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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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instrumente verschiedener Art vereinigt -- in dem reichen Farbenspiel der
einander ablösenden und antwortenden Instrumente; er ist diejenige Species
der Composition, in welcher eben dieses Moment der Klangfarben zum Behuf
eines ebenso innigen als mannigfaltigen Gefühlsausdrucks zu voller Geltend-
machung gelangt; das Ideellgeistige und das intensiv Energische der Streich-
instrumente fehlt ihm, er neigt sich entschieden theils zum Weichaufgelösten,
Süßen, Lieblichen, Idyllischen, andrerseits zum naturalistisch Reizenden,
Lustigen, Komischen hin, er gewährt weniger innerliche Befriedigung als
unmittelbares momentanes Wohlgefallen, und er hat daher die hohe Be-
deutung innerhalb des Kreises der verschiedenen Musikformen nicht, welche
z. B. dem Streichquartett zukommt; hieraus ist es zu erklären, daß er von
den Meistern der Composition verhältnißmäßig seltener für sich allein an-
gebaut und statt dessen mehr nur als Theil größerer Tonstücke, Symphonieen,
Oratorien, Opern verwendet ist, wiewohl jetzt die so viel weiter als früher
vorgeschrittene Technik der Behandlung der Blasinstrumente eine ausge-
dehntere Pflege dieses Musikzweiges gerade sehr begünstigen würde. --
Von dem gemischten mehrstimmigen Solosatz versteht es sich
durch sich selbst, daß er den umfassendsten Spielraum sowohl für Gefühls-
ausdruck als reiche Gedankenerfindung eröffnet; den Combinationen der
Instrumente sind durch die Natur der Sache wohl an gewissen Puncten
Grenzen gesteckt, indem z. B. Horn und Clavier entschieden nicht zusammen-
passen (weil Voll und Dünn unmöglich zusammengehen), aber sie sind deß-
ungeachtet zahlreich und mannigfaltig genug, um diesen Zweig der Com-
position zu einem ganz besonders lohnenden zu machen. Nur der Mangel,
der aber kein Fehler, sondern nur eine im Wesen der ganzen Species selbst
liegende Einseitigkeit ist, haftet ihm an, daß die Combination gemischter
Organe immer etwas von Willkür an sich hat; das Streichquartett hat
etwas fest Umgrenztes, es ist ein Ganzes in sich, es zeichnet durch sich selbst
die Aufgabe, die der Künstler sich zu setzen, und die Methoden, die er zu
befolgen hat, klar vor, während z. B. das gemischte Septett einestheils zu
so mannigfaltigen Instrumentaleffecten Raum gewährt, daß die Wahl unter
ihnen schwanken muß, und anderntheils doch eine in sich charakteristisch ab-
geschlossene Totalwirkung, wie Quartett im Kleinen und Orchester im Großen,
nicht erzielen kann. Der gemischte Satz ist eine weniger scharf bestimmte
Form, deren Erfüllung mit einem vollkommen zutreffenden Inhalt schwerer
zu finden, Sache des Glücks und Takts des Componisten ist; er ist nach
dieser Seite eine Art musikalischer Phantasie, wenn er sich auch rücksichtlich
der Anordnung ganz in den gewöhnlichen Formen des "Tonstücks mit
mehrern Sätzen" bewegt; er ist eine Uebergangsform, in der Mitte stehend
zwischen Solo- und Orchestersatz und hat ebendaher das Schwebende und
Unbestimmte, das allen Mittelgattungen eigen ist.


inſtrumente verſchiedener Art vereinigt — in dem reichen Farbenſpiel der
einander ablöſenden und antwortenden Inſtrumente; er iſt diejenige Species
der Compoſition, in welcher eben dieſes Moment der Klangfarben zum Behuf
eines ebenſo innigen als mannigfaltigen Gefühlsausdrucks zu voller Geltend-
machung gelangt; das Ideellgeiſtige und das intenſiv Energiſche der Streich-
inſtrumente fehlt ihm, er neigt ſich entſchieden theils zum Weichaufgelösten,
Süßen, Lieblichen, Idylliſchen, andrerſeits zum naturaliſtiſch Reizenden,
Luſtigen, Komiſchen hin, er gewährt weniger innerliche Befriedigung als
unmittelbares momentanes Wohlgefallen, und er hat daher die hohe Be-
deutung innerhalb des Kreiſes der verſchiedenen Muſikformen nicht, welche
z. B. dem Streichquartett zukommt; hieraus iſt es zu erklären, daß er von
den Meiſtern der Compoſition verhältnißmäßig ſeltener für ſich allein an-
gebaut und ſtatt deſſen mehr nur als Theil größerer Tonſtücke, Symphonieen,
Oratorien, Opern verwendet iſt, wiewohl jetzt die ſo viel weiter als früher
vorgeſchrittene Technik der Behandlung der Blasinſtrumente eine ausge-
dehntere Pflege dieſes Muſikzweiges gerade ſehr begünſtigen würde. —
Von dem gemiſchten mehrſtimmigen Soloſatz verſteht es ſich
durch ſich ſelbſt, daß er den umfaſſendſten Spielraum ſowohl für Gefühls-
ausdruck als reiche Gedankenerfindung eröffnet; den Combinationen der
Inſtrumente ſind durch die Natur der Sache wohl an gewiſſen Puncten
Grenzen geſteckt, indem z. B. Horn und Clavier entſchieden nicht zuſammen-
