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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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vereinigten Klangfarben und die ihr möglichen Toncombinationen klingen
so klar und charakteristisch an die sämmtlichen Erregungsarten, Stimmungs-
kreise und Empfindungsgebiete des Seelenlebens an, daß sie dieselben voll-
ständig zu erschöpfen, sie für sich oder in größerer Vereinigung zu schildern
vermag. Es ergibt sich hiemit für die Symphonie eine ähnliche, jedoch
mehrgliedrige Eintheilung wie für die Ouvertüre. Sie ist einmal lyrische
Symphonie
, sie stellt einen Wechsel, Contrast und Fortgang verschiedener
Stimmungen dar, die das Gefühl nach der Seite entweder der Lust und
der Unlust, oder der Erhebung und der Ruhe, des freudigkräftigen Auf-
schwungs und der Sammlung in sich selbst, der Begeisterung und der
Rückkehr zu sinniger Betrachtung nach einander afficirt zeigen; sie hat in
diesem Falle weniger charakteristische Färbung, weniger intensive Ergriffenheit,
sie geht nur aus auf klares und ausdrucksvolles Wiedergeben der Stimmungen;
sie zerfällt jedoch schon innerhalb dieses Gebietes gleich wieder in zwei
Unterarten, je nachdem ihre Lyrik (wie bei Haydn) eine einfachere, dem
Stimmungscharakter des Liedes und sonstiger gemüthlicher Musik sich an-
nähernde Bewegtheit der Empfindung oder (wie bei Mozart) eine bereits
wärmere, tiefergehende, großartigere, pathetischere Erregung des Gefühles ist.
Eine zweite Form ist die epischlyrische, malerische Symphonie;
sie stellt nicht blos Stimmungswechsel, sondern eine Gefühlserregtheit von
qualitativ bestimmter Art und Aeußerungsweise dar, sie malt Naturempfin-
dungen, sie malt Gefühle, von denen das Menschenleben sich bewegt zeigt,
sociale Gefühle, wie sie bei Einzelnen oder größern Massen nach verschie-
denen Richtungen, der Freude oder des Leids, der behaglichen, stürmenden
Lust oder des Ernstes und der Trauer lebendig werden, sie malt friedliche,
ebenso aber auch kriegerische Stimmungen und deren Aeußerung, -- idyllische,
pastorale, romantische, Freuden- und Tanzsymphonie, elegische, Kriegs- und
Siegessymphonie. Ansätze zu solchen malerischen Schilderungen können auch
die kleinern Formen des Quartetts u. s. w. ausnahmsweise nicht ohne Glück
versuchen, aber volle Mittel hat dazu erst die Symphonie. Natürlich ist es,
daß die einfachlyrische und die epischlyrische Symphonie häufig in einander
verschmelzen; namentlich gibt dazu der dritte Satz, der Satz in Tanzform,
fast von selbst Anlaß, weil er selbst immer schon etwas Malerisches hat,
sei es nun daß er die Vorstellung eines wirklichen Tanzes erweckt, oder daß
er wenigstens durch charakteristischere Stimmungsfarbe, die ihm immer
gegeben werden muß, um ihn nicht unbedeutend erscheinen zu lassen, über
das einfach Lyrische hinausgeht, dem Idyllischen, Elegischen u. s. w. sich
annähert (wie z. B. das Trio des Menuetts in Mozart's lyrischer Gmoll-
Symphonie, das dem dunkel gefärbten, kräftig schreitenden Mollsatz gegen-
über wie eine momentan eröffnete Perspective in ein heiter vergnügtes,
gemüthlich sich wiegendes Naturdasein sich ausnimmt). Die einzelne

vereinigten Klangfarben und die ihr möglichen Toncombinationen klingen
ſo klar und charakteriſtiſch an die ſämmtlichen Erregungsarten, Stimmungs-
kreiſe und Empfindungsgebiete des Seelenlebens an, daß ſie dieſelben voll-
ſtändig zu erſchöpfen, ſie für ſich oder in größerer Vereinigung zu ſchildern
vermag. Es ergibt ſich hiemit für die Symphonie eine ähnliche, jedoch
mehrgliedrige Eintheilung wie für die Ouvertüre. Sie iſt einmal lyriſche
Symphonie
, ſie ſtellt einen Wechſel, Contraſt und Fortgang verſchiedener
Stimmungen dar, die das Gefühl nach der Seite entweder der Luſt und
der Unluſt, oder der Erhebung und der Ruhe, des freudigkräftigen Auf-
ſchwungs und der Sammlung in ſich ſelbſt, der Begeiſterung und der
Rückkehr zu ſinniger Betrachtung nach einander afficirt zeigen; ſie hat in
dieſem Falle weniger charakteriſtiſche Färbung, weniger intenſive Ergriffenheit,
ſie geht nur aus auf klares und ausdrucksvolles Wiedergeben der Stimmungen;
ſie zerfällt jedoch ſchon innerhalb dieſes Gebietes gleich wieder in zwei
Unterarten, je nachdem ihre Lyrik (wie bei Haydn) eine einfachere, dem
Stimmungscharakter des Liedes und ſonſtiger gemüthlicher Muſik ſich an-
nähernde Bewegtheit der Empfindung oder (wie bei Mozart) eine bereits
wärmere, tiefergehende, großartigere, pathetiſchere Erregung des Gefühles iſt.
