immer wieder durch drei Umstände anmerkt, einmal dadurch, daß die stetige Hinauf- und Herabbewegung ein Ankommen bei der Octave vermuthen läßt, für's zweite dadurch, daß die Bewegung innerhalb der Tonart des Grund- tons bleibt, und für's dritte dadurch, daß diese Bewegung die auf den Grundton unmittelbar hinweisenden Hauptstufen der Leiter, Quint und Terz, berührt. Eine solche Bewegung leuchtet ein, sie ist motivirt und in sich abgeschlossen -- denn man sieht, daß in ihr alles einen Zweck hat, man sieht, auf was sie hinaus will, auf Vorführung aller Töne, die nach einem bestimmten Tongeschlecht sich vom Grundtone aus als Mitte zwischen ihm und seinen Octaven ergeben, sowie auf Wiedererreichen des Grundtones; -- sie macht den Eindruck des natürlichen, nicht willkürlich subjectiven, sondern objectiv begründeten Fortschritts -- denn sie geht vom Grundton aus vor- wärts in Tonweiten, die der natürlichen Gehörorganisation gemäß sind, und durch Tonstufen, welche das Gehör als wesentliche, in charakteristischer Beziehung zum Grundton stehende Intervalle sogleich ansprechen; -- sie gefällt, weil sie die Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück in concreter lückenloser Weise, mit immerhin mannigfachem Tonwechsel zur Anschauung bringt und dabei doch durch ihre Einfachheit Alles ausschließt, was diese Anschaulichkeit verdunkeln oder stören könnte. Alle diese Ver- hältnisse, welche die Scala als Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück klar, natürlich und gefällig machen, kehren, nur in weniger einfacher Weise und in großartigerem Maaßstabe, bei aller kunstmäßig geformten Musik, bei aller Melodie wieder und sind Bedingung derselben; klar wird alle Musik nur durch Festhaltung des Grundtons und seiner Tonart, durch Vermeidung zu vieler und entlegener Modulationen, durch rechtzeitiges Zurücksteuern zum Ausgangspuncte; natürlich wird sie bei kleinern Stücken nur durch einen Tonfortgang, der die Hauptstufen der gewählten Scala auch mitergreift, sie hervortreten läßt, hie und da auf ihnen ruht, bei größern durch längere Ausweichungen nur in solche Tonarten, die zur ursprünglichen in näherer Beziehung stehen; gefällig nur durch die ebenso mannigfaltige, wechselreiche als einfach ungezwungene, anschauliche Weise, mit der sie ebenso den Fortgang vom Grundton oder der Grundtonart hinweg wie die Zurückwendung zu ihnen bewerkstelligt. In anderer Rück- sicht freilich, nämlich noch mannigfaltigeren Tonfolgen gegenüber, gefällt die Scala nicht, weil sie zu stetig und uniform ist; sie gefällt doch nur in Vergleich mit gar zu einfachen Fortbewegungen, z. B. von Prim über Quint zur Octave, sowie in Vergleich mit ganz unbestimmt in's Blaue gehenden Tonaggregationen, und dieser Punct führt uns nun 2) auf eine weitere Hauptbedingung der musikalischen Kunstform, auf das Charakteristische und Ausdrucksvolle. Das Charakteristische fehlt auch der Scala ihrer Uniformität ungeachtet nicht, und wir gehen daher auch hier wieder von
immer wieder durch drei Umſtände anmerkt, einmal dadurch, daß die ſtetige Hinauf- und Herabbewegung ein Ankommen bei der Octave vermuthen läßt, für’s zweite dadurch, daß die Bewegung innerhalb der Tonart des Grund- tons bleibt, und für’s dritte dadurch, daß dieſe Bewegung die auf den Grundton unmittelbar hinweiſenden Hauptſtufen der Leiter, Quint und Terz, berührt. Eine ſolche Bewegung leuchtet ein, ſie iſt motivirt und in ſich abgeſchloſſen — denn man ſieht, daß in ihr alles einen Zweck hat, man ſieht, auf was ſie hinaus will, auf Vorführung aller Töne, die nach einem beſtimmten Tongeſchlecht ſich vom Grundtone aus als Mitte zwiſchen ihm und ſeinen Octaven ergeben, ſowie auf Wiedererreichen des Grundtones; — ſie macht den Eindruck des natürlichen, nicht willkürlich ſubjectiven, ſondern objectiv begründeten Fortſchritts — denn ſie geht vom Grundton aus vor- wärts in Tonweiten, die der natürlichen Gehörorganiſation gemäß ſind, und durch Tonſtufen, welche das Gehör als weſentliche, in charakteriſtiſcher Beziehung zum Grundton ſtehende Intervalle ſogleich anſprechen; — ſie gefällt, weil ſie die Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück