zum Uebergang nach g c e drängt, weil die zu hoch hinauf geschobene Septime zur Sext herabdrückt, obwohl von ihm z. B. auch direct oder mittelst Umwandlung zum verminderten Septimenaccord (gis h d f) in Amoll oder dur übergegangen, oder zunächst ein anderer nächstliegender Septimenaccord, nach diesem wieder ein dritter u. s. f. gesetzt werden kann, so daß die Auflösung sich verzögert und erst nach einer Reihe von Septimen- accorden erfolgt. Um der in ihm liegenden Unaufgelöstheit und Spannung willen kann weder dieser noch ein anderer Septimenaccord ein Tonstück schließen, in der Regel es auch nicht anfangen, obwohl in einzelnen Fällen, wie in Beethoven's Prometheusouvertüre, ein eigenthümlicher Effect des Unerwarteten, heftig Aufprallenden damit erreicht wird; wohl aber kann inmitten eines Tonwerks länger auf ihm, namentlich in seiner ursprüng- lichen Lage, verweilt werden, um eine rasche, heftige pathetische Bewegung ihren Höhe- und Endpunct in diesem Accord finden zu lassen, der gerade vermöge seines gespannten, Lösung verlangenden Charakters sich ebenso dazu eignet, ein mächtiges sich zur Höhe Ringen, ein höchstes Durchdrungensein von Schmerz, Sehnsucht, Liebe auszudrücken, als dazu, einen Passus, in welchem solche Empfindungen sich lebendig aussprechen, zu beschließen und den Uebergang zu einer wieder ruhigern Bewegung anzubahnen. Kaum weniger bedeutend ist der auf der großen Septime oder dem Leitton der Mollscala errichtete, blos aus kleinen Terzen bestehende Vierklang, der sogen. verminderte Septimenaccord (h d f as); er klingt seiner Zusammen- setzung gemäß etwas enger, beklemmter, pathetischer, wollüstiger als der Dominantseptimenaccord, wiewohl auch noch gefällig; in Dur dagegen, mit großer oberer Terz (h d f a) hat er etwas weniger gleichförmig Ab- gerundetes, etwas Uebergreifendes, Ueberschwellendkräftiges, jedoch nicht das Einleuchtende und Natürliche des gleichmäßiger gebauten verminderten Septimenaccords. Verwandt mit dem Durseptimenaccord auf dem Leitton, wiewohl weniger ungewöhnlichen Klangs, weil er nicht wie jener einen verengten, "verminderten" Dreiklang (h d f) hat, ist der Septimenaccord auf zweiter, dritter und sechster Stufe der Durleiter (d f a c u. s. f.) oder auf erster, vierter und fünfter Stufe der (absteigenden) Mollleiter (auch weicher Septimenaccord genannt); die Spannung ist bei diesem Accord sehr groß, der Charakter des Unaufgelösten tritt in ihm weit entschiedener hervor, als beim gewöhnlichen oder verminderten Septimenaccord, es fehlt durch- aus der diesen beiden eigene Reiz des Unentschiedenen und des durch die Dissonanz hindurchklingenden hellen Wohlklangs. Absolut dissonirend und daher nur als Uebergangsaccorde zu gebrauchen sind Accorde, in denen Tonica und große Septim zusammen kommen (c e g h, c es g h u. s. w.), wogegen unter den Nonenaccorden der große (der Duraccord g h d f a) einen ähnlichen nur noch kräftigern Eindruck zu großer Ueberfülle, zu weiten
58*
