welche sich an ein wesentliches Unterscheidungsmoment im Tanze knüpfen, nämlich an das Auseinandertreten des Allgemeinen und Besondern. Aus der Bewegung größerer Massen treten Mehrere, tritt ein Paar, tritt endlich eine einzelne Person hervor und stellt das Gefühl, das die Musik andeutet, bestimmter dar, zunächst durch reinen Tanz, der nur subjectiv bewegter, mannigfaltiger, kunstreicher ist, als der Massentanz, welcher stets mehr bloße Evolution bleibt, wobei aber ja nicht an die Kunststücke des modernen Ballets zu denken ist. Von da nun geschieht ein weiterer Schritt: die Tänzer und Tänzerinnen, die aus der orchestischen Gesammtbewegung heraus- treten, gehen in die Pantomime über und stellen durch sie nun deutlicher und ausgeprägter, als der reine Tanz es kann, eine Handlung dar. Hier ist zunächst wohl zu unterscheiden: es ist nicht die Rede von der freieren Pantomime ohne Musik, wie sie in den Harlekinaden der Italiener auftritt, auch nicht von der musikalisch begleiteten des modernen Ballets; die erstere führt hinüber zur eigentlichen Mimik, ist eine Lostrennung der Action von der Declamation, und auch die zweite steht dem eigentlichen Tanze, obwohl mit ihm äußerlich verbunden, bereits zu fern. Es gibt eine Darstellung von Handlung durch bloße Gebärden, in welcher das Spiel derselben einer gemessenen Reglung durch die Musik unterliegt, so daß zwar einige Freiheit, vor Allem die Intensität des Ausdrucks dem Tänzer über- lassen ist, aber doch die Hauptstellungen, Bewegungen, Ortsveränderungen vorgeschrieben, fest formulirt sind. Ein Bild kann man sich machen an den Formen der katholischen Messe, welche der Rest eines ursprünglichen liturgisch dramatischen Tanzes ist; hier wurde das Begräbniß, die Auf- suchung des Leichnams durch die Frauen, die Auferstehung durch vorgeschrie- bene Gänge nach bestimmten Theilen der Kirche, Stellungen, Bewegungen dargestellt, wovon jetzt nur noch ein abgekürztes Hin- und Wiedergehen, Verneigen u. s. w. am Altar übrig geblieben ist. -- Die Alten gingen, allerdings erst in der späteren römischen Zeit, in der Ausbildung der Pan- tomime bis dahin, daß Ein Tänzer die andern Personen und weiteren Objecte, die sich der Zuschauer vorzustellen hatte, mimisch anzeigte, ja mit rapidem Wechsel der Maske, Kleidung und des Standortes alle Personen einer Handlung tanzte, und sie bewunderten darin noch mehr die psychische Fülle, Kraft und Einsicht, als die somatische Geschicklichkeit (Lucian vom Tanz c. 66). Ein Zusammenwirken mehrerer pantomimischer Tänzer wird natürlich dadurch nicht ausgeschlossen und bleibt vom Standpuncte des darzustellenden Inhalts das Natürlichere. Die höchste Fähigkeit, jeden reichsten Inhalt darzustellen, wird nun erreicht, wenn die Pantomime nicht blos von der Musik, sondern auch vom Gesange, dessen Text den Inhalt der Handlung wie im Drama ausspricht, sich begleiten läßt. Bei den Alten that dieß ursprünglich der Tänzer selbst, nachher trennten sich die