paſſen (weil Voll und Dünn unmöglich zuſammengehen), aber ſie ſind deß-
ungeachtet zahlreich und mannigfaltig genug, um dieſen Zweig der Com-
poſition zu einem ganz beſonders lohnenden zu machen. Nur der Mangel,
der aber kein Fehler, ſondern nur eine im Weſen der ganzen Species ſelbſt
liegende Einſeitigkeit iſt, haftet ihm an, daß die Combination gemiſchter
Organe immer etwas von Willkür an ſich hat; das Streichquartett hat
etwas feſt Umgrenztes, es iſt ein Ganzes in ſich, es zeichnet durch ſich ſelbſt
die Aufgabe, die der Künſtler ſich zu ſetzen, und die Methoden, die er zu
befolgen hat, klar vor, während z. B. das gemiſchte Septett einestheils zu
ſo mannigfaltigen Inſtrumentaleffecten Raum gewährt, daß die Wahl unter
ihnen ſchwanken muß, und anderntheils doch eine in ſich charakteriſtiſch ab-
geſchloſſene Totalwirkung, wie Quartett im Kleinen und Orcheſter im Großen,
nicht erzielen kann. Der gemiſchte Satz iſt eine weniger ſcharf beſtimmte
Form, deren Erfüllung mit einem vollkommen zutreffenden Inhalt ſchwerer
zu finden, Sache des Glücks und Takts des Componiſten iſt; er iſt nach
dieſer Seite eine Art muſikaliſcher Phantaſie, wenn er ſich auch rückſichtlich
der Anordnung ganz in den gewöhnlichen Formen des „Tonſtücks mit
mehrern Sätzen“ bewegt; er iſt eine Uebergangsform, in der Mitte ſtehend
zwiſchen Solo- und Orcheſterſatz und hat ebendaher das Schwebende und
Unbeſtimmte, das allen Mittelgattungen eigen iſt.


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[1056/0294] inſtrumente verſchiedener Art vereinigt — in dem reichen Farbenſpiel der einander ablöſenden und antwortenden Inſtrumente; er iſt diejenige Species der Compoſition, in welcher eben dieſes Moment der Klangfarben zum Behuf eines ebenſo innigen als mannigfaltigen Gefühlsausdrucks zu voller Geltend- machung gelangt; das Ideellgeiſtige und das intenſiv Energiſche der Streich- inſtrumente fehlt ihm, er neigt ſich entſchieden theils zum Weichaufgelösten, Süßen, Lieblichen, Idylliſchen, andrerſeits zum naturaliſtiſch Reizenden, Luſtigen, Komiſchen hin, er gewährt weniger innerliche Befriedigung als unmittelbares momentanes Wohlgefallen, und er hat daher die hohe Be- deutung innerhalb des Kreiſes der verſchiedenen Muſikformen nicht, welche z. B. dem Streichquartett zukommt; hieraus iſt es zu erklären, daß er von den Meiſtern der Compoſition verhältnißmäßig ſeltener für ſich allein an- gebaut und ſtatt deſſen mehr nur als Theil größerer Tonſtücke, Symphonieen, Oratorien, Opern verwendet iſt, wiewohl jetzt die ſo viel weiter als früher vorgeſchrittene Technik der Behandlung der Blasinſtrumente eine ausge- dehntere Pflege dieſes Muſikzweiges gerade ſehr begünſtigen würde. — Von dem gemiſchten mehrſtimmigen Soloſatz verſteht es ſich durch ſich ſelbſt, daß er den umfaſſendſten Spielraum ſowohl für Gefühls- ausdruck als reiche Gedankenerfindung eröffnet; den Combinationen der Inſtrumente ſind durch die Natur der Sache wohl an gewiſſen Puncten Grenzen geſteckt, indem z. B. Horn und Clavier entſchieden nicht zuſammen- paſſen (weil Voll und Dünn unmöglich zuſammengehen), aber ſie ſind deß- ungeachtet zahlreich und mannigfaltig genug, um dieſen Zweig der Com- poſition zu einem ganz beſonders lohnenden zu machen. Nur der Mangel, der aber kein Fehler, ſondern nur eine im Weſen der ganzen Species ſelbſt liegende Einſeitigkeit iſt, haftet ihm an, daß die Combination gemiſchter Organe immer etwas von Willkür an ſich hat; das Streichquartett hat etwas feſt Umgrenztes, es iſt ein Ganzes in ſich, es zeichnet durch ſich ſelbſt die Aufgabe, die der Künſtler ſich zu ſetzen, und die Methoden, die er zu befolgen hat, klar vor, während z. B. das gemiſchte Septett einestheils zu ſo mannigfaltigen Inſtrumentaleffecten Raum gewährt, daß die Wahl unter ihnen ſchwanken muß, und anderntheils doch eine in ſich charakteriſtiſch ab- geſchloſſene Totalwirkung, wie Quartett im Kleinen und Orcheſter im Großen, nicht erzielen kann. Der gemiſchte Satz iſt eine weniger ſcharf beſtimmte Form, deren Erfüllung mit einem vollkommen zutreffenden Inhalt ſchwerer zu finden, Sache des Glücks und Takts des Componiſten iſt; er iſt nach dieſer Seite eine Art muſikaliſcher Phantaſie, wenn er ſich auch rückſichtlich der Anordnung ganz in den gewöhnlichen Formen des „Tonſtücks mit mehrern Sätzen“ bewegt; er iſt eine Uebergangsform, in der Mitte ſtehend zwiſchen Solo- und Orcheſterſatz und hat ebendaher das Schwebende und Unbeſtimmte, das allen Mittelgattungen eigen iſt.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1056. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/294>, abgerufen am 22.11.2024.