Ausdrucksmittel, in andern Gebieten hat sie auch andere Mittel, wir können den innern Vorgang klar fassen und nachher den Uebergang zu diesem Ausdrucksmittel aufzeigen; das Gefühl aber hat eine andere genügende Sprache außer der Musik nicht, daher bleiben für ihr wissenschaftliches Ver- ständniß nur diese dunkeln Rückschlüsse. Die Lehre von der Musik ist bisher nach einer kurzen Bestimmung des Wesens des Gefühls sogleich zum Ma- terial übergegangen und dann hat sie die psychische Bedeutung der ver- schiedenen technischen Formen gesucht. Sie hat dasselbe gethan, was wir hier vornehmen, nur an einer andern Stelle. Sie hat aus der Wirkung auf die Ursache geschlossen und zu diesem Zweck zunächst die Wirkung dar- gestellt, wir schicken voran, was aus jenen Schlüssen sich ergibt, um mindestens einen Anstoß zur genaueren Untersuchung des Gefühls zu geben. Das Schwere liegt nun wesentlich darin, daß wir hier vor einem Geheim- nisse stehen, das in der dunkeln Mitte zwischen Physiologie und Psychologie liegt. Die Wirkung der Tonschwingungen, richtiger die Wahl dieses Mittels, um sich von außen entgegentreten zu lassen, uns im Innern angelegt ist, muß ihren Grund darin haben, daß das Gefühl selbst ein Leben von Schwingungen ist; das Dunkel ruht nun aber in dem doppelten, dem eigentlichen und uneigentlichen Sinne dieses Wortes. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß den Vorgängen des Gefühls Nervenbebungen als orga- nische Träger des Geistigen zu Grunde liegen, es muß wesentlich ein Vibrationsleben sein, aber was heißt Träger? was ist dabei zu denken, wenn wir nun den geistigen Vorgang selbst nur als ein Schwing- ungsleben bezeichnen können? Vom Geiste können wir keine Schwingungen aussagen und doch haben wir kein anderes Wort, keine klarere Vorstellung als die, daß sich die Nervenschwingung wie eine Art symbolisches Bild in seinem Innern reflectirt. Wir müssen also bei dieser Vorstellung bleiben und was sich bei näherer Betrachtung ergibt, ist nun ein Gegensatz von zweierlei Wogen im Bewegungsstrome des Gefühls, den der §. zu fassen sucht in der Bestimmung, daß das Gefühl entweder substantiell im allge- meinen, objectiven Lebensgrunde sich hält oder subjectiv von demselben sich ablöst. Es ist nicht der Gegensatz von Lust und Unlust; diese beiden Grundstimmungen bewegen sich in unendlicher Abwechslung durch den Ge- gensatz, von dem hier die Rede ist: die mächtige, breite Woge, ein Bild der ungetheilten, Alles in ihrem Urschooß zusammenhaltenden Kraftfülle des Lebens kann in der Weise heranschwellen, daß ich mich befriedigt in diese Substanz miteingeschlossen fühle, sie kann aber auch dem subjectiv freier gelösten Gemüthe wie eine fremde Macht entgegenrollen, umgekehrt kann das Gefühl der entbundenen Subjectivität im freien Spiele der Lust sich ergehen oder schmerzvoll bis zur Verzweiflung sich losgerissen empfinden vom tragenden, haltenden Lebensgrunde. Dieses Tragen und Halten wird
Ausdrucksmittel, in andern Gebieten hat ſie auch andere Mittel, wir können den innern Vorgang klar faſſen und nachher den Uebergang zu dieſem Ausdrucksmittel aufzeigen; das Gefühl aber hat eine andere genügende Sprache außer der Muſik nicht, daher bleiben für ihr wiſſenſchaftliches Ver- ſtändniß nur dieſe dunkeln Rückſchlüſſe. Die Lehre von der Muſik iſt bisher nach einer kurzen Beſtimmung des Weſens des Gefühls ſogleich zum Ma- terial übergegangen und dann hat ſie die pſychiſche Bedeutung der ver- ſchiedenen techniſchen Formen geſucht. Sie hat daſſelbe gethan, was wir hier vornehmen, nur an einer andern Stelle. Sie hat aus der Wirkung auf die Urſache geſchloſſen und zu dieſem Zweck zunächſt die Wirkung dar- geſtellt, wir ſchicken voran, was aus jenen Schlüſſen ſich ergibt, um mindeſtens einen Anſtoß zur genaueren Unterſuchung des Gefühls zu geben. Das Schwere liegt nun weſentlich darin, daß wir hier vor einem Geheim- niſſe ſtehen, das in der dunkeln Mitte zwiſchen Phyſiologie und Pſychologie liegt. Die Wirkung der Tonſchwingungen, richtiger die Wahl dieſes Mittels, um ſich von außen entgegentreten zu laſſen, uns im Innern angelegt iſt, muß ihren Grund darin haben, daß das Gefühl ſelbſt ein Leben von Schwingungen iſt; das Dunkel ruht nun aber in dem doppelten, dem eigentlichen und uneigentlichen Sinne dieſes Wortes. Es iſt durchaus wahrſcheinlich, daß den Vorgängen des Gefühls Nervenbebungen als orga- niſche Träger des Geiſtigen zu Grunde liegen, es muß weſentlich ein Vibrationsleben ſein, aber was heißt