solches Aufundab dieser beiden Töne wirkt ebenso belebend, aufregend, sofern es ein Hinundherhüpfen zwischen schon entferntern Tönen ist, als auch wiederum bewegung-abschließend, ausathmend, indem in dieser Figur die bisherige mannigfaltigst concrete Bewegung des Tonstücks sich ver- einfacht zu einer Bewegung, in welcher nur noch der Alles abschließende Grundton selber mit seiner ihn immer wieder fordernden Dominante sozu- sagen einen kurzen Wechseltanz ausführt, um sodann endlich wie alle andern Töne auch sie zu verabschieden und allein als Schlußnote des Ganzen stehen zu bleiben. -- Ganz anders verhält sich nun aber dieß Alles bei der Secund. Beim großen Ganzton tritt die Coincidenz erst ein nach der achten Schwingung des untern, nach der neunten des obern (beim kleinen Ganzton erst nach , beim Halbton erst nach Schwingungen), und die zwischeninneliegenden Schwingungen beider Töne treten zudem alle in verschiedene Zeitmomente auseinander -- dieß Beides gibt den Eindruck eines wesentlich verschiedenen Tones; -- aber zugleich sind nun die beider- seitigen Vibrationen wiederum so wenig verschieden, d. h. die Zeitmomente der nicht coincidirenden Erzitterungen liegen einander so außerordentlich nahe (indem die obere Vibration von der untern nur um , , differirt und zwar in einer schon an sich selbst außerordentlich schnellen Erregung), und sie wechseln ihre Zeitstellungen zu einander in so außerordentlich kleinen Unterschieden, daß neben der distincten Empfindung der Verschiedenheit beider Bewegungen doch der Eindruck einer complicirten Verworrenheit, eines Hinundhergezerrtwerdens zwischen zwei verschiedenen und doch stets in ein- ander überfließenden Erregungen, der peinliche Wechsel zwischen Streben nach Scheidung der beiden Töne und Unvermögen diese Scheidung zu haben ent- steht. So macht denn das gleichzeitige Vernehmen von Nachbartönen den Eindruck des Zusammengedrängtseins zweier heterogener und darum absolut auseinanderstrebender Kräfte auf Einen Punct; es ist der Eindruck des ab- soluten Widerspruchs, verletzender noch als eine Disharmonie der Farben, beklemmend und zerreißend wie ein physischer Schmerz, und daher mit der schlechthinigen, spannenden Erwartung alsbaldiger Wiederaufhebung des Widerspruchs verbunden. Am stärksten ist hier die Dissonanz natürlich bei der kleinen, schon schwächer bei der großen Secund. Das Verhältniß der Schwingungen der Septime ist dem der Secund verwandt; es ist gleich- falls sehr complicirt, weil es sich bereits dem Octavenrhythmus nähert, ohne ihn doch zu erreichen; der Eindruck ist daher hier ein ähnlicher, man hat auch hier das Gefühl des Vereintseins heterogener Töne; die Septime ist gewissermaßen selbst nur eine umgekehrte und auseinander gerückte Secund, da ihre Töne, wenn man der Prim ihre gleichlautende Octave substituirt, im Secundenverhältniß zu einander stehen. Aber bei der großen Septime (8:15) ist der Eindruck der Dissonanz dadurch etwas minder verletzend, daß
ſolches Aufundab dieſer beiden Töne wirkt ebenſo belebend, aufregend, ſofern es ein Hinundherhüpfen zwiſchen ſchon entferntern Tönen iſt, als auch wiederum bewegung-abſchließend, ausathmend, indem in dieſer Figur die bisherige mannigfaltigſt concrete Bewegung des Tonſtücks ſich ver- einfacht zu einer Bewegung, in welcher nur noch der Alles abſchließende Grundton ſelber mit ſeiner ihn immer wieder fordernden Dominante ſozu- ſagen einen kurzen Wechſeltanz ausführt, um ſodann endlich wie alle andern Töne auch ſie zu verabſchieden und allein als Schlußnote des Ganzen ſtehen zu bleiben. — Ganz anders verhält ſich nun aber dieß Alles bei der Secund. Beim großen Ganzton tritt die Coincidenz erſt ein nach der achten Schwingung des untern, nach der neunten des obern (beim kleinen Ganzton erſt nach , beim Halbton erſt nach Schwingungen), und die zwiſcheninneliegenden Schwingungen beider Töne treten zudem alle in verſchiedene Zeitmomente auseinander — dieß Beides gibt den Eindruck eines weſentlich verſchiedenen Tones; — aber zugleich ſind nun die beider- ſeitigen Vibrationen wiederum ſo wenig verſchieden, d. h. die Zeitmomente der nicht coincidirenden Erzitterungen liegen einander ſo außerordentlich nahe (indem die obere Vibration von der untern nur um ⅑, ⅒, differirt und zwar in einer ſchon an ſich ſelbſt außerordentlich ſchnellen Erregung), und ſie wechſeln ihre Zeitſtellungen zu einander in ſo außerordentlich kleinen Unterſchieden, daß neben der diſtincten Empfindung der Verſchiedenheit beider Bewegungen doch der Eindruck einer complicirten Verworrenheit, eines Hinundhergezerrtwerdens