sympathetische Gefühle, Empfindungen religiöser, ethischer, allgemeinmensch- licher (gemüthlicher) Natur empor, welche an großen, allgemein bedeutsamen, für das menschliche Gemüth als solches wichtigen, die Sympathie der Menschenbrust überhaupt erregenden Gegenständen, Ereignissen, Anschauungen ihr Object haben, und diese Art von Gefühlen ist nun nicht blos beschränkt auf jene unmittelbarern, selbst wieder subjectivern Stimmungen der Andacht, der Demuth, der Begeisterung, welche wir bei der Betrachtung der kirchlichen Musik kennen lernten, sondern sie erstreckt sich weiter, sie geht fort zu einer fühlenden Betrachtung ganzer Reihen von Ereignissen oder von Anschauungen, welche religiöse, ethische, gemüthliche Bedeutung für die Subjectivität haben, zu der fühlenden Betrachtung bedeutungsvoller Ereignisse und Anschauungen, welche selbst so inhalt- und umfangreich sind, daß sie nicht innerhalb des engen Raumes des Psalms, der Motette, der Messe, des Lieds, der Ballade u. s. f. befaßt werden können, sondern sich ausdehnen zu einem großen zusammenhängenden Ganzen, zu einem "Cyclus" von Begebenheiten und Vorstellungen, der in dieser seiner ganzen Ausdehnung Gegenstand des Gefühls ist, vom Gefühl des Anschauenden lebendig empfunden wird und so eine seinem objectiven Inhalt entsprechende große Reihenfolge von Gefühlen, einen Cyclus von subjectiven Gefühlen in ihm erregt. Auch Gefühle dieser Art fallen unter das Gebiet der Musik, sie werden, wie alles Gefühl, erst durch sie recht lebendig, und sie gewähren andrerseits ihr den edelsten und zugleich umfassendsten Stoff, der überhaupt denkbar ist, der aber eben wegen seines weitern Umfangs Fixirung der Gefühle in andeu- tendem Worte, also Vocal-, und wegen seiner concretern, objectiver entwickelten Natur lebendigere, farbenreichere Charakteristik, also Instrumentalmusik ver- langt. Ein zweiter Grund, der die Musik zu größern Tonwerken forttreibt (und der mit dem vorigen zusammen zugleich bereits die Grundlage der Gliederung dieses ganzen Musikzweiges abgibt) ist folgender. Zusammen- hängende "Gefühlscyclen" (um diesen bezeichnendsten Ausdruck beizubehalten) bilden sich auch dadurch, daß jede größere Folge von Begebenheiten und Actionen, jede "Geschichte" und "Handlung," die nicht ganz äußerlicher, zufälliger, mechanischer, bedeutungsloser Art ist, ihrer subjectiven Seite nach nichts Anderes ist, als eine Reihenfolge von "passiven und activen" Gefühlen (§. 814), welche durch das Geschehende bedingt sind und das Geschehen selbst bedingen. Eine in der Sphäre bewußter, empfin- dender, wollender Wesen vor sich gehende, eben mit ihnen zu thun habende Geschichte löst sich psychologisch betrachtet auf in eine Reihe von Zuständen, Affectionen, Gefühlen, welche in den Betheiligten hervorgebracht werden oder sie, soweit sie mithandeln, zu diesem Handeln bestimmen; dasselbe ist bei einer Handlung der Fall, nur daß hier die zum Handeln bestimmenden activen Gefühle, Affecte, Leidenschaften, Strebungen stärker und mit mehr
ſympathetiſche Gefühle, Empfindungen religiöſer, ethiſcher, allgemeinmenſch- licher (gemüthlicher) Natur empor, welche an großen, allgemein bedeutſamen, für das menſchliche Gemüth als ſolches wichtigen, die Sympathie der Menſchenbruſt überhaupt erregenden Gegenſtänden, Ereigniſſen, Anſchauungen ihr Object haben, und dieſe Art von Gefühlen iſt nun nicht blos beſchränkt auf jene unmittelbarern, ſelbſt wieder ſubjectivern Stimmungen der Andacht, der Demuth, der Begeiſterung, welche wir bei der Betrachtung der kirchlichen Muſik kennen lernten, ſondern ſie erſtreckt ſich weiter, ſie geht fort zu einer fühlenden Betrachtung ganzer Reihen von Ereigniſſen oder von Anſchauungen, welche religiöſe, ethiſche, gemüthliche Bedeutung für die Subjectivität haben, zu der fühlenden Betrachtung bedeutungsvoller Ereigniſſe und Anſchauungen, welche ſelbſt ſo inhalt- und umfangreich ſind, daß ſie nicht innerhalb des engen Raumes des Pſalms, der Motette, der Meſſe, des Lieds, der Ballade u. ſ. f. befaßt werden können, ſondern ſich ausdehnen zu einem großen zuſammenhängenden Ganzen, zu einem „Cyclus“ von Begebenheiten und Vorſtellungen, der in dieſer ſeiner ganzen Ausdehnung Gegenſtand des Gefühls iſt, vom Gefühl des Anſchauenden lebendig empfunden wird und ſo eine ſeinem objectiven Inhalt entſprechende große Reihenfolge von Gefühlen, einen Cyclus von ſubjectiven Gefühlen in ihm erregt. Auch Gefühle dieſer Art fallen unter das Gebiet der Muſik, ſie werden, wie alles Gefühl, erſt durch ſie recht lebendig, und ſie gewähren andrerſeits ihr den edelſten und zugleich umfaſſendſten Stoff, der überhaupt