zum Uebergang nach g c e drängt, weil die zu hoch hinauf geſchobene Septime zur Sext herabdrückt, obwohl von ihm z. B. auch direct oder mittelſt Umwandlung zum verminderten Septimenaccord (gis h d f) in Amoll oder dur übergegangen, oder zunächſt ein anderer nächſtliegender Septimenaccord, nach dieſem wieder ein dritter u. ſ. f. geſetzt werden kann, ſo daß die Auflöſung ſich verzögert und erſt nach einer Reihe von Septimen- accorden erfolgt. Um der in ihm liegenden Unaufgelöstheit und Spannung willen kann weder dieſer noch ein anderer Septimenaccord ein Tonſtück ſchließen, in der Regel es auch nicht anfangen, obwohl in einzelnen Fällen, wie in Beethoven’s Prometheusouvertüre, ein eigenthümlicher Effect des Unerwarteten, heftig Aufprallenden damit erreicht wird; wohl aber kann inmitten eines Tonwerks länger auf ihm, namentlich in ſeiner urſprüng- lichen Lage, verweilt werden, um eine raſche, heftige pathetiſche Bewegung ihren Höhe- und Endpunct in dieſem Accord finden zu laſſen, der gerade vermöge ſeines geſpannten, Löſung verlangenden Charakters ſich ebenſo dazu eignet, ein mächtiges ſich zur Höhe Ringen, ein höchſtes Durchdrungenſein von Schmerz, Sehnſucht, Liebe auszudrücken, als dazu, einen Paſſus, in welchem ſolche Empfindungen ſich lebendig ausſprechen, zu beſchließen und den Uebergang zu einer wieder ruhigern Bewegung anzubahnen. Kaum weniger bedeutend iſt der auf der großen Septime oder dem Leitton der Mollſcala errichtete, blos aus kleinen Terzen beſtehende Vierklang, der ſogen. verminderte Septimenaccord (h d f as); er klingt ſeiner Zuſammen- ſetzung gemäß etwas enger, beklemmter, pathetiſcher, wollüſtiger als der Dominantſeptimenaccord, wiewohl auch noch gefällig; in Dur dagegen, mit großer oberer Terz (h d f a) hat er etwas weniger gleichförmig Ab- gerundetes, etwas Uebergreifendes, Ueberſchwellendkräftiges, jedoch nicht das Einleuchtende und Natürliche des gleichmäßiger gebauten verminderten Septimenaccords. Verwandt mit dem Durſeptimenaccord auf dem Leitton, wiewohl weniger ungewöhnlichen Klangs, weil er nicht wie jener einen verengten, „verminderten“ Dreiklang (h d f) hat, iſt der Septimenaccord auf zweiter, dritter und ſechster Stufe der Durleiter (d f a c u. ſ. f.) oder auf erſter, vierter und fünfter Stufe der (abſteigenden) Mollleiter (auch weicher Septimenaccord genannt); die Spannung iſt bei dieſem Accord ſehr groß, der Charakter des Unaufgelösten tritt in ihm weit entſchiedener hervor, als beim gewöhnlichen oder verminderten Septimenaccord, es fehlt durch- aus der dieſen beiden eigene Reiz des Unentſchiedenen und des durch die Diſſonanz hindurchklingenden hellen Wohlklangs. Abſolut diſſonirend und daher nur als Uebergangsaccorde zu gebrauchen ſind Accorde, in denen Tonica und große Septim zuſammen kommen (c e g h, c es g h u. ſ. w.), wogegen unter den Nonenaccorden der große (der Duraccord g h d f a) einen ähnlichen nur noch kräftigern Eindruck zu großer Ueberfülle, zu weiten
58*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0127"n="889"/>
zum Uebergang nach <hirendition="#aq">g c e</hi> drängt, weil die zu hoch hinauf geſchobene<lb/>
Septime zur Sext herabdrückt, obwohl von ihm z. B. auch direct oder<lb/>
mittelſt Umwandlung zum verminderten Septimenaccord (<hirendition="#aq">gis h d f</hi>) in<lb/><hirendition="#aq">Amoll</hi> oder <hirendition="#aq">dur</hi> übergegangen, oder zunächſt ein anderer nächſtliegender<lb/>
