mit F, nicht als Gis, F als verwandt mit D moll u. s. w. (§. 773). -- Accorde, die man Durchgangsaccorde nennen kann, entstehen durch die sogenannten Vorhalte, d. h. dadurch, daß bei der Aufeinanderfolge zweier Accorde eine Stimme (z. B. d) des ersten Accords (h f g d) nach Anschlagen zweier Stimmen (c und e) des zweiten Accords (c e c) noch forttönt und die dritte Stimme (c) des zweiten daher erst nachträglich eintritt. Diese sich gleichsam verspätenden Töne oder Vorhalte dienen, wie nur in anderer Weise die geschärften Zusammenklänge, zur engern Verknüpfung des Ton- fortgangs und können ganz eigenthümliche Effecte des Ineinanderüberfließens, einander nur allmälig Ablösens der Tonfolgen hervorbringen. Wiederum verwandt hiemit ist ein Accord, den man überladenen Accord nennen kann; auf einen Accord folgt ein zweiter vollständig, aber es bleibt ein Ton des erstern, sich gleichfalls verspätend, unter oder über diesem zweiten Accorde stehen, oder tritt zu einem Accord ein Ton hinzu, der erst Haupt- ton des folgenden Accords werden soll, diesem also vorgreift (z. B. am Ende von Tonstücken die Tonica zum Dominantseptimenaccord). Ein solcher fremder Ton kann während einer längern Reihe aufeinander folgender Accorde liegen bleiben; solche Stellen heißen, wenn dieser Ton, sei es nun Tonica oder Dominant, in der Tiefe liegt, Orgelpunct (weil auf diesem Instrument die Anwendung dieser Form sich ganz besonders leicht und wirksam anwenden läßt). Zufällige Accorde endlich entstehen, wenn über einem liegenbleibenden Accord (z. B. dem tonischen Dreiklang) eine melodische Folge (z. B. die Scala) sich bewegt und so der Accord zum Theil mit Stufen der Tonleiter, die ihm an sich fremd sind, zusammentönt; diese Accorde, da sie nur vorübergehende Zusammenklänge sind, werden kaum als Dissonanzen wahrgenommen, sind aber gleichfalls sehr wichtig und häufig, da sie einer beweglichen Melodie eine einfachere, ruhiger beharrende Har- monie zur Basis geben.
Aus dem über die verschiedenen Gattungen der Accorde Bemerkten geht zugleich hervor, daß sich unter ihnen wesentliche Unterschiede finden in Bezug auf Einfachheit und Natürlichkeit. Alle über den Dur- oder Moll- Dreiklang hinausgehenden, sowohl die Septimen- und die ihnen verwandten als die durch Hereinnahme leiterfremder Töne entstehenden Accorde haben etwas Ungewöhnliches, Spannendes, Drängendes, etwas halb Trübes, halb Wollüstiges, und ebenso bringt ihr Gebrauch in die Tonverknüpfung, weil sie weit unmittelbarer als die Dreiklänge zur Auflösung in nächststehende, namentlich nur um Halbtöne entlegene Accorde hinführen, einen Charakter theils des leidenschaftlich Drängenden, theils der weichen, innigen, reizen- den, schmelzenden Continuität der einander ablösenden Töne, den der Fort- gang in Dreiklängen nie so erreichen kann; dieser letztere ist ruhiger, heller, ernster, weniger sentimental pathetisch, aber auch unvermittelter, härter und
mit F, nicht als Gis, F als verwandt mit D moll u. ſ. w. (§. 773). — Accorde, die man Durchgangsaccorde nennen kann, entſtehen durch die ſogenannten Vorhalte, d. h. dadurch, daß bei der Aufeinanderfolge zweier Accorde eine Stimme (z. B. d) des erſten Accords (h f g d) nach Anſchlagen zweier Stimmen (c und e) des zweiten Accords (c e c) noch forttönt und die dritte Stimme (c) des zweiten daher erſt nachträglich eintritt. Dieſe ſich gleichſam verſpätenden Töne oder Vorhalte dienen, wie nur in anderer Weiſe die geſchärften Zuſammenklänge, zur engern Verknüpfung des Ton- fortgangs und können ganz eigenthümliche Effecte des Ineinanderüberfließens, einander nur allmälig Ablöſens der Tonfolgen hervorbringen. Wiederum verwandt hiemit iſt ein Accord, den man überladenen Accord nennen kann; auf einen Accord folgt ein zweiter vollſtändig, aber es bleibt ein Ton des erſtern, ſich gleichfalls verſpätend, unter oder über dieſem zweiten Accorde ſtehen, oder tritt zu einem Accord ein Ton hinzu, der erſt Haupt- ton des folgenden Accords werden ſoll, dieſem alſo vorgreift (z. B. am Ende von Tonſtücken die Tonica zum Dominantſeptimenaccord). Ein ſolcher fremder Ton kann während einer längern Reihe aufeinander folgender Accorde liegen bleiben; ſolche Stellen heißen, wenn dieſer Ton, ſei es nun Tonica oder Dominant, in der Tiefe liegt, Orgelpunct (weil auf dieſem Inſtrument die Anwendung dieſer Form ſich ganz beſonders leicht und wirkſam anwenden läßt). Zufällige Accorde endlich entſtehen, wenn über einem liegenbleibenden Accord (z. B. dem toniſchen Dreiklang) eine melodiſche Folge (z. B. die Scala) ſich bewegt und ſo der Accord zum Theil mit Stufen der Tonleiter, die ihm an ſich fremd ſind, zuſammentönt; dieſe Accorde, da ſie nur vorübergehende Zuſammenklänge ſind, werden kaum als Diſſonanzen wahrgenommen, ſind aber gleichfalls ſehr wichtig und häufig, da ſie einer beweglichen Melodie eine einfachere, ruhiger beharrende Har- monie zur Baſis geben.
