ihrer Anlehnung an die Poesie neben der abstract subjectiven (lyrischen) auch eine objectivere, mehr darstellende (epische, dramatische) Haltung annehmen, ohne damit aus ihrer subjectiven Unmittelbarkeit herauszutreten; die Instru- mentalmusik kann desgleichen das Lyrische in ihrer Weise und mit ihren Mitteln reproduciren, ohne den ihr wesentlichen objectivern Typus einzubüßen, und ebenso ist auch eine Combination der beiden Hauptgattungen möglich sowie zur Vollständigkeit der Formen musikalischer Darstellung nothwendig, mit welcher eine dritte, Gesang und Instrumente vereinigende Gattung gegeben ist.
1. Die Doppelheit des Materials, mit welchem die Musik arbeitet, veranlaßt ihr Auseinandergehen in zwei Hauptgattungen, durch deren con- crete, zu den mannigfachsten Combinationen stoffgebende Eigenthümlichkeit sie gewissermaßen entschädigt wird für die engen Schranken der Subjectivität, in welchen sie sich den andern Künsten gegenüber bewegen muß. Die Instrumentalmusik ist, wie der folgende §. näher zeigen wird, objectiverer und freierer Art als die Vocalmusik, wie denn sie selbst und ihre vollkom- menere Ausbildung aus nichts Anderem hervorgegangen ist, als aus dem durch Entdeckung tönender Körper angeregten Bestreben, mannigfaltigere, beliebiger handzuhabende Musik zu besitzen, als der bloße Gesang sie bietet, und diese zweite Art von Musik zu einer Begleitung von Handlungen (Processionen, Opfern, Tänzen, Märschen u. s. w.) anzuwenden, welche in dieser Art und diesem Umfang die in ihren Mitteln viel beschränktere Men- schenstimme weder ausführen kann noch auszuführen bestimmt ist. Der äußere Eintheilungsgrund ist also zugleich ein innerer; die Vocalmusik ist naturwüchsige unmittelbare Empfindungsmusik, die Instrumentalmusik tech- nisch vermittelte, mannigfaltiger malende Darstellungsmusik; jene ist rein subjectiv, diese objectivsubjectiv. Schon die zusammengesetztern Kunstformen stellen im Gegensatz zur einfachen Melodie einen ähnlichen Fortschritt vom rein Subjectiven zum objectiv Concreten, Gestaltenreichern dar; wie sich schon dort die Musik nach dem Gesetze, daß die Subjectivität über den einfachen Stimmungsausdruck zu reichern und vermitteltern Gestaltungen hinstrebt, in eine Reihe verschiedener Hauptformen gliederte, so theilt sie sich nach demselben Gesetz ein in zwei Gattungen, deren jede alle diese Formen wiederum innerhalb ihrer selbst auftreten lassen kann. Aus letzterem Umstande folgt zugleich, daß der Unterschied von Vocal- und Instrumental- musik logisch das oberste Eintheilungsprinzip ist; denn es ist das allgemeinste, jede dieser beiden ist in ihrer Art die ganze Musik, während jene Formen nur spezielle Arten musikalischer Kunstwerke sind.
2. Der zweite Satz des §. ist im Bisherigen namentlich durch Das- jenige eingeleitet, was in §. 793 über den Unterschied des plastischen und
ihrer Anlehnung an die Poeſie neben der abſtract ſubjectiven (lyriſchen) auch eine objectivere, mehr darſtellende (epiſche, dramatiſche) Haltung annehmen, ohne damit aus ihrer ſubjectiven Unmittelbarkeit herauszutreten; die Inſtru- mentalmuſik kann desgleichen das Lyriſche in ihrer Weiſe und mit ihren Mitteln reproduciren, ohne den ihr weſentlichen objectivern Typus einzubüßen, und ebenſo iſt auch eine Combination der beiden Hauptgattungen möglich ſowie zur Vollſtändigkeit der Formen muſikaliſcher Darſtellung nothwendig, mit welcher eine dritte, Geſang und Inſtrumente vereinigende Gattung gegeben iſt.