Eine zweite Form iſt die epiſchlyriſche, maleriſche Symphonie;
ſie ſtellt nicht blos Stimmungswechſel, ſondern eine Gefühlserregtheit von
qualitativ beſtimmter Art und Aeußerungsweiſe dar, ſie malt Naturempfin-
dungen, ſie malt Gefühle, von denen das Menſchenleben ſich bewegt zeigt,
ſociale Gefühle, wie ſie bei Einzelnen oder größern Maſſen nach verſchie-
denen Richtungen, der Freude oder des Leids, der behaglichen, ſtürmenden
Luſt oder des Ernſtes und der Trauer lebendig werden, ſie malt friedliche,
ebenſo aber auch kriegeriſche Stimmungen und deren Aeußerung, — idylliſche,
paſtorale, romantiſche, Freuden- und Tanzſymphonie, elegiſche, Kriegs- und
Siegesſymphonie. Anſätze zu ſolchen maleriſchen Schilderungen können auch
die kleinern Formen des Quartetts u. ſ. w. ausnahmsweiſe nicht ohne Glück
verſuchen, aber volle Mittel hat dazu erſt die Symphonie. Natürlich iſt es,
daß die einfachlyriſche und die epiſchlyriſche Symphonie häufig in einander
verſchmelzen; namentlich gibt dazu der dritte Satz, der Satz in Tanzform,
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ſei es nun daß er die Vorſtellung eines wirklichen Tanzes erweckt, oder daß
er wenigſtens durch charakteriſtiſchere Stimmungsfarbe, die ihm immer
gegeben werden muß, um ihn nicht unbedeutend erſcheinen zu laſſen, über
das einfach Lyriſche hinausgeht, dem Idylliſchen, Elegiſchen u. ſ. w. ſich
annähert (wie z. B. das Trio des Menuetts in Mozart’s lyriſcher Gmoll-
Symphonie, das dem dunkel gefärbten, kräftig ſchreitenden Mollſatz gegen-
über wie eine momentan eröffnete Perſpective in ein heiter vergnügtes,
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[1091/0329] vereinigten Klangfarben und die ihr möglichen Toncombinationen klingen ſo klar und charakteriſtiſch an die ſämmtlichen Erregungsarten, Stimmungs- kreiſe und Empfindungsgebiete des Seelenlebens an, daß ſie dieſelben voll- ſtändig zu erſchöpfen, ſie für ſich oder in größerer Vereinigung zu ſchildern vermag. Es ergibt ſich hiemit für die Symphonie eine ähnliche, jedoch mehrgliedrige Eintheilung wie für die Ouvertüre. Sie iſt einmal lyriſche Symphonie, ſie ſtellt einen Wechſel, Contraſt und Fortgang verſchiedener Stimmungen dar, die das Gefühl nach der Seite entweder der Luſt und der Unluſt, oder der Erhebung und der Ruhe, des freudigkräftigen Auf- ſchwungs und der Sammlung in ſich ſelbſt, der Begeiſterung und der Rückkehr zu ſinniger Betrachtung nach einander afficirt zeigen; ſie hat in dieſem Falle weniger charakteriſtiſche Färbung, weniger intenſive Ergriffenheit, ſie geht nur aus auf klares und ausdrucksvolles Wiedergeben der Stimmungen; ſie zerfällt jedoch ſchon innerhalb dieſes Gebietes gleich wieder in zwei Unterarten, je nachdem ihre Lyrik (wie bei Haydn) eine einfachere, dem Stimmungscharakter des Liedes und ſonſtiger gemüthlicher Muſik ſich an- nähernde Bewegtheit der Empfindung oder (wie bei Mozart) eine bereits wärmere, tiefergehende, großartigere, pathetiſchere Erregung des Gefühles iſt. Eine zweite Form iſt die epiſchlyriſche, maleriſche Symphonie; ſie ſtellt nicht blos Stimmungswechſel, ſondern eine Gefühlserregtheit von qualitativ beſtimmter Art und Aeußerungsweiſe dar, ſie malt Naturempfin- dungen, ſie malt Gefühle, von denen das Menſchenleben ſich bewegt zeigt, ſociale Gefühle, wie ſie bei Einzelnen oder größern Maſſen nach verſchie- denen Richtungen, der Freude oder des Leids, der behaglichen, ſtürmenden Luſt oder des Ernſtes und der Trauer lebendig werden, ſie malt friedliche, ebenſo aber auch kriegeriſche Stimmungen und deren Aeußerung, — idylliſche, paſtorale, romantiſche, Freuden- und Tanzſymphonie, elegiſche, Kriegs- und Siegesſymphonie. Anſätze zu ſolchen maleriſchen Schilderungen können auch die kleinern Formen des Quartetts u. ſ. w. ausnahmsweiſe nicht ohne Glück verſuchen, aber volle Mittel hat dazu erſt die Symphonie. Natürlich iſt es, daß die einfachlyriſche und die epiſchlyriſche Symphonie häufig in einander verſchmelzen; namentlich gibt dazu der dritte Satz, der Satz in Tanzform, faſt von ſelbſt Anlaß, weil er ſelbſt immer ſchon etwas Maleriſches hat, ſei es nun daß er die Vorſtellung eines wirklichen Tanzes erweckt, oder daß er wenigſtens durch charakteriſtiſchere Stimmungsfarbe, die ihm immer gegeben werden muß, um ihn nicht unbedeutend erſcheinen zu laſſen, über das einfach Lyriſche hinausgeht, dem Idylliſchen, Elegiſchen u. ſ. w. ſich annähert (wie z. B. das Trio des Menuetts in Mozart’s lyriſcher Gmoll- Symphonie, das dem dunkel gefärbten, kräftig ſchreitenden Mollſatz gegen- über wie eine momentan eröffnete Perſpective in ein heiter vergnügtes, gemüthlich ſich wiegendes Naturdaſein ſich ausnimmt). Die einzelne

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1091. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/329>, abgerufen am 21.11.2024.