Tonstückes oder einzelner Theile desselben; die beiderseitigen Momente können entweder zu Einem Zwecke, zu erhöhter Schnelligkeit oder (wie in einem Chorgesange) zu absoluter, maaßvoller, schwerwiegender Langsamkeit zu- sammenwirken, oder können sie in Gegensatz zu einander treten, indem beschleunigterem Tempo langsamere, gehaltenerem Tempo schnellere Fort- bewegung der Taktglieder gegenübertritt; im erstern dieser letztgenannten Fälle hat die Geschwindigkeit doch zugleich einen Charakter der Ruhe, sie ist eine muntere, rüstige, kräftige, nicht aber ungestüm eilende Schnelligkeit, wogegen beim zweiten Falle die langsame Gesammtbewegung des Stücks durch die in einzelnen Takten eintretende schnellere Theilbewegung kurz- gliedriger gemacht oder "figurirt" und durch diese leicht dahingehenden Figuren ihres ruhigen Ganges ungeachtet belebt wird, wie ein ruhig hin- wallender Strom durch leichtes Wellengekräusel, das an seiner Oberfläche spielt. In diesen Combinationen des Tempo und des Rhythmus das Richtige zu treffen, namentlich in längern Tonstücken passend mit ihnen zu wechseln, im Adagio nicht zu wenig und nicht zu viel zu figuriren, im Allegro nicht durch einseitige Beschleunigung (besonders in Läufen) aus- druckslos zu werden, überhaupt im Tonfall alles Mechanische, Charakter- lose, Plumpe zu vermeiden und alle Schönheit zu benützen, die ihm ab- gewonnen werden kann, ist eine Hauptaufgabe der Composition, an deren befriedigender Lösung es sich namentlich erprobt, ob der Tonsetzer mit freiem Blick das Tonmaterial zu beherrschen und ihm auch in diesen feinsten und abstractesten Beziehungen eine von künstlerischem Geiste eingegebene Ge- staltung zu verleihen vermag.
§. 777.
Die allgemeine Bedeutung des rhythmischen Elements für die Musik ist1. eine dreifache: es gibt der Bewegung Ordnung und Klarheit; es bestimmt den Bewegungscharakter des Tonwerks in eigenthümlicher Weise; und es verleiht demselben eine in aller mathematischen Gesetzmäßigkeit höchst mannigfache und kunstvolle Gliederung, die sich sowohl auf die Zeitdauer der Töne in ihrem Racheinander, als auf die Zusammenordnung gleichzeitiger Töne bezieht. Eine2. falsche Stellung erhält die Rhythmik, wenn sie zur Hauptsache gemacht wird, indem hiedurch die abstract formelle Seite der Musik einseitig hervortritt und so das eigentlich Musikalische verloren geht.
1. Der erste Satz des §. faßt die der Sache nach schon im Früheren enthaltenen allgemeinen Momente in Eins zusammen, um daran die Er- örterung der allgemeinen Bedeutung des Rhythmus für das Wesen der Musik anzuknüpfen. Der geregelte Rhythmus ist kurz gesagt das archi-
Tonſtückes oder einzelner Theile deſſelben; die beiderſeitigen Momente können entweder zu Einem Zwecke, zu erhöhter Schnelligkeit oder (wie in einem Chorgeſange) zu abſoluter, maaßvoller, ſchwerwiegender Langſamkeit zu- ſammenwirken, oder können ſie in Gegenſatz zu einander treten, indem beſchleunigterem Tempo langſamere, gehaltenerem Tempo ſchnellere Fort- bewegung der Taktglieder gegenübertritt; im erſtern dieſer letztgenannten Fälle hat die Geſchwindigkeit doch zugleich einen Charakter der Ruhe, ſie iſt eine muntere, rüſtige, kräftige, nicht aber ungeſtüm eilende Schnelligkeit, wogegen beim zweiten Falle die langſame Geſammtbewegung des Stücks durch die in einzelnen Takten eintretende ſchnellere Theilbewegung kurz- gliedriger gemacht oder „figurirt“ und durch dieſe leicht dahingehenden Figuren ihres ruhigen Ganges ungeachtet belebt wird, wie ein ruhig hin- wallender Strom durch leichtes Wellengekräuſel, das an ſeiner Oberfläche ſpielt. In dieſen Combinationen des Tempo und des Rhythmus das Richtige zu treffen, namentlich in längern Tonſtücken paſſend mit ihnen zu wechſeln, im Adagio nicht zu wenig und nicht zu viel zu figuriren, im Allegro nicht durch einſeitige Beſchleunigung (beſonders in Läufen) aus- druckslos zu werden, überhaupt im Tonfall alles Mechaniſche, Charakter- loſe, Plumpe zu vermeiden und alle Schönheit zu benützen, die ihm ab- gewonnen werden kann, iſt eine Hauptaufgabe der Compoſition, an deren befriedigender Löſung es ſich namentlich erprobt, ob der Tonſetzer mit freiem Blick das Tonmaterial zu beherrſchen und ihm auch in dieſen feinſten und abſtracteſten Beziehungen eine von künſtleriſchem Geiſte eingegebene Ge- ſtaltung zu verleihen vermag.
