denere und eine freiere Behandlungsweise einander gegenüberstehen. Aber nur eine Analogie; denn hier handelt es sich nicht mehr um das rein Technische der Composition, sondern um die streng formale Auffassung und Behandlung, die im gebundenen wie im nichtgebundenen Styl dieselbe sein kann, die aber allerdings vorzugsweise den erstern wählen wird, weil er das Zurücktreten des Subjectiven, des Ausdrucksreichen, des Weichen u. s. w., also eben die formale Strenge, ganz von selbst in sich schließt. Streng ist der musikalische Styl, wenn er die reine Form festhält im Gegensatze zu ausmalenden Nüancirungen, wenn er in Melodie, Harmonie, Modulation, Stimmführung, Rhythmus die Vielheit, Mannigfaltigkeit, Färbung, Figuri- rung innerhalb der Grenzen stets festgehaltener Haupt- und Grundformen zurückhält, so daß die Bewegung gebunden, beherrscht, in Schranken gehalten erscheint durch diese sich stets gleich bleibende, alles Einzelne umklammernde, keinem Einzelnen ein besonderes Heraustreten gestattende Grundform; na- mentlich Bevorzugung der Haupt- und Grundaccorde, Vermeidung der weniger einfachen Harmonieen, der Verzierungen, der entbehrlichen Ueber- gänge, der in's Weite schweifenden Melodiebewegung, unruhig springender Modulation, ausdrucksreicher dynamischer Mittel (S. 913.), gehört zum strengen Styl, welcher übrigens etwas ganz Anderes ist als der in §. 792 verworfene Formalismus und namentlich nie ausdruckslos ist, da er sonst kein Styl, sondern eine Abart wäre. Der hohe und der ideale Styl bedarf dieses sich selbst gleiche, daher auch die Polyphonie bevorzugende Feststehen allgemeiner Grundformen nicht; er ist noch weit weniger als der strenge Styl blos positiv formal, formenvorführend, er geht ganz entschieden mehr auf die Form überhaupt als auf gleichmäßige Anwendung und regel- rechte Durchführung bestimmter Formengattungen, weil mit dem Hohen und Idealen das Enge, Beschränktmethodische sich nicht verträgt, das in schlecht- hiniger Unterwerfung unter gegebene Formen liegen würde, er braucht dieselben auch, um große, breite, feste Grundverhältnisse an ihnen zu haben, die der Tonbewegung einen Typus und Ausdruck des Ernsten und Gewich- tigen verleihen, aber er gebraucht sie nur so weit, als sie dieß leisten, er hat mit dem strengen gemein die Vermeidung der Individualisirung, aber er strebt mehr nach Großheit, maaßvoller Einfachheit, reiner Durchsichtig- keit überhaupt als nach Anwendung künstlicherer Behandlungsarten, ja er wählt gerne einfachere Formen (wie z. B. Mozart in der Zauberflöte), um mehr plastische Klarheit und idealen Schwung, den der strenge Styl immer bis zu einem gewissen Grade niederhält, zu gewinnen. Indeß findet hier zugleich der Unterschied statt, daß der hohe Styl der künstlichern Formen sich noch mehr als der ideale bedient, weil er vorzugsweise dahin strebt, die ganze Bewegung in festen Maaßen und Schranken zu halten und damit alles Leichte, zu Bewegliche von ihr zu entfernen, ihr nicht nur Gewicht,
denere und eine freiere Behandlungsweiſe einander gegenüberſtehen. Aber nur eine Analogie; denn hier handelt es ſich nicht mehr um das rein Techniſche der Compoſition, ſondern um die ſtreng formale Auffaſſung und Behandlung, die im gebundenen wie im nichtgebundenen Styl dieſelbe ſein kann, die aber allerdings vorzugsweiſe den erſtern wählen wird, weil er das Zurücktreten des Subjectiven, des Ausdrucksreichen, des Weichen u. ſ. w., alſo eben die formale Strenge, ganz von ſelbſt in ſich ſchließt. Streng iſt der muſikaliſche Styl, wenn er die reine Form feſthält im Gegenſatze zu ausmalenden Nüancirungen, wenn er in Melodie, Harmonie, Modulation, Stimmführung, Rhythmus die Vielheit, Mannigfaltigkeit, Färbung, Figuri- rung innerhalb der Grenzen ſtets feſtgehaltener Haupt- und Grundformen zurückhält, ſo daß die Bewegung gebunden, beherrſcht, in Schranken gehalten erſcheint durch dieſe ſich ſtets gleich bleibende, alles Einzelne umklammernde, keinem Einzelnen ein beſonderes Heraustreten geſtattende Grundform; na- mentlich Bevorzugung der Haupt- und Grundaccorde, Vermeidung der weniger einfachen Harmonieen, der Verzierungen, der entbehrlichen Ueber- gänge, der in’s Weite ſchweifenden Melodiebewegung, unruhig ſpringender Modulation, ausdrucksreicher dynamiſcher Mittel (S. 913.), gehört zum ſtrengen Styl, welcher übrigens etwas ganz Anderes iſt als der in §. 