in concreter lückenloſer Weiſe, mit immerhin mannigfachem Tonwechſel zur Anſchauung bringt und dabei doch durch ihre Einfachheit Alles ausſchließt, was dieſe Anſchaulichkeit verdunkeln oder ſtören könnte. Alle dieſe Ver- hältniſſe, welche die Scala als Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück klar, natürlich und gefällig machen, kehren, nur in weniger einfacher Weiſe und in großartigerem Maaßſtabe, bei aller kunſtmäßig geformten Muſik, bei aller Melodie wieder und ſind Bedingung derſelben; klar wird alle Muſik nur durch Feſthaltung des Grundtons und ſeiner Tonart, durch Vermeidung zu vieler und entlegener Modulationen, durch rechtzeitiges Zurückſteuern zum Ausgangspuncte; natürlich wird ſie bei kleinern Stücken nur durch einen Tonfortgang, der die Hauptſtufen der gewählten Scala auch mitergreift, ſie hervortreten läßt, hie und da auf ihnen ruht, bei größern durch längere Ausweichungen nur in ſolche Tonarten, die zur urſprünglichen in näherer Beziehung ſtehen; gefällig nur durch die ebenſo mannigfaltige, wechſelreiche als einfach ungezwungene, anſchauliche Weiſe, mit der ſie ebenſo den Fortgang vom Grundton oder der Grundtonart hinweg wie die Zurückwendung zu ihnen bewerkſtelligt. In anderer Rück- ſicht freilich, nämlich noch mannigfaltigeren Tonfolgen gegenüber, gefällt die Scala nicht, weil ſie zu ſtetig und uniform iſt; ſie gefällt doch nur in Vergleich mit gar zu einfachen Fortbewegungen, z. B. von Prim über Quint zur Octave, ſowie in Vergleich mit ganz unbeſtimmt in’s Blaue gehenden Tonaggregationen, und dieſer Punct führt uns nun 2) auf eine weitere Hauptbedingung der muſikaliſchen Kunſtform, auf das Charakteriſtiſche und Ausdrucksvolle. Das Charakteriſtiſche fehlt auch der Scala ihrer Uniformität ungeachtet nicht, und wir gehen daher auch hier wieder von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0156"n="918"/>
immer wieder durch drei Umſtände anmerkt, einmal dadurch, daß die ſtetige<lb/>
Hinauf- und Herabbewegung ein Ankommen bei der Octave vermuthen läßt,<lb/>
für’s zweite dadurch, daß die Bewegung innerhalb der Tonart des Grund-<lb/>
tons bleibt, und für’s dritte dadurch, daß dieſe Bewegung die auf den<lb/>
Grundton unmittelbar hinweiſenden Hauptſtufen der Leiter, Quint und Terz,<lb/>
berührt. Eine ſolche Bewegung leuchtet ein, ſie iſt motivirt und in ſich<lb/>
abgeſchloſſen — denn man ſieht, daß in ihr alles einen Zweck hat, man<lb/>ſieht, auf was ſie hinaus will, auf Vorführung aller Töne, die nach einem<lb/>
beſtimmten Tongeſchlecht ſich vom Grundtone aus als Mitte zwiſchen ihm<lb/>
und ſeinen Octaven ergeben, ſowie auf Wiedererreichen des Grundtones; —<lb/>ſie macht den Eindruck des natürlichen, nicht willkürlich ſubjectiven, ſondern<lb/>
objectiv begründeten Fortſchritts — denn ſie geht vom Grundton aus vor-<lb/>
wärts in Tonweiten, die der natürlichen Gehörorganiſation gemäß ſind,<lb/>
und durch Tonſtufen, welche das Gehör als weſentliche, in charakteriſtiſcher<lb/>
Beziehung zum Grundton ſtehende Intervalle ſogleich anſprechen; —ſie<lb/>
gefällt, weil ſie die Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück in<lb/>
concreter lückenloſer Weiſe, mit immerhin mannigfachem Tonwechſel zur<lb/>
Anſchauung bringt und dabei doch durch ihre Einfachheit Alles ausſchließt,<lb/>
was dieſe Anſchaulichkeit verdunkeln oder ſtören könnte. Alle dieſe Ver-<lb/>
hältniſſe, welche die Scala als Bewegung vom Grundton aus und zu ihm<lb/>
zurück klar, natürlich und gefällig machen, kehren, nur in weniger einfacher<lb/>
Weiſe und in großartigerem Maaßſtabe, bei aller kunſtmäßig geformten<lb/>
Muſik, bei aller Melodie wieder und ſind Bedingung derſelben; klar wird<lb/>
alle Muſik nur durch Feſthaltung des Grundtons und ſeiner Tonart, durch<lb/>
Vermeidung zu vieler und entlegener Modulationen, durch rechtzeitiges<lb/>
Zurückſteuern zum Ausgangspuncte; natürlich wird ſie bei kleinern Stücken<lb/>
nur durch einen Tonfortgang, der die Hauptſtufen der gewählten Scala<lb/>
auch mitergreift, ſie hervortreten läßt, hie und da auf ihnen ruht, bei<lb/>
größern durch längere Ausweichungen nur in ſolche Tonarten, die zur<lb/>