§. 777.
Die allgemeine Bedeutung des rhythmiſchen Elements für die Muſik iſt1. eine dreifache: es gibt der Bewegung Ordnung und Klarheit; es beſtimmt den Bewegungscharakter des Tonwerks in eigenthümlicher Weiſe; und es verleiht demſelben eine in aller mathematiſchen Geſetzmäßigkeit höchſt mannigfache und kunſtvolle Gliederung, die ſich ſowohl auf die Zeitdauer der Töne in ihrem Racheinander, als auf die Zuſammenordnung gleichzeitiger Töne bezieht. Eine2. falſche Stellung erhält die Rhythmik, wenn ſie zur Hauptſache gemacht wird, indem hiedurch die abſtract formelle Seite der Muſik einſeitig hervortritt und ſo das eigentlich Muſikaliſche verloren geht.
1. Der erſte Satz des §. faßt die der Sache nach ſchon im Früheren enthaltenen allgemeinen Momente in Eins zuſammen, um daran die Er- örterung der allgemeinen Bedeutung des Rhythmus für das Weſen der Muſik anzuknüpfen. Der geregelte Rhythmus iſt kurz geſagt das archi-
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Tonſtückes oder einzelner Theile deſſelben; die beiderſeitigen Momente können
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Chorgeſange) zu abſoluter, maaßvoller, ſchwerwiegender Langſamkeit zu-
ſammenwirken, oder können ſie in Gegenſatz zu einander treten, indem
beſchleunigterem Tempo langſamere, gehaltenerem Tempo ſchnellere Fort-
bewegung der Taktglieder gegenübertritt; im erſtern dieſer letztgenannten
Fälle hat die Geſchwindigkeit doch zugleich einen Charakter der Ruhe, ſie
iſt eine muntere, rüſtige, kräftige, nicht aber ungeſtüm eilende Schnelligkeit,
wogegen beim zweiten Falle die langſame Geſammtbewegung des Stücks
durch die in einzelnen Takten eintretende ſchnellere Theilbewegung kurz-
gliedriger gemacht oder „figurirt“ und durch dieſe leicht dahingehenden
Figuren ihres ruhigen Ganges ungeachtet belebt wird, wie ein ruhig hin-
wallender Strom durch leichtes Wellengekräuſel, das an ſeiner Oberfläche
ſpielt. In dieſen Combinationen des Tempo und des Rhythmus das
Richtige zu treffen, namentlich in längern Tonſtücken paſſend mit ihnen zu
wechſeln, im Adagio nicht zu wenig und nicht zu viel zu figuriren, im
Allegro nicht durch einſeitige Beſchleunigung (beſonders in Läufen) aus-
druckslos zu werden, überhaupt im Tonfall alles Mechaniſche, Charakter-
loſe, Plumpe zu vermeiden und alle Schönheit zu benützen, die ihm ab-
gewonnen werden kann, iſt eine Hauptaufgabe der Compoſition, an deren
befriedigender Löſung es ſich namentlich erprobt, ob der Tonſetzer mit freiem
Blick das Tonmaterial zu beherrſchen und ihm auch in dieſen feinſten und
abſtracteſten Beziehungen eine von künſtleriſchem Geiſte eingegebene Ge-
ſtaltung zu verleihen vermag.
§. 777.
Die allgemeine Bedeutung des rhythmiſchen Elements für die Muſik iſt
eine dreifache: es gibt der Bewegung Ordnung und Klarheit; es beſtimmt den
Bewegungscharakter des Tonwerks in eigenthümlicher Weiſe; und es verleiht
demſelben eine in aller mathematiſchen Geſetzmäßigkeit höchſt mannigfache und
kunſtvolle Gliederung, die ſich ſowohl auf die Zeitdauer der Töne in ihrem
Racheinander, als auf die Zuſammenordnung gleichzeitiger Töne bezieht. Eine
falſche Stellung erhält die Rhythmik, wenn ſie zur Hauptſache gemacht wird,
indem hiedurch die abſtract formelle Seite der Muſik einſeitig hervortritt und
ſo das eigentlich Muſikaliſche verloren geht.
1. Der erſte Satz des §. faßt die der Sache nach ſchon im Früheren
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 909. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/147>, abgerufen am 24.11.2024.
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