welche ſich an ein weſentliches Unterſcheidungsmoment im Tanze knüpfen, nämlich an das Auseinandertreten des Allgemeinen und Beſondern. Aus der Bewegung größerer Maſſen treten Mehrere, tritt ein Paar, tritt endlich eine einzelne Perſon hervor und ſtellt das Gefühl, das die Muſik andeutet, beſtimmter dar, zunächſt durch reinen Tanz, der nur ſubjectiv bewegter, mannigfaltiger, kunſtreicher iſt, als der Maſſentanz, welcher ſtets mehr bloße Evolution bleibt, wobei aber ja nicht an die Kunſtſtücke des modernen Ballets zu denken iſt. Von da nun geſchieht ein weiterer Schritt: die Tänzer und Tänzerinnen, die aus der orcheſtiſchen Geſammtbewegung heraus- treten, gehen in die Pantomime über und ſtellen durch ſie nun deutlicher und ausgeprägter, als der reine Tanz es kann, eine Handlung dar. Hier iſt zunächſt wohl zu unterſcheiden: es iſt nicht die Rede von der freieren Pantomime ohne Muſik, wie ſie in den Harlekinaden der Italiener auftritt, auch nicht von der muſikaliſch begleiteten des modernen Ballets; die erſtere führt hinüber zur eigentlichen Mimik, iſt eine Lostrennung der Action von der Declamation, und auch die zweite ſteht dem eigentlichen Tanze, obwohl mit ihm äußerlich verbunden, bereits zu fern. Es gibt eine Darſtellung von Handlung durch bloße Gebärden, in welcher das Spiel derſelben einer gemeſſenen Reglung durch die Muſik unterliegt, ſo daß zwar einige Freiheit, vor Allem die Intenſität des Ausdrucks dem Tänzer über- laſſen iſt, aber doch die Hauptſtellungen, Bewegungen, Ortsveränderungen vorgeſchrieben, feſt formulirt ſind. Ein Bild kann man ſich machen an den Formen der katholiſchen Meſſe, welche der Reſt eines urſprünglichen liturgiſch dramatiſchen Tanzes iſt; hier wurde das Begräbniß, die Auf- ſuchung des Leichnams durch die Frauen, die Auferſtehung durch vorgeſchrie- bene Gänge nach beſtimmten Theilen der Kirche, Stellungen, Bewegungen dargeſtellt, wovon jetzt nur noch ein abgekürztes Hin- und Wiedergehen, Verneigen u. ſ. w. am Altar übrig geblieben iſt. — Die Alten gingen, allerdings erſt in der ſpäteren römiſchen Zeit, in der Ausbildung der Pan- tomime bis dahin, daß Ein Tänzer die andern Perſonen und weiteren Objecte, die ſich der Zuſchauer vorzuſtellen hatte, mimiſch anzeigte, ja mit rapidem Wechſel der Maske, Kleidung und des Standortes alle Perſonen einer Handlung tanzte, und ſie bewunderten darin noch mehr die pſychiſche Fülle, Kraft und Einſicht, als die ſomatiſche Geſchicklichkeit (Lucian vom Tanz c. 66). Ein Zuſammenwirken mehrerer pantomimiſcher Tänzer wird natürlich dadurch nicht ausgeſchloſſen und bleibt vom Standpuncte des darzuſtellenden Inhalts das Natürlichere. Die höchſte Fähigkeit, jeden reichſten Inhalt darzuſtellen, wird nun erreicht, wenn die Pantomime nicht blos von der Muſik, ſondern auch vom Geſange, deſſen Text den Inhalt der Handlung wie im Drama ausſpricht, ſich begleiten läßt. Bei den Alten that dieß urſprünglich der Tänzer ſelbſt, nachher trennten ſich die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0392"n="1154"/>
welche ſich an ein weſentliches Unterſcheidungsmoment im Tanze knüpfen,<lb/>
nämlich an das Auseinandertreten des Allgemeinen und Beſondern. Aus<lb/>
der Bewegung größerer Maſſen treten Mehrere, tritt ein Paar, tritt endlich<lb/>
eine einzelne Perſon hervor und ſtellt das Gefühl, das die Muſik andeutet,<lb/>
beſtimmter dar, zunächſt durch reinen Tanz, der nur ſubjectiv bewegter,<lb/>
mannigfaltiger, kunſtreicher iſt, als der Maſſentanz, welcher ſtets mehr<lb/>
bloße Evolution bleibt, wobei aber ja nicht an die Kunſtſtücke des modernen<lb/>
Ballets zu denken iſt. Von da nun geſchieht ein weiterer Schritt: die<lb/>
Tänzer und Tänzerinnen, die aus der orcheſtiſchen Geſammtbewegung heraus-<lb/>
