haben will, wie ver- ſchiedene Zeiten auch in Bezug auf ihre Anforderungen an kräftigen, energiſchen Farbenton unter einander differiren; jenes hypothetiſch ange- nommene ſpezifiſche Verhältniß des C zur Gehörorganiſation würde ſo zwar um etwas alterirt, aber es würde auch da noch die letzte Grundlage für die Bevorzugung der Ctonart bilden. — Von dieſen Vorausſetzungen aus würde ſich der verſchiedene Charakter der Tonarten ſo beſtimmen: die einen ſind in der Lage C benachbart und theilen ſeine Einfachheit, Kraft und Helligkeit; bei B verſchwände die letztere ſchon, träte aber bei H Cis (Des), D noch hervor, während andererſeits die beiden erſtern für das Gefühl etwas Fremdartigeres und damit Bedeutſameres hätten, weil ſie in ihren Einzel- tönen von C ſo ganz differiren. Es und E ſtehen ſchon höher und haben daher in der Mittellage der beiden mittlern Octaven (oberhalb und unter- halb des ViolinA) einen hellern, aber weniger kräftigen Klang, den z. B. das unterſte SopranC durch ſeine und falls es begleitet iſt durch ſeiner Accorde größere Tiefe hat; dieſe Einbuße an Kraft nähme zu bei den Ton- arten F bis A, da dieſe, wenn ſie in der Mittellage bleiben wollen, noch weniger als Es und E herabgehen können, und da ſie ebendamit innerhalb der Sopranregion ſtets höher ſtehen als das unterſte SopranC, ohne doch

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 879. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/117>, abgerufen am 21.11.2024.