denkbar iſt, der aber eben wegen ſeines weitern Umfangs Fixirung der Gefühle in andeu- tendem Worte, alſo Vocal-, und wegen ſeiner concretern, objectiver entwickelten Natur lebendigere, farbenreichere Charakteriſtik, alſo Inſtrumentalmuſik ver- langt. Ein zweiter Grund, der die Muſik zu größern Tonwerken forttreibt (und der mit dem vorigen zuſammen zugleich bereits die Grundlage der Gliederung dieſes ganzen Muſikzweiges abgibt) iſt folgender. Zuſammen- hängende „Gefühlscyclen“ (um dieſen bezeichnendſten Ausdruck beizubehalten) bilden ſich auch dadurch, daß jede größere Folge von Begebenheiten und Actionen, jede „Geſchichte“ und „Handlung,“ die nicht ganz äußerlicher, zufälliger, mechaniſcher, bedeutungsloſer Art iſt, ihrer ſubjectiven Seite nach nichts Anderes iſt, als eine Reihenfolge von „paſſiven und activen“ Gefühlen (§. 814), welche durch das Geſchehende bedingt ſind und das Geſchehen ſelbſt bedingen. Eine in der Sphäre bewußter, empfin- dender, wollender Weſen vor ſich gehende, eben mit ihnen zu thun habende Geſchichte löst ſich pſychologiſch betrachtet auf in eine Reihe von Zuſtänden, Affectionen, Gefühlen, welche in den Betheiligten hervorgebracht werden oder ſie, ſoweit ſie mithandeln, zu dieſem Handeln beſtimmen; daſſelbe iſt bei einer Handlung der Fall, nur daß hier die zum Handeln beſtimmenden activen Gefühle, Affecte, Leidenſchaften, Strebungen ſtärker und mit mehr
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ſympathetiſche Gefühle, Empfindungen religiöſer, ethiſcher, allgemeinmenſch-
licher (gemüthlicher) Natur empor, welche an großen, allgemein bedeutſamen,
für das menſchliche Gemüth als ſolches wichtigen, die Sympathie der
Menſchenbruſt überhaupt erregenden Gegenſtänden, Ereigniſſen, Anſchauungen
ihr Object haben, und dieſe Art von Gefühlen iſt nun nicht blos beſchränkt
auf jene unmittelbarern, ſelbſt wieder ſubjectivern Stimmungen der Andacht,
der Demuth, der Begeiſterung, welche wir bei der Betrachtung der kirchlichen
Muſik kennen lernten, ſondern ſie erſtreckt ſich weiter, ſie geht fort zu einer
fühlenden Betrachtung ganzer Reihen von Ereigniſſen oder von
Anſchauungen, welche religiöſe, ethiſche, gemüthliche Bedeutung für die
Subjectivität haben, zu der fühlenden Betrachtung bedeutungsvoller Ereigniſſe
und Anſchauungen, welche ſelbſt ſo inhalt- und umfangreich ſind, daß ſie
nicht innerhalb des engen Raumes des Pſalms, der Motette, der Meſſe,
des Lieds, der Ballade u. ſ. f. befaßt werden können, ſondern ſich ausdehnen
zu einem großen zuſammenhängenden Ganzen, zu einem „Cyclus“ von
Begebenheiten und Vorſtellungen, der in dieſer ſeiner ganzen Ausdehnung
Gegenſtand des Gefühls iſt, vom Gefühl des Anſchauenden lebendig empfunden
wird und ſo eine ſeinem objectiven Inhalt entſprechende große Reihenfolge
von Gefühlen, einen Cyclus von ſubjectiven Gefühlen in ihm erregt. Auch
Gefühle dieſer Art fallen unter das Gebiet der Muſik, ſie werden, wie alles
Gefühl, erſt durch ſie recht lebendig, und ſie gewähren andrerſeits ihr den
edelſten und zugleich umfaſſendſten Stoff, der überhaupt denkbar iſt, der
aber eben wegen ſeines weitern Umfangs Fixirung der Gefühle in andeu-
tendem Worte, alſo Vocal-, und wegen ſeiner concretern, objectiver entwickelten
Natur lebendigere, farbenreichere Charakteriſtik, alſo Inſtrumentalmuſik ver-
langt. Ein zweiter Grund, der die Muſik zu größern Tonwerken forttreibt
(und der mit dem vorigen zuſammen zugleich bereits die Grundlage der
Gliederung dieſes ganzen Muſikzweiges abgibt) iſt folgender. Zuſammen-
hängende „Gefühlscyclen“ (um dieſen bezeichnendſten Ausdruck beizubehalten)
bilden ſich auch dadurch, daß jede größere Folge von Begebenheiten
und Actionen, jede „Geſchichte“ und „Handlung,“ die nicht ganz
äußerlicher, zufälliger, mechaniſcher, bedeutungsloſer Art iſt, ihrer ſubjectiven
Seite nach nichts Anderes iſt, als eine Reihenfolge von „paſſiven und
activen“ Gefühlen (§. 814), welche durch das Geſchehende bedingt ſind
und das Geſchehen ſelbſt bedingen. Eine in der Sphäre bewußter, empfin-
dender, wollender Weſen vor ſich gehende, eben mit ihnen zu thun habende
Geſchichte löst ſich pſychologiſch betrachtet auf in eine Reihe von Zuſtänden,
Affectionen, Gefühlen, welche in den Betheiligten hervorgebracht werden
oder ſie, ſoweit ſie mithandeln, zu dieſem Handeln beſtimmen; daſſelbe iſt
bei einer Handlung der Fall, nur daß hier die zum Handeln beſtimmenden
activen Gefühle, Affecte, Leidenſchaften, Strebungen ſtärker und mit mehr
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/339>, abgerufen am 21.11.2024.
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