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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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kann allerdings die Kunst sich werfen und davon muß weiterhin mit Nach-
druck die Rede sein, doch nur um zu zeigen, daß dieß nicht wahre Kunst,
diese hat es nur mit dem Gefühle zu thun, das in näherem und nächstem
oder entfernterem Sinn einen ethischen Kern hat.

Der gegenwärtige §. ist nun eine wesentliche Ergänzung von §. 404; der
tiefere Beweis, daß im Organismus der Phantasie eine Nothwendigkeit liegt,
in der empfindenden Form aufzutreten, wurde dort der vorliegenden Stelle
in der Kunstlehre vorbehalten. Zunächst ganz allgemein philosophisch hat
der vorh. §. begründet, daß die Kunst eine besondere Gestalt erzeugen muß,
worin das Subject Alles, worin aller Gegenstand in dasselbe aufgegangen
ist, daß dieses einmal ganz und ausschließlich zum Rechte kommen muß,
um zu zeigen, daß es auch in der bildenden Kunst überall nicht das bloße
Object, sondern seine Durchdringung und Durchgeistigung war, was dem
Stoffe seinen Kunstwerth gab. Fragt es sich nun, wie diese Forderung sich
realisiren soll, so leuchtet ein, daß dieß durch keinerlei Verhalten geschehen
kann, worin der Geist auf gegebene Objecte als solche gerichtet ist. Die
Anschauung hat das Ihrige in der bildenden Kunst, die auf ihren Stand-
punct sich stellte, gethan; ob die verinnerlichte Anschauung, die Vorstellung,
also das Einbilden ganz allgemein, ebenfalls den Standpunct abgeben kann,
auf den die Phantasie sich stellt, kann hier nicht zur Sprache kommen, denn
auch diese Form beruht auf bestimmtem Verhalten zu Objecten. Es bleibt
also nur das Subjectivste im Subject, das Gefühl, als Organ der gefor-
derten Leistung übrig: die Form, von der sich gar nichts prädiciren läßt,
was zu der Bestimmung: mir ist es so und so zu Muthe, in mir klingt
die Welt so und so an, irgend eine weitere, einem Object entnommene
Eigenschaftsbestimmung hinzubrächte. Allein wir sind im ästhetischen
Gebiete, wir reden nicht vom Gefühl überhaupt, sondern von der Phan-
tasie
als Gefühl, also von dem Gefühl, wie die Kraft der Phantasie sich
in dasselbe legt und das Ganze ihrer Thätigkeit in diesem Elemente durch-
führt, so daß, was in andern Gebieten Anschauung, Einbildungskraft, Er-
zeugung des reinen inneren Urbilds ist, auch hier, jedoch in anderem Sinn,
anderer Form vor sich geht. Nach jener Bezeichnung wäre das Gefühl
eigentlich ein Unsagbares, Unaussprechliches, denn ohne alle und jede Hülfe
objectiver Prädicirung läßt sich doch im Grunde kein Wort finden, zu sagen,
wie mir zu Muth ist; eben in diese Lücke aber werden wir nun die Phan-
tasie als empfindende eintreten sehen. Es ist im vorh. §. zugleich mit der
ersten Einführung in dieses neue Gebiet ausgesprochen, wie dasselbe aller-
dings über sich selbst hinausweist, ebenso bestimmt aber ist dessen reine
Selbständigkeit behauptet. Dieß findet nun genau seine Anwendung auf
das Gefühl als Urheber der sich nunmehr eröffnenden Kunstform. Die
Phantasie wird jene Lücke in gewissem Sinn ausfüllen, doch keineswegs so,

kann allerdings die Kunſt ſich werfen und davon muß weiterhin mit Nach-
druck die Rede ſein, doch nur um zu zeigen, daß dieß nicht wahre Kunſt,
dieſe hat es nur mit dem Gefühle zu thun, das in näherem und nächſtem
oder entfernterem Sinn einen ethiſchen Kern hat.