Septimenaccord, nach dieſem wieder ein dritter u. ſ. f. geſetzt werden kann,<lb/>ſo daß die Auflöſung ſich verzögert und erſt nach einer Reihe von Septimen-<lb/>
accorden erfolgt. Um der in ihm liegenden Unaufgelöstheit und Spannung<lb/>
willen kann weder dieſer noch ein anderer Septimenaccord ein Tonſtück<lb/>ſchließen, in der Regel es auch nicht anfangen, obwohl in einzelnen Fällen,<lb/>
wie in Beethoven’s Prometheusouvertüre, ein eigenthümlicher Effect des<lb/>
Unerwarteten, heftig Aufprallenden damit erreicht wird; wohl aber kann<lb/>
inmitten eines Tonwerks länger auf ihm, namentlich in ſeiner urſprüng-<lb/>
lichen Lage, verweilt werden, um eine raſche, heftige pathetiſche Bewegung<lb/>
ihren Höhe- und Endpunct in dieſem Accord finden zu laſſen, der gerade<lb/>
vermöge ſeines geſpannten, Löſung verlangenden Charakters ſich ebenſo dazu<lb/>
eignet, ein mächtiges ſich zur Höhe Ringen, ein höchſtes Durchdrungenſein<lb/>
von Schmerz, Sehnſucht, Liebe auszudrücken, als dazu, einen Paſſus, in<lb/>
welchem ſolche Empfindungen ſich lebendig ausſprechen, zu beſchließen und<lb/>
den Uebergang zu einer wieder ruhigern Bewegung anzubahnen. Kaum<lb/>
weniger bedeutend iſt der auf der großen Septime oder dem Leitton der<lb/>
Mollſcala errichtete, blos aus kleinen Terzen beſtehende Vierklang, der ſogen.<lb/><hirendition="#g">verminderte Septimenaccord</hi> (<hirendition="#aq">h d f as</hi>); er klingt ſeiner Zuſammen-<lb/>ſetzung gemäß etwas enger, beklemmter, pathetiſcher, wollüſtiger als der<lb/>
Dominantſeptimenaccord, wiewohl auch noch gefällig; in Dur dagegen,<lb/>
mit großer oberer Terz (<hirendition="#aq">h d f a</hi>) hat er etwas weniger gleichförmig Ab-<lb/>
gerundetes, etwas Uebergreifendes, Ueberſchwellendkräftiges, jedoch nicht<lb/>
das Einleuchtende und Natürliche des gleichmäßiger gebauten verminderten<lb/>
Septimenaccords. Verwandt mit dem Durſeptimenaccord auf dem Leitton,<lb/>
wiewohl weniger ungewöhnlichen Klangs, weil er nicht wie jener einen<lb/>
verengten, „verminderten“ Dreiklang (<hirendition="#aq">h d f</hi>) hat, iſt der Septimenaccord<lb/>
auf zweiter, dritter und ſechster Stufe der Durleiter (<hirendition="#aq">d f a c</hi> u. ſ. f.) oder<lb/>
auf erſter, vierter und fünfter Stufe der (abſteigenden) Mollleiter (auch<lb/>
weicher Septimenaccord genannt); die Spannung iſt bei dieſem Accord ſehr<lb/>
groß, der Charakter des Unaufgelösten tritt in ihm weit entſchiedener hervor,<lb/>
als beim gewöhnlichen oder verminderten Septimenaccord, es fehlt durch-<lb/>
aus der dieſen beiden eigene Reiz des Unentſchiedenen und des durch die<lb/>
Diſſonanz hindurchklingenden hellen Wohlklangs. Abſolut diſſonirend und<lb/>
daher nur als Uebergangsaccorde zu gebrauchen ſind Accorde, in denen<lb/>
Tonica und große Septim zuſammen kommen (<hirendition="#aq">c e g h, c es g h</hi> u. ſ. w.),<lb/>
wogegen unter den Nonenaccorden der große (der Duraccord <hirendition="#aq">g h d f a</hi>)<lb/>
einen ähnlichen nur noch kräftigern Eindruck zu großer Ueberfülle, zu weiten</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">58*</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[889/0127]