urſprünglichen in näherer Beziehung ſtehen; gefällig nur durch die ebenſo<lb/>
mannigfaltige, wechſelreiche als einfach ungezwungene, anſchauliche Weiſe,<lb/>
mit der ſie ebenſo den Fortgang vom Grundton oder der Grundtonart<lb/>
hinweg wie die Zurückwendung zu ihnen bewerkſtelligt. In anderer Rück-<lb/>ſicht freilich, nämlich noch mannigfaltigeren Tonfolgen gegenüber, gefällt<lb/>
die Scala nicht, weil ſie zu ſtetig und uniform iſt; ſie gefällt doch nur in<lb/>
Vergleich mit gar zu einfachen Fortbewegungen, z. B. von Prim über Quint<lb/>
zur Octave, ſowie in Vergleich mit ganz unbeſtimmt in’s Blaue gehenden<lb/>
Tonaggregationen, und dieſer Punct führt uns nun 2) auf eine weitere<lb/>
Hauptbedingung der muſikaliſchen Kunſtform, auf das <hirendition="#g">Charakteriſtiſche<lb/>
und Ausdrucksvolle</hi>. Das Charakteriſtiſche fehlt auch der Scala ihrer<lb/>
Uniformität ungeachtet nicht, und wir gehen daher auch hier wieder von<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[918/0156]
immer wieder durch drei Umſtände anmerkt, einmal dadurch, daß die ſtetige
Hinauf- und Herabbewegung ein Ankommen bei der Octave vermuthen läßt,
für’s zweite dadurch, daß die Bewegung innerhalb der Tonart des Grund-
tons bleibt, und für’s dritte dadurch, daß dieſe Bewegung die auf den
Grundton unmittelbar hinweiſenden Hauptſtufen der Leiter, Quint und Terz,
berührt. Eine ſolche Bewegung leuchtet ein, ſie iſt motivirt und in ſich
abgeſchloſſen — denn man ſieht, daß in ihr alles einen Zweck hat, man
ſieht, auf was ſie hinaus will, auf Vorführung aller Töne, die nach einem
beſtimmten Tongeſchlecht ſich vom Grundtone aus als Mitte zwiſchen ihm
und ſeinen Octaven ergeben, ſowie auf Wiedererreichen des Grundtones; —
ſie macht den Eindruck des natürlichen, nicht willkürlich ſubjectiven, ſondern
objectiv begründeten Fortſchritts — denn ſie geht vom Grundton aus vor-
wärts in Tonweiten, die der natürlichen Gehörorganiſation gemäß ſind,
und durch Tonſtufen, welche das Gehör als weſentliche, in charakteriſtiſcher
Beziehung zum Grundton ſtehende Intervalle ſogleich anſprechen; — ſie
gefällt, weil ſie die Bewegung vom Grundton aus und zu ihm zurück in
concreter lückenloſer Weiſe, mit immerhin mannigfachem Tonwechſel zur
Anſchauung bringt und dabei doch durch ihre Einfachheit Alles ausſchließt,
was dieſe Anſchaulichkeit verdunkeln oder ſtören könnte. Alle dieſe Ver-
hältniſſe, welche die Scala als Bewegung vom Grundton aus und zu ihm
zurück klar, natürlich und gefällig machen, kehren, nur in weniger einfacher
Weiſe und in großartigerem Maaßſtabe, bei aller kunſtmäßig geformten
Muſik, bei aller Melodie wieder und ſind Bedingung derſelben; klar wird
alle Muſik nur durch Feſthaltung des Grundtons und ſeiner Tonart, durch
Vermeidung zu vieler und entlegener Modulationen, durch rechtzeitiges
Zurückſteuern zum Ausgangspuncte; natürlich wird ſie bei kleinern Stücken
nur durch einen Tonfortgang, der die Hauptſtufen der gewählten Scala
auch mitergreift, ſie hervortreten läßt, hie und da auf ihnen ruht, bei
größern durch längere Ausweichungen nur in ſolche Tonarten, die zur
urſprünglichen in näherer Beziehung ſtehen; gefällig nur durch die ebenſo
mannigfaltige, wechſelreiche als einfach ungezwungene, anſchauliche Weiſe,
mit der ſie ebenſo den Fortgang vom Grundton oder der Grundtonart
hinweg wie die Zurückwendung zu ihnen bewerkſtelligt. In anderer Rück-
ſicht freilich, nämlich noch mannigfaltigeren Tonfolgen gegenüber, gefällt
die Scala nicht, weil ſie zu ſtetig und uniform iſt; ſie gefällt doch nur in
Vergleich mit gar zu einfachen Fortbewegungen, z. B. von Prim über Quint
zur Octave, ſowie in Vergleich mit ganz unbeſtimmt in’s Blaue gehenden
Tonaggregationen, und dieſer Punct führt uns nun 2) auf eine weitere
Hauptbedingung der muſikaliſchen Kunſtform, auf das Charakteriſtiſche
und Ausdrucksvolle. Das Charakteriſtiſche fehlt auch der Scala ihrer
Uniformität ungeachtet nicht, und wir gehen daher auch hier wieder von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 918. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/156>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.