Aus dem über die verſchiedenen Gattungen der Accorde Bemerkten geht zugleich hervor, daß ſich unter ihnen weſentliche Unterſchiede finden in Bezug auf Einfachheit und Natürlichkeit. Alle über den Dur- oder Moll- Dreiklang hinausgehenden, ſowohl die Septimen- und die ihnen verwandten als die durch Hereinnahme leiterfremder Töne entſtehenden Accorde haben etwas Ungewöhnliches, Spannendes, Drängendes, etwas halb Trübes, halb Wollüſtiges, und ebenſo bringt ihr Gebrauch in die Tonverknüpfung, weil ſie weit unmittelbarer als die Dreiklänge zur Auflöſung in nächſtſtehende, namentlich nur um Halbtöne entlegene Accorde hinführen, einen Charakter theils des leidenſchaftlich Drängenden, theils der weichen, innigen, reizen- den, ſchmelzenden Continuität der einander ablöſenden Töne, den der Fort- gang in Dreiklängen nie ſo erreichen kann; dieſer letztere iſt ruhiger, heller, ernſter, weniger ſentimental pathetiſch, aber auch unvermittelter, härter und
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mit F, nicht als Gis, F als verwandt mit D moll u. ſ. w. (§. 773). —
Accorde, die man Durchgangsaccorde nennen kann, entſtehen durch die
ſogenannten Vorhalte, d. h. dadurch, daß bei der Aufeinanderfolge zweier
Accorde eine Stimme (z. B. d) des erſten Accords (h f g d) nach Anſchlagen
zweier Stimmen (c und e) des zweiten Accords (c e c) noch forttönt und
die dritte Stimme (c) des zweiten daher erſt nachträglich eintritt. Dieſe
ſich gleichſam verſpätenden Töne oder Vorhalte dienen, wie nur in anderer
Weiſe die geſchärften Zuſammenklänge, zur engern Verknüpfung des Ton-
fortgangs und können ganz eigenthümliche Effecte des Ineinanderüberfließens,
einander nur allmälig Ablöſens der Tonfolgen hervorbringen. Wiederum
verwandt hiemit iſt ein Accord, den man überladenen Accord nennen
kann; auf einen Accord folgt ein zweiter vollſtändig, aber es bleibt ein
Ton des erſtern, ſich gleichfalls verſpätend, unter oder über dieſem zweiten
Accorde ſtehen, oder tritt zu einem Accord ein Ton hinzu, der erſt Haupt-
ton des folgenden Accords werden ſoll, dieſem alſo vorgreift (z. B. am
Ende von Tonſtücken die Tonica zum Dominantſeptimenaccord). Ein ſolcher
fremder Ton kann während einer längern Reihe aufeinander folgender
Accorde liegen bleiben; ſolche Stellen heißen, wenn dieſer Ton, ſei es nun
Tonica oder Dominant, in der Tiefe liegt, Orgelpunct (weil auf dieſem
Inſtrument die Anwendung dieſer Form ſich ganz beſonders leicht und
wirkſam anwenden läßt). Zufällige Accorde endlich entſtehen, wenn
über einem liegenbleibenden Accord (z. B. dem toniſchen Dreiklang) eine
melodiſche Folge (z. B. die Scala) ſich bewegt und ſo der Accord zum Theil
mit Stufen der Tonleiter, die ihm an ſich fremd ſind, zuſammentönt; dieſe
Accorde, da ſie nur vorübergehende Zuſammenklänge ſind, werden kaum als
Diſſonanzen wahrgenommen, ſind aber gleichfalls ſehr wichtig und häufig,
da ſie einer beweglichen Melodie eine einfachere, ruhiger beharrende Har-
monie zur Baſis geben.
Aus dem über die verſchiedenen Gattungen der Accorde Bemerkten
geht zugleich hervor, daß ſich unter ihnen weſentliche Unterſchiede finden in
Bezug auf Einfachheit und Natürlichkeit. Alle über den Dur- oder Moll-
Dreiklang hinausgehenden, ſowohl die Septimen- und die ihnen verwandten
als die durch Hereinnahme leiterfremder Töne entſtehenden Accorde haben
etwas Ungewöhnliches, Spannendes, Drängendes, etwas halb Trübes, halb
Wollüſtiges, und ebenſo bringt ihr Gebrauch in die Tonverknüpfung, weil
ſie weit unmittelbarer als die Dreiklänge zur Auflöſung in nächſtſtehende,
namentlich nur um Halbtöne entlegene Accorde hinführen, einen Charakter
theils des leidenſchaftlich Drängenden, theils der weichen, innigen, reizen-
den, ſchmelzenden Continuität der einander ablöſenden Töne, den der Fort-
gang in Dreiklängen nie ſo erreichen kann; dieſer letztere iſt ruhiger, heller,
ernſter, weniger ſentimental pathetiſch, aber auch unvermittelter, härter und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 891. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/129>, abgerufen am 21.11.2024.
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