1. Die Doppelheit des Materials, mit welchem die Muſik arbeitet, veranlaßt ihr Auseinandergehen in zwei Hauptgattungen, durch deren con- crete, zu den mannigfachſten Combinationen ſtoffgebende Eigenthümlichkeit ſie gewiſſermaßen entſchädigt wird für die engen Schranken der Subjectivität, in welchen ſie ſich den andern Künſten gegenüber bewegen muß. Die Inſtrumentalmuſik iſt, wie der folgende §. näher zeigen wird, objectiverer und freierer Art als die Vocalmuſik, wie denn ſie ſelbſt und ihre vollkom- menere Ausbildung aus nichts Anderem hervorgegangen iſt, als aus dem durch Entdeckung tönender Körper angeregten Beſtreben, mannigfaltigere, beliebiger handzuhabende Muſik zu beſitzen, als der bloße Geſang ſie bietet, und dieſe zweite Art von Muſik zu einer Begleitung von Handlungen (Proceſſionen, Opfern, Tänzen, Märſchen u. ſ. w.) anzuwenden, welche in dieſer Art und dieſem Umfang die in ihren Mitteln viel beſchränktere Men- ſchenſtimme weder ausführen kann noch auszuführen beſtimmt iſt. Der äußere Eintheilungsgrund iſt alſo zugleich ein innerer; die Vocalmuſik iſt naturwüchſige unmittelbare Empfindungsmuſik, die Inſtrumentalmuſik tech- niſch vermittelte, mannigfaltiger malende Darſtellungsmuſik; jene iſt rein ſubjectiv, dieſe objectivſubjectiv. Schon die zuſammengeſetztern Kunſtformen ſtellen im Gegenſatz zur einfachen Melodie einen ähnlichen Fortſchritt vom rein Subjectiven zum objectiv Concreten, Geſtaltenreichern dar; wie ſich ſchon dort die Muſik nach dem Geſetze, daß die Subjectivität über den einfachen Stimmungsausdruck zu reichern und vermitteltern Geſtaltungen hinſtrebt, in eine Reihe verſchiedener Hauptformen gliederte, ſo theilt ſie ſich nach demſelben Geſetz ein in zwei Gattungen, deren jede alle dieſe Formen wiederum innerhalb ihrer ſelbſt auftreten laſſen kann. Aus letzterem Umſtande folgt zugleich, daß der Unterſchied von Vocal- und Inſtrumental- muſik logiſch das oberſte Eintheilungsprinzip iſt; denn es iſt das allgemeinſte, jede dieſer beiden iſt in ihrer Art die ganze Muſik, während jene Formen nur ſpezielle Arten muſikaliſcher Kunſtwerke ſind.
2. Der zweite Satz des §. iſt im Bisherigen namentlich durch Das- jenige eingeleitet, was in §. 793 über den Unterſchied des plaſtiſchen und
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ihrer Anlehnung an die Poeſie neben der abſtract ſubjectiven (lyriſchen) auch
eine objectivere, mehr darſtellende (epiſche, dramatiſche) Haltung annehmen,
ohne damit aus ihrer ſubjectiven Unmittelbarkeit herauszutreten; die Inſtru-
mentalmuſik kann desgleichen das Lyriſche in ihrer Weiſe und mit ihren Mitteln
reproduciren, ohne den ihr weſentlichen objectivern Typus einzubüßen, und
ebenſo iſt auch eine Combination der beiden Hauptgattungen möglich ſowie zur
Vollſtändigkeit der Formen muſikaliſcher Darſtellung nothwendig, mit welcher
eine dritte, Geſang und Inſtrumente vereinigende Gattung
gegeben iſt.
1. Die Doppelheit des Materials, mit welchem die Muſik arbeitet,
veranlaßt ihr Auseinandergehen in zwei Hauptgattungen, durch deren con-
crete, zu den mannigfachſten Combinationen ſtoffgebende Eigenthümlichkeit
ſie gewiſſermaßen entſchädigt wird für die engen Schranken der Subjectivität,
in welchen ſie ſich den andern Künſten gegenüber bewegen muß. Die
Inſtrumentalmuſik iſt, wie der folgende §. näher zeigen wird, objectiverer
und freierer Art als die Vocalmuſik, wie denn ſie ſelbſt und ihre vollkom-
menere Ausbildung aus nichts Anderem hervorgegangen iſt, als aus dem
durch Entdeckung tönender Körper angeregten Beſtreben, mannigfaltigere,
beliebiger handzuhabende Muſik zu beſitzen, als der bloße Geſang ſie bietet,
und dieſe zweite Art von Muſik zu einer Begleitung von Handlungen
(Proceſſionen, Opfern, Tänzen, Märſchen u. ſ. w.) anzuwenden, welche in
dieſer Art und dieſem Umfang die in ihren Mitteln viel beſchränktere Men-
ſchenſtimme weder ausführen kann noch auszuführen beſtimmt iſt. Der
äußere Eintheilungsgrund iſt alſo zugleich ein innerer; die Vocalmuſik iſt
naturwüchſige unmittelbare Empfindungsmuſik, die Inſtrumentalmuſik tech-
niſch vermittelte, mannigfaltiger malende Darſtellungsmuſik; jene iſt rein
ſubjectiv, dieſe objectivſubjectiv. Schon die zuſammengeſetztern Kunſtformen
ſtellen im Gegenſatz zur einfachen Melodie einen ähnlichen Fortſchritt vom
rein Subjectiven zum objectiv Concreten, Geſtaltenreichern dar; wie ſich
ſchon dort die Muſik nach dem Geſetze, daß die Subjectivität über den
einfachen Stimmungsausdruck zu reichern und vermitteltern Geſtaltungen
hinſtrebt, in eine Reihe verſchiedener Hauptformen gliederte, ſo theilt ſie
ſich nach demſelben Geſetz ein in zwei Gattungen, deren jede alle dieſe
Formen wiederum innerhalb ihrer ſelbſt auftreten laſſen kann. Aus letzterem
Umſtande folgt zugleich, daß der Unterſchied von Vocal- und Inſtrumental-
muſik logiſch das oberſte Eintheilungsprinzip iſt; denn es iſt das allgemeinſte,
jede dieſer beiden iſt in ihrer Art die ganze Muſik, während jene Formen
nur ſpezielle Arten muſikaliſcher Kunſtwerke ſind.
2. Der zweite Satz des §. iſt im Bisherigen namentlich durch Das-
jenige eingeleitet, was in §. 793 über den Unterſchied des plaſtiſchen und
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 977. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/215>, abgerufen am 04.12.2024.
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