welt, die im Subject ausklingt, dieses, mit einer Summe von Erscheinun- gen, deren Grundlage räumliches Dasein ist, im tiefen innern Wechselver- kehr, muß, obwohl dieser Verkehr alle objective Bestimmtheit im Gefühl auslöscht, doch in ihrer Art auch ein geschlossenes Bild darstellen können. Dieß ist die einzelne Stimmung. Die begrenzte Erscheinung, die wir for- dern, ist nun in ihr gegeben, wie sie durch ein Medium, das wir noch dahingestellt sein lassen und das freilich kein sichtbarer Körper sein kann, aber doch fähig sein muß, das Individuelle, Gefüllte und Begrenzte dieser Stimmung auszudrücken, sich den Sinnen und vermittelst ihrer dem Geiste kund gibt. Diese Stimmung ist zunächst Abbild des Endlichen, eines endlichen Verhältnisses, d. h. der Zustand eines Einzelnen, der durch einen Theil des Weltganzen so oder anders erregt ist. Darin ist zugleich gege- ben, was wir im ersten Theile (§. 13. 15) die bestimmte Idee nennen. Wir setzen nun voraus, daß, noch abgesehen von der Ideal-bildenden und künstlerisch thätigen Phantasie das Gefühl auch die Rückführung dieser ihrer besondern Stimmung auf die absolute Idee, auf das Leben des Ganzen in sich enthalte. Der idealisirenden Phantasie ist dadurch ihr Geschäft nicht abgenommen, denn auch das Gefühl, das ein Stück Welt sub specie aeterni auffaßt, bleibt verglichen mit ihrer Bildungskraft noch formlos. Diese Voraussetzung ist keine andere, als diejenige, welche in §. 392 für alle Phantasiethätigkeit aufgestellt ist, und wir haben sie bereits in dem ersten Theile des gegenwärtigen §. wiederholt, denn Allgemeinheit und Nothwendigkeit hat das Gefühl nur, sofern es mit der Erregung durch Endliches zugleich flüssig die Bewegung zum Unendlichen enthält, das Gefühl des Absoluten ist ja, um Schleiermacher's Ausdruck zu brauchen, Existentialgefühl. Wir wiederholen jene Forderung von §. 392, daß der Künstler ein ganzer, vom Ewigen durchdrungener Mensch sei, der alles Einzelne in die Einheit der Idee zurückführt, nur deßwegen gerade hier, weil der augenblickliche Schein entstehen könnte, als ob uns auch nach dieser Seite unsere Definition des Schönen in dieser eigenthümlichen Sphäre verloren gehe; denn in andern Kunstgebieten läßt sich die Beziehung der bestimmten Idee zur absoluten in Gedankenform herausfinden: es ist Wirken der ewigen Gerechtigkeit im Einzelschicksal, es ist Vollkommenheit der zeu- genden Naturkraft, die eine Aussicht auf die Vollkommenheit auch der sittlichen Welt eröffnet, u. s. w. Allein vielmehr umgekehrt verhält es sich bei näherer Betrachtung: das Unendliche ist in keiner Form unmittelbarer dem Geist gegenwärtig, als in der Gefühlsform, und jenes primitive Ver- halten des Geistes, der alle Gegensätze in sich versöhnt hat, die Religion besteht ja (vergl. §. 61) wesentlich in der Gefühlsform. Und so zeigt sich zwischen der Musik und Religion ein Verhältniß von solcher Enge, wie in den andern Künsten nicht. Diese sind ihr verwandt durch die Form
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welt, die im Subject ausklingt, dieſes, mit einer Summe von Erſcheinun- gen, deren Grundlage räumliches Daſein iſt, im tiefen innern Wechſelver- kehr, muß, obwohl dieſer Verkehr alle objective Beſtimmtheit im Gefühl auslöſcht, doch in ihrer Art auch ein geſchloſſenes Bild darſtellen können. Dieß iſt die einzelne Stimmung. Die begrenzte Erſcheinung, die wir for- dern, iſt nun in ihr gegeben, wie ſie durch ein Medium, das wir noch dahingeſtellt ſein laſſen und das freilich kein ſichtbarer Körper ſein kann, aber doch fähig ſein muß, das Individuelle, Gefüllte und Begrenzte dieſer Stimmung auszudrücken, ſich den Sinnen und vermittelſt ihrer dem Geiſte kund gibt. Dieſe Stimmung iſt zunächſt Abbild des Endlichen, eines endlichen Verhältniſſes, d. h. der Zuſtand eines Einzelnen, der durch einen Theil des Weltganzen ſo oder anders erregt iſt. Darin iſt zugleich gege- ben, was wir im erſten Theile (§. 13. 15) die beſtimmte Idee nennen. Wir ſetzen nun voraus, daß, noch abgeſehen von der Ideal-bildenden und künſtleriſch thätigen Phantaſie das Gefühl auch die Rückführung dieſer ihrer beſondern Stimmung auf die abſolute Idee, auf das Leben des Ganzen in ſich enthalte. Der idealiſirenden Phantaſie iſt dadurch ihr Geſchäft nicht abgenommen, denn auch das Gefühl, das ein Stück Welt sub specie aeterni auffaßt, bleibt verglichen mit ihrer Bildungskraft noch formlos. Dieſe Vorausſetzung iſt keine andere, als diejenige, welche in §. 