Träger? was iſt dabei zu denken, wenn wir nun den geiſtigen Vorgang ſelbſt nur als ein Schwing- ungsleben bezeichnen können? Vom Geiſte können wir keine Schwingungen ausſagen und doch haben wir kein anderes Wort, keine klarere Vorſtellung als die, daß ſich die Nervenſchwingung wie eine Art ſymboliſches Bild in ſeinem Innern reflectirt. Wir müſſen alſo bei dieſer Vorſtellung bleiben und was ſich bei näherer Betrachtung ergibt, iſt nun ein Gegenſatz von zweierlei Wogen im Bewegungsſtrome des Gefühls, den der §. zu faſſen ſucht in der Beſtimmung, daß das Gefühl entweder ſubſtantiell im allge- meinen, objectiven Lebensgrunde ſich hält oder ſubjectiv von demſelben ſich ablöst. Es iſt nicht der Gegenſatz von Luſt und Unluſt; dieſe beiden Grundſtimmungen bewegen ſich in unendlicher Abwechslung durch den Ge- genſatz, von dem hier die Rede iſt: die mächtige, breite Woge, ein Bild der ungetheilten, Alles in ihrem Urſchooß zuſammenhaltenden Kraftfülle des Lebens kann in der Weiſe heranſchwellen, daß ich mich befriedigt in dieſe Subſtanz miteingeſchloſſen fühle, ſie kann aber auch dem ſubjectiv freier gelösten Gemüthe wie eine fremde Macht entgegenrollen, umgekehrt kann das Gefühl der entbundenen Subjectivität im freien Spiele der Luſt ſich ergehen oder ſchmerzvoll bis zur Verzweiflung ſich losgeriſſen empfinden vom tragenden, haltenden Lebensgrunde. Dieſes Tragen und Halten wird
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Ausdrucksmittel, in andern Gebieten hat ſie auch andere Mittel, wir können
den innern Vorgang klar faſſen und nachher den Uebergang zu dieſem
Ausdrucksmittel aufzeigen; das Gefühl aber hat eine andere genügende
Sprache außer der Muſik nicht, daher bleiben für ihr wiſſenſchaftliches Ver-
ſtändniß nur dieſe dunkeln Rückſchlüſſe. Die Lehre von der Muſik iſt bisher
nach einer kurzen Beſtimmung des Weſens des Gefühls ſogleich zum Ma-
terial übergegangen und dann hat ſie die pſychiſche Bedeutung der ver-
ſchiedenen techniſchen Formen geſucht. Sie hat daſſelbe gethan, was wir
hier vornehmen, nur an einer andern Stelle. Sie hat aus der Wirkung
auf die Urſache geſchloſſen und zu dieſem Zweck zunächſt die Wirkung dar-
geſtellt, wir ſchicken voran, was aus jenen Schlüſſen ſich ergibt, um
mindeſtens einen Anſtoß zur genaueren Unterſuchung des Gefühls zu geben.
Das Schwere liegt nun weſentlich darin, daß wir hier vor einem Geheim-
niſſe ſtehen, das in der dunkeln Mitte zwiſchen Phyſiologie und Pſychologie
liegt. Die Wirkung der Tonſchwingungen, richtiger die Wahl dieſes Mittels,
um ſich von außen entgegentreten zu laſſen, uns im Innern angelegt iſt,
muß ihren Grund darin haben, daß das Gefühl ſelbſt ein Leben von
Schwingungen iſt; das Dunkel ruht nun aber in dem doppelten, dem
eigentlichen und uneigentlichen Sinne dieſes Wortes. Es iſt durchaus
wahrſcheinlich, daß den Vorgängen des Gefühls Nervenbebungen als orga-
niſche Träger des Geiſtigen zu Grunde liegen, es muß weſentlich ein
Vibrationsleben ſein, aber was heißt Träger? was iſt dabei zu denken,
wenn wir nun den geiſtigen Vorgang ſelbſt nur als ein Schwing-
ungsleben bezeichnen können? Vom Geiſte können wir keine Schwingungen
ausſagen und doch haben wir kein anderes Wort, keine klarere Vorſtellung
als die, daß ſich die Nervenſchwingung wie eine Art ſymboliſches Bild in
ſeinem Innern reflectirt. Wir müſſen alſo bei dieſer Vorſtellung bleiben
und was ſich bei näherer Betrachtung ergibt, iſt nun ein Gegenſatz von
zweierlei Wogen im Bewegungsſtrome des Gefühls, den der §. zu faſſen
ſucht in der Beſtimmung, daß das Gefühl entweder ſubſtantiell im allge-
meinen, objectiven Lebensgrunde ſich hält oder ſubjectiv von demſelben ſich
ablöst. Es iſt nicht der Gegenſatz von Luſt und Unluſt; dieſe beiden
Grundſtimmungen bewegen ſich in unendlicher Abwechslung durch den Ge-
genſatz, von dem hier die Rede iſt: die mächtige, breite Woge, ein Bild
der ungetheilten, Alles in ihrem Urſchooß zuſammenhaltenden Kraftfülle des
Lebens kann in der Weiſe heranſchwellen, daß ich mich befriedigt in dieſe
Subſtanz miteingeſchloſſen fühle, ſie kann aber auch dem ſubjectiv freier
gelösten Gemüthe wie eine fremde Macht entgegenrollen, umgekehrt kann
das Gefühl der entbundenen Subjectivität im freien Spiele der Luſt ſich
ergehen oder ſchmerzvoll bis zur Verzweiflung ſich losgeriſſen empfinden
vom tragenden, haltenden Lebensgrunde. Dieſes Tragen und Halten wird
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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