792 verworfene Formaliſmus und namentlich nie ausdruckslos iſt, da er ſonſt kein Styl, ſondern eine Abart wäre. Der hohe und der ideale Styl bedarf dieſes ſich ſelbſt gleiche, daher auch die Polyphonie bevorzugende Feſtſtehen allgemeiner Grundformen nicht; er iſt noch weit weniger als der ſtrenge Styl blos poſitiv formal, formenvorführend, er geht ganz entſchieden mehr auf die Form überhaupt als auf gleichmäßige Anwendung und regel- rechte Durchführung beſtimmter Formengattungen, weil mit dem Hohen und Idealen das Enge, Beſchränktmethodiſche ſich nicht verträgt, das in ſchlecht- hiniger Unterwerfung unter gegebene Formen liegen würde, er braucht dieſelben auch, um große, breite, feſte Grundverhältniſſe an ihnen zu haben, die der Tonbewegung einen Typus und Ausdruck des Ernſten und Gewich- tigen verleihen, aber er gebraucht ſie nur ſo weit, als ſie dieß leiſten, er hat mit dem ſtrengen gemein die Vermeidung der Individualiſirung, aber er ſtrebt mehr nach Großheit, maaßvoller Einfachheit, reiner Durchſichtig- keit überhaupt als nach Anwendung künſtlicherer Behandlungsarten, ja er wählt gerne einfachere Formen (wie z. B. Mozart in der Zauberflöte), um mehr plaſtiſche Klarheit und idealen Schwung, den der ſtrenge Styl immer bis zu einem gewiſſen Grade niederhält, zu gewinnen. Indeß findet hier zugleich der Unterſchied ſtatt, daß der hohe Styl der künſtlichern Formen ſich noch mehr als der ideale bedient, weil er vorzugsweiſe dahin ſtrebt, die ganze Bewegung in feſten Maaßen und Schranken zu halten und damit alles Leichte, zu Bewegliche von ihr zu entfernen, ihr nicht nur Gewicht,
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[973/0211]
denere und eine freiere Behandlungsweiſe einander gegenüberſtehen. Aber
nur eine Analogie; denn hier handelt es ſich nicht mehr um das rein
Techniſche der Compoſition, ſondern um die ſtreng formale Auffaſſung und
Behandlung, die im gebundenen wie im nichtgebundenen Styl dieſelbe ſein
kann, die aber allerdings vorzugsweiſe den erſtern wählen wird, weil er
das Zurücktreten des Subjectiven, des Ausdrucksreichen, des Weichen u. ſ. w.,
alſo eben die formale Strenge, ganz von ſelbſt in ſich ſchließt. Streng iſt
der muſikaliſche Styl, wenn er die reine Form feſthält im Gegenſatze zu
ausmalenden Nüancirungen, wenn er in Melodie, Harmonie, Modulation,
Stimmführung, Rhythmus die Vielheit, Mannigfaltigkeit, Färbung, Figuri-
rung innerhalb der Grenzen ſtets feſtgehaltener Haupt- und Grundformen
zurückhält, ſo daß die Bewegung gebunden, beherrſcht, in Schranken gehalten
erſcheint durch dieſe ſich ſtets gleich bleibende, alles Einzelne umklammernde,
keinem Einzelnen ein beſonderes Heraustreten geſtattende Grundform; na-
mentlich Bevorzugung der Haupt- und Grundaccorde, Vermeidung der
weniger einfachen Harmonieen, der Verzierungen, der entbehrlichen Ueber-
gänge, der in’s Weite ſchweifenden Melodiebewegung, unruhig ſpringender
Modulation, ausdrucksreicher dynamiſcher Mittel (S. 913.), gehört zum
ſtrengen Styl, welcher übrigens etwas ganz Anderes iſt als der in §. 792
verworfene Formaliſmus und namentlich nie ausdruckslos iſt, da er ſonſt
kein Styl, ſondern eine Abart wäre. Der hohe und der ideale Styl
bedarf dieſes ſich ſelbſt gleiche, daher auch die Polyphonie bevorzugende
Feſtſtehen allgemeiner Grundformen nicht; er iſt noch weit weniger als der
ſtrenge Styl blos poſitiv formal, formenvorführend, er geht ganz entſchieden
mehr auf die Form überhaupt als auf gleichmäßige Anwendung und regel-
rechte Durchführung beſtimmter Formengattungen, weil mit dem Hohen und
Idealen das Enge, Beſchränktmethodiſche ſich nicht verträgt, das in ſchlecht-
hiniger Unterwerfung unter gegebene Formen liegen würde, er braucht
dieſelben auch, um große, breite, feſte Grundverhältniſſe an ihnen zu haben,
die der Tonbewegung einen Typus und Ausdruck des Ernſten und Gewich-
tigen verleihen, aber er gebraucht ſie nur ſo weit, als ſie dieß leiſten, er
hat mit dem ſtrengen gemein die Vermeidung der Individualiſirung, aber
er ſtrebt mehr nach Großheit, maaßvoller Einfachheit, reiner Durchſichtig-
keit überhaupt als nach Anwendung künſtlicherer Behandlungsarten, ja er
wählt gerne einfachere Formen (wie z. B. Mozart in der Zauberflöte), um
mehr plaſtiſche Klarheit und idealen Schwung, den der ſtrenge Styl immer
bis zu einem gewiſſen Grade niederhält, zu gewinnen. Indeß findet hier
zugleich der Unterſchied ſtatt, daß der hohe Styl der künſtlichern Formen
ſich noch mehr als der ideale bedient, weil er vorzugsweiſe dahin ſtrebt, die
ganze Bewegung in feſten Maaßen und Schranken zu halten und damit
alles Leichte, zu Bewegliche von ihr zu entfernen, ihr nicht nur Gewicht,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 973. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/211>, abgerufen am 04.12.2024.
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