zwiſchen zwei verſchiedenen und doch ſtets in ein- ander überfließenden Erregungen, der peinliche Wechſel zwiſchen Streben nach Scheidung der beiden Töne und Unvermögen dieſe Scheidung zu haben ent- ſteht. So macht denn das gleichzeitige Vernehmen von Nachbartönen den Eindruck des Zuſammengedrängtſeins zweier heterogener und darum abſolut auseinanderſtrebender Kräfte auf Einen Punct; es iſt der Eindruck des ab- ſoluten Widerſpruchs, verletzender noch als eine Disharmonie der Farben, beklemmend und zerreißend wie ein phyſiſcher Schmerz, und daher mit der ſchlechthinigen, ſpannenden Erwartung alsbaldiger Wiederaufhebung des Widerſpruchs verbunden. Am ſtärkſten iſt hier die Diſſonanz natürlich bei der kleinen, ſchon ſchwächer bei der großen Secund. Das Verhältniß der Schwingungen der Septime iſt dem der Secund verwandt; es iſt gleich- falls ſehr complicirt, weil es ſich bereits dem Octavenrhythmus nähert, ohne ihn doch zu erreichen; der Eindruck iſt daher hier ein ähnlicher, man hat auch hier das Gefühl des Vereintſeins heterogener Töne; die Septime iſt gewiſſermaßen ſelbſt nur eine umgekehrte und auseinander gerückte Secund, da ihre Töne, wenn man der Prim ihre gleichlautende Octave ſubſtituirt, im Secundenverhältniß zu einander ſtehen. Aber bei der großen Septime (8:15) iſt der Eindruck der Diſſonanz dadurch etwas minder verletzend, daß
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[884/0122]
ſolches Aufundab dieſer beiden Töne wirkt ebenſo belebend, aufregend,
ſofern es ein Hinundherhüpfen zwiſchen ſchon entferntern Tönen iſt, als
auch wiederum bewegung-abſchließend, ausathmend, indem in dieſer Figur
die bisherige mannigfaltigſt concrete Bewegung des Tonſtücks ſich ver-
einfacht zu einer Bewegung, in welcher nur noch der Alles abſchließende
Grundton ſelber mit ſeiner ihn immer wieder fordernden Dominante ſozu-
ſagen einen kurzen Wechſeltanz ausführt, um ſodann endlich wie alle andern
Töne auch ſie zu verabſchieden und allein als Schlußnote des Ganzen
ſtehen zu bleiben. — Ganz anders verhält ſich nun aber dieß Alles bei der
Secund. Beim großen Ganzton tritt die Coincidenz erſt ein nach der
achten Schwingung des untern, nach der neunten des obern (beim kleinen
Ganzton erſt nach [FORMEL], beim Halbton erſt nach [FORMEL] Schwingungen), und
die zwiſcheninneliegenden Schwingungen beider Töne treten zudem alle in
verſchiedene Zeitmomente auseinander — dieß Beides gibt den Eindruck
eines weſentlich verſchiedenen Tones; — aber zugleich ſind nun die beider-
ſeitigen Vibrationen wiederum ſo wenig verſchieden, d. h. die Zeitmomente
der nicht coincidirenden Erzitterungen liegen einander ſo außerordentlich nahe
(indem die obere Vibration von der untern nur um ⅑, ⅒, [FORMEL] differirt
und zwar in einer ſchon an ſich ſelbſt außerordentlich ſchnellen Erregung),
und ſie wechſeln ihre Zeitſtellungen zu einander in ſo außerordentlich kleinen
Unterſchieden, daß neben der diſtincten Empfindung der Verſchiedenheit beider
Bewegungen doch der Eindruck einer complicirten Verworrenheit, eines
Hinundhergezerrtwerdens zwiſchen zwei verſchiedenen und doch ſtets in ein-
ander überfließenden Erregungen, der peinliche Wechſel zwiſchen Streben nach
Scheidung der beiden Töne und Unvermögen dieſe Scheidung zu haben ent-
ſteht. So macht denn das gleichzeitige Vernehmen von Nachbartönen den
Eindruck des Zuſammengedrängtſeins zweier heterogener und darum abſolut
auseinanderſtrebender Kräfte auf Einen Punct; es iſt der Eindruck des ab-
ſoluten Widerſpruchs, verletzender noch als eine Disharmonie der Farben,
beklemmend und zerreißend wie ein phyſiſcher Schmerz, und daher mit der
ſchlechthinigen, ſpannenden Erwartung alsbaldiger Wiederaufhebung des
Widerſpruchs verbunden. Am ſtärkſten iſt hier die Diſſonanz natürlich bei
der kleinen, ſchon ſchwächer bei der großen Secund. Das Verhältniß der
Schwingungen der Septime iſt dem der Secund verwandt; es iſt gleich-
falls ſehr complicirt, weil es ſich bereits dem Octavenrhythmus nähert, ohne
ihn doch zu erreichen; der Eindruck iſt daher hier ein ähnlicher, man hat
auch hier das Gefühl des Vereintſeins heterogener Töne; die Septime iſt
gewiſſermaßen ſelbſt nur eine umgekehrte und auseinander gerückte Secund,
da ihre Töne, wenn man der Prim ihre gleichlautende Octave ſubſtituirt,
im Secundenverhältniß zu einander ſtehen. Aber bei der großen Septime
(8:15) iſt der Eindruck der Diſſonanz dadurch etwas minder verletzend, daß
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 884. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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