zum Uebergang nach g c e drängt, weil die zu hoch hinauf geſchobene
Septime zur Sext herabdrückt, obwohl von ihm z. B. auch direct oder
mittelſt Umwandlung zum verminderten Septimenaccord (gis h d f) in
Amoll oder dur übergegangen, oder zunächſt ein anderer nächſtliegender
Septimenaccord, nach dieſem wieder ein dritter u. ſ. f. geſetzt werden kann,
ſo daß die Auflöſung ſich verzögert und erſt nach einer Reihe von Septimen-
accorden erfolgt. Um der in ihm liegenden Unaufgelöstheit und Spannung
willen kann weder dieſer noch ein anderer Septimenaccord ein Tonſtück
ſchließen, in der Regel es auch nicht anfangen, obwohl in einzelnen Fällen,
wie in Beethoven’s Prometheusouvertüre, ein eigenthümlicher Effect des
Unerwarteten, heftig Aufprallenden damit erreicht wird; wohl aber kann
inmitten eines Tonwerks länger auf ihm, namentlich in ſeiner urſprüng-
lichen Lage, verweilt werden, um eine raſche, heftige pathetiſche Bewegung
ihren Höhe- und Endpunct in dieſem Accord finden zu laſſen, der gerade
vermöge ſeines geſpannten, Löſung verlangenden Charakters ſich ebenſo dazu
eignet, ein mächtiges ſich zur Höhe Ringen, ein höchſtes Durchdrungenſein
von Schmerz, Sehnſucht, Liebe auszudrücken, als dazu, einen Paſſus, in
welchem ſolche Empfindungen ſich lebendig ausſprechen, zu beſchließen und
den Uebergang zu einer wieder ruhigern Bewegung anzubahnen. Kaum
weniger bedeutend iſt der auf der großen Septime oder dem Leitton der
Mollſcala errichtete, blos aus kleinen Terzen beſtehende Vierklang, der ſogen.
verminderte Septimenaccord (h d f as); er klingt ſeiner Zuſammen-
ſetzung gemäß etwas enger, beklemmter, pathetiſcher, wollüſtiger als der
Dominantſeptimenaccord, wiewohl auch noch gefällig; in Dur dagegen,
mit großer oberer Terz (h d f a) hat er etwas weniger gleichförmig Ab-
gerundetes, etwas Uebergreifendes, Ueberſchwellendkräftiges, jedoch nicht
das Einleuchtende und Natürliche des gleichmäßiger gebauten verminderten
Septimenaccords. Verwandt mit dem Durſeptimenaccord auf dem Leitton,
wiewohl weniger ungewöhnlichen Klangs, weil er nicht wie jener einen
verengten, „verminderten“ Dreiklang (h d f) hat, iſt der Septimenaccord
auf zweiter, dritter und ſechster Stufe der Durleiter (d f a c u. ſ. f.) oder
auf erſter, vierter und fünfter Stufe der (abſteigenden) Mollleiter (auch
weicher Septimenaccord genannt); die Spannung iſt bei dieſem Accord ſehr
groß, der Charakter des Unaufgelösten tritt in ihm weit entſchiedener hervor,
als beim gewöhnlichen oder verminderten Septimenaccord, es fehlt durch-
aus der dieſen beiden eigene Reiz des Unentſchiedenen und des durch die
Diſſonanz hindurchklingenden hellen Wohlklangs. Abſolut diſſonirend und
daher nur als Uebergangsaccorde zu gebrauchen ſind Accorde, in denen
Tonica und große Septim zuſammen kommen (c e g h, c es g h u. ſ. w.),
wogegen unter den Nonenaccorden der große (der Duraccord g h d f a)
einen ähnlichen nur noch kräftigern Eindruck zu großer Ueberfülle, zu weiten
58*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 889. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/127>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.