Der gegenwärtige §. iſt nun eine weſentliche Ergänzung von §. 404; der
tiefere Beweis, daß im Organiſmus der Phantaſie eine Nothwendigkeit liegt,
in der empfindenden Form aufzutreten, wurde dort der vorliegenden Stelle
in der Kunſtlehre vorbehalten. Zunächſt ganz allgemein philoſophiſch hat
der vorh. §. begründet, daß die Kunſt eine beſondere Geſtalt erzeugen muß,
worin das Subject Alles, worin aller Gegenſtand in daſſelbe aufgegangen
iſt, daß dieſes einmal ganz und ausſchließlich zum Rechte kommen muß,
um zu zeigen, daß es auch in der bildenden Kunſt überall nicht das bloße
Object, ſondern ſeine Durchdringung und Durchgeiſtigung war, was dem
Stoffe ſeinen Kunſtwerth gab. Fragt es ſich nun, wie dieſe Forderung ſich
realiſiren ſoll, ſo leuchtet ein, daß dieß durch keinerlei Verhalten geſchehen
kann, worin der Geiſt auf gegebene Objecte als ſolche gerichtet iſt. Die
Anſchauung hat das Ihrige in der bildenden Kunſt, die auf ihren Stand-
punct ſich ſtellte, gethan; ob die verinnerlichte Anſchauung, die Vorſtellung,
alſo das Einbilden ganz allgemein, ebenfalls den Standpunct abgeben kann,
auf den die Phantaſie ſich ſtellt, kann hier nicht zur Sprache kommen, denn
auch dieſe Form beruht auf beſtimmtem Verhalten zu Objecten. Es bleibt
alſo nur das Subjectivſte im Subject, das Gefühl, als Organ der gefor-
derten Leiſtung übrig: die Form, von der ſich gar nichts prädiciren läßt,
was zu der Beſtimmung: mir iſt es ſo und ſo zu Muthe, in mir klingt
die Welt ſo und ſo an, irgend eine weitere, einem Object entnommene
Eigenſchaftsbeſtimmung hinzubrächte. Allein wir ſind im äſthetiſchen
Gebiete, wir reden nicht vom Gefühl überhaupt, ſondern von der Phan-
taſie
als Gefühl, alſo von dem Gefühl, wie die Kraft der Phantaſie ſich
in daſſelbe legt und das Ganze ihrer Thätigkeit in dieſem Elemente durch-
führt, ſo daß, was in andern Gebieten Anſchauung, Einbildungskraft, Er-
zeugung des reinen inneren Urbilds iſt, auch hier, jedoch in anderem Sinn,
anderer Form vor ſich geht. Nach jener Bezeichnung wäre das Gefühl
eigentlich ein Unſagbares, Unausſprechliches, denn ohne alle und jede Hülfe
objectiver Prädicirung läßt ſich doch im Grunde kein Wort finden, zu ſagen,
wie mir zu Muth iſt; eben in dieſe Lücke aber werden wir nun die Phan-
taſie als empfindende eintreten ſehen. Es iſt im vorh. §. zugleich mit der
erſten Einführung in dieſes neue Gebiet ausgeſprochen, wie daſſelbe aller-
dings über ſich ſelbſt hinausweist, ebenſo beſtimmt aber iſt deſſen reine
Selbſtändigkeit behauptet. Dieß findet nun genau ſeine Anwendung auf
das Gefühl als Urheber der ſich nunmehr eröffnenden Kunſtform. Die
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[779/0017] kann allerdings die Kunſt ſich werfen und davon muß weiterhin mit Nach- druck die Rede ſein, doch nur um zu zeigen, daß dieß nicht wahre Kunſt, dieſe hat es nur mit dem Gefühle zu thun, das in näherem und nächſtem oder entfernterem Sinn einen ethiſchen Kern hat. Der gegenwärtige §. iſt nun eine weſentliche Ergänzung von §. 404; der tiefere Beweis, daß im Organiſmus der Phantaſie eine Nothwendigkeit liegt, in der empfindenden Form aufzutreten, wurde dort der vorliegenden Stelle in der Kunſtlehre vorbehalten. Zunächſt ganz allgemein philoſophiſch hat der vorh. §. begründet, daß die Kunſt eine beſondere Geſtalt erzeugen muß, worin das Subject Alles, worin aller Gegenſtand in daſſelbe aufgegangen iſt, daß dieſes einmal ganz und ausſchließlich zum Rechte kommen muß, um zu zeigen, daß es auch in der bildenden Kunſt überall nicht das bloße Object, ſondern ſeine Durchdringung und Durchgeiſtigung war, was dem Stoffe ſeinen Kunſtwerth gab. Fragt es ſich nun, wie dieſe Forderung ſich realiſiren ſoll, ſo leuchtet ein, daß dieß durch keinerlei Verhalten geſchehen kann, worin der Geiſt auf gegebene Objecte als ſolche gerichtet iſt. Die Anſchauung hat das Ihrige in der bildenden Kunſt, die auf ihren Stand- punct ſich ſtellte, gethan; ob die verinnerlichte Anſchauung, die Vorſtellung, alſo das Einbilden ganz allgemein, ebenfalls den Standpunct abgeben kann, auf den die Phantaſie ſich ſtellt, kann hier nicht zur Sprache kommen, denn auch dieſe Form beruht auf beſtimmtem Verhalten zu Objecten. Es bleibt alſo nur das Subjectivſte im Subject, das Gefühl, als Organ der gefor- derten Leiſtung übrig: die Form, von der ſich gar nichts prädiciren läßt, was zu der Beſtimmung: mir iſt es ſo und ſo zu Muthe, in mir klingt die Welt ſo und ſo an, irgend eine weitere, einem Object entnommene Eigenſchaftsbeſtimmung hinzubrächte. Allein wir ſind im äſthetiſchen Gebiete, wir reden nicht vom Gefühl überhaupt, ſondern von der Phan- taſie als Gefühl, alſo von dem Gefühl, wie die Kraft der Phantaſie ſich in daſſelbe legt und das Ganze ihrer Thätigkeit in dieſem Elemente durch- führt, ſo daß, was in andern Gebieten Anſchauung, Einbildungskraft, Er- zeugung des reinen inneren Urbilds iſt, auch hier, jedoch in anderem Sinn, anderer Form vor ſich geht. Nach jener Bezeichnung wäre das Gefühl eigentlich ein Unſagbares, Unausſprechliches, denn ohne alle und jede Hülfe objectiver Prädicirung läßt ſich doch im Grunde kein Wort finden, zu ſagen, wie mir zu Muth iſt; eben in dieſe Lücke aber werden wir nun die Phan- taſie als empfindende eintreten ſehen. Es iſt im vorh. §. zugleich mit der erſten Einführung in dieſes neue Gebiet ausgeſprochen, wie daſſelbe aller- dings über ſich ſelbſt hinausweist, ebenſo beſtimmt aber iſt deſſen reine Selbſtändigkeit behauptet. Dieß findet nun genau ſeine Anwendung auf das Gefühl als Urheber der ſich nunmehr eröffnenden Kunſtform. Die Phantaſie wird jene Lücke in gewiſſem Sinn ausfüllen, doch keineswegs ſo,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 779. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/17>, abgerufen am 21.11.2024.