392 für alle Phantaſiethätigkeit aufgeſtellt iſt, und wir haben ſie bereits in dem erſten Theile des gegenwärtigen §. wiederholt, denn Allgemeinheit und Nothwendigkeit hat das Gefühl nur, ſofern es mit der Erregung durch Endliches zugleich flüſſig die Bewegung zum Unendlichen enthält, das Gefühl des Abſoluten iſt ja, um Schleiermacher’s Ausdruck zu brauchen, Exiſtentialgefühl. Wir wiederholen jene Forderung von §. 392, daß der Künſtler ein ganzer, vom Ewigen durchdrungener Menſch ſei, der alles Einzelne in die Einheit der Idee zurückführt, nur deßwegen gerade hier, weil der augenblickliche Schein entſtehen könnte, als ob uns auch nach dieſer Seite unſere Definition des Schönen in dieſer eigenthümlichen Sphäre verloren gehe; denn in andern Kunſtgebieten läßt ſich die Beziehung der beſtimmten Idee zur abſoluten in Gedankenform herausfinden: es iſt Wirken der ewigen Gerechtigkeit im Einzelſchickſal, es iſt Vollkommenheit der zeu- genden Naturkraft, die eine Ausſicht auf die Vollkommenheit auch der ſittlichen Welt eröffnet, u. ſ. w. Allein vielmehr umgekehrt verhält es ſich bei näherer Betrachtung: das Unendliche iſt in keiner Form unmittelbarer dem Geiſt gegenwärtig, als in der Gefühlsform, und jenes primitive Ver- halten des Geiſtes, der alle Gegenſätze in ſich verſöhnt hat, die Religion beſteht ja (vergl. §. 61) weſentlich in der Gefühlsform. Und ſo zeigt ſich zwiſchen der Muſik und Religion ein Verhältniß von ſolcher Enge, wie in den andern Künſten nicht. Dieſe ſind ihr verwandt durch die Form
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welt, die im Subject ausklingt, dieſes, mit einer Summe von Erſcheinun-
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auslöſcht, doch in ihrer Art auch ein geſchloſſenes Bild darſtellen können.
Dieß iſt die einzelne Stimmung. Die begrenzte Erſcheinung, die wir for-
dern, iſt nun in ihr gegeben, wie ſie durch ein Medium, das wir noch
dahingeſtellt ſein laſſen und das freilich kein ſichtbarer Körper ſein kann,
aber doch fähig ſein muß, das Individuelle, Gefüllte und Begrenzte dieſer
Stimmung auszudrücken, ſich den Sinnen und vermittelſt ihrer dem Geiſte
kund gibt. Dieſe Stimmung iſt zunächſt Abbild des Endlichen, eines
endlichen Verhältniſſes, d. h. der Zuſtand eines Einzelnen, der durch einen
Theil des Weltganzen ſo oder anders erregt iſt. Darin iſt zugleich gege-
ben, was wir im erſten Theile (§. 13. 15) die beſtimmte Idee nennen.
Wir ſetzen nun voraus, daß, noch abgeſehen von der Ideal-bildenden und
künſtleriſch thätigen Phantaſie das Gefühl auch die Rückführung dieſer
ihrer beſondern Stimmung auf die abſolute Idee, auf das Leben des Ganzen
in ſich enthalte. Der idealiſirenden Phantaſie iſt dadurch ihr Geſchäft nicht
abgenommen, denn auch das Gefühl, das ein Stück Welt sub specie
aeterni auffaßt, bleibt verglichen mit ihrer Bildungskraft noch formlos.
Dieſe Vorausſetzung iſt keine andere, als diejenige, welche in §. 392 für
alle Phantaſiethätigkeit aufgeſtellt iſt, und wir haben ſie bereits in dem
erſten Theile des gegenwärtigen §. wiederholt, denn Allgemeinheit und
Nothwendigkeit hat das Gefühl nur, ſofern es mit der Erregung durch
Endliches zugleich flüſſig die Bewegung zum Unendlichen enthält, das
Gefühl des Abſoluten iſt ja, um Schleiermacher’s Ausdruck zu brauchen,
Exiſtentialgefühl. Wir wiederholen jene Forderung von §. 392, daß der
Künſtler ein ganzer, vom Ewigen durchdrungener Menſch ſei, der alles
Einzelne in die Einheit der Idee zurückführt, nur deßwegen gerade hier,
weil der augenblickliche Schein entſtehen könnte, als ob uns auch nach
dieſer Seite unſere Definition des Schönen in dieſer eigenthümlichen Sphäre
verloren gehe; denn in andern Kunſtgebieten läßt ſich die Beziehung der
beſtimmten Idee zur abſoluten in Gedankenform herausfinden: es iſt Wirken
der ewigen Gerechtigkeit im Einzelſchickſal, es iſt Vollkommenheit der zeu-
genden Naturkraft, die eine Ausſicht auf die Vollkommenheit auch der
ſittlichen Welt eröffnet, u. ſ. w. Allein vielmehr umgekehrt verhält es ſich
bei näherer Betrachtung: das Unendliche iſt in keiner Form unmittelbarer
dem Geiſt gegenwärtig, als in der Gefühlsform, und jenes primitive Ver-
halten des Geiſtes, der alle Gegenſätze in ſich verſöhnt hat, die Religion
beſteht ja (vergl. §. 61) weſentlich in der Gefühlsform. Und ſo zeigt
ſich zwiſchen der Muſik und Religion ein Verhältniß von ſolcher Enge,
wie in den andern Künſten nicht. Dieſe ſind ihr verwandt durch die Form
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 793. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/31>, abgerufen am 29.01.2025.
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