treten, gehen in die <hirendition="#g">Pantomime</hi> über und ſtellen durch ſie nun deutlicher<lb/>
und ausgeprägter, als der reine Tanz es kann, eine <hirendition="#g">Handlung</hi> dar.<lb/>
Hier iſt zunächſt wohl zu unterſcheiden: es iſt nicht die Rede von der<lb/>
freieren Pantomime ohne Muſik, wie ſie in den Harlekinaden der Italiener<lb/>
auftritt, auch nicht von der muſikaliſch begleiteten des modernen Ballets;<lb/>
die erſtere führt hinüber zur eigentlichen Mimik, iſt eine Lostrennung der<lb/>
Action von der Declamation, und auch die zweite ſteht dem eigentlichen<lb/>
Tanze, obwohl mit ihm äußerlich verbunden, bereits zu fern. Es gibt eine<lb/>
Darſtellung von Handlung durch bloße Gebärden, in welcher das Spiel<lb/>
derſelben einer gemeſſenen Reglung durch die Muſik unterliegt, ſo daß zwar<lb/>
einige Freiheit, vor Allem die Intenſität des Ausdrucks dem Tänzer über-<lb/>
laſſen iſt, aber doch die Hauptſtellungen, Bewegungen, Ortsveränderungen<lb/>
vorgeſchrieben, feſt formulirt ſind. Ein Bild kann man ſich machen an<lb/>
den Formen der katholiſchen Meſſe, welche der Reſt eines urſprünglichen<lb/>
liturgiſch dramatiſchen Tanzes iſt; hier wurde das Begräbniß, die Auf-<lb/>ſuchung des Leichnams durch die Frauen, die Auferſtehung durch vorgeſchrie-<lb/>
bene Gänge nach beſtimmten Theilen der Kirche, Stellungen, Bewegungen<lb/>
dargeſtellt, wovon jetzt nur noch ein abgekürztes Hin- und Wiedergehen,<lb/>
Verneigen u. ſ. w. am Altar übrig geblieben iſt. — Die Alten gingen,<lb/>
allerdings erſt in der ſpäteren römiſchen Zeit, in der Ausbildung der Pan-<lb/>
tomime bis dahin, daß Ein Tänzer die andern Perſonen und weiteren<lb/>
Objecte, die ſich der Zuſchauer vorzuſtellen hatte, mimiſch anzeigte, ja mit<lb/>
rapidem Wechſel der Maske, Kleidung und des Standortes alle Perſonen<lb/>
einer Handlung tanzte, und ſie bewunderten darin noch mehr die pſychiſche<lb/>
Fülle, Kraft und Einſicht, als die ſomatiſche Geſchicklichkeit (Lucian vom<lb/>
Tanz <hirendition="#aq">c.</hi> 66). Ein Zuſammenwirken mehrerer pantomimiſcher Tänzer wird<lb/>
natürlich dadurch nicht ausgeſchloſſen und bleibt vom Standpuncte des<lb/>
darzuſtellenden Inhalts das Natürlichere. Die höchſte Fähigkeit, jeden<lb/>
reichſten Inhalt darzuſtellen, wird nun erreicht, wenn die Pantomime nicht<lb/>
blos von der Muſik, ſondern auch vom Geſange, deſſen Text den Inhalt<lb/>
der Handlung wie im Drama ausſpricht, ſich begleiten läßt. Bei den<lb/>
Alten that dieß urſprünglich der Tänzer ſelbſt, nachher trennten ſich die<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1154/0392]
welche ſich an ein weſentliches Unterſcheidungsmoment im Tanze knüpfen,
nämlich an das Auseinandertreten des Allgemeinen und Beſondern. Aus
der Bewegung größerer Maſſen treten Mehrere, tritt ein Paar, tritt endlich
eine einzelne Perſon hervor und ſtellt das Gefühl, das die Muſik andeutet,
beſtimmter dar, zunächſt durch reinen Tanz, der nur ſubjectiv bewegter,
mannigfaltiger, kunſtreicher iſt, als der Maſſentanz, welcher ſtets mehr
bloße Evolution bleibt, wobei aber ja nicht an die Kunſtſtücke des modernen
Ballets zu denken iſt. Von da nun geſchieht ein weiterer Schritt: die
Tänzer und Tänzerinnen, die aus der orcheſtiſchen Geſammtbewegung heraus-
treten, gehen in die Pantomime über und ſtellen durch ſie nun deutlicher
und ausgeprägter, als der reine Tanz es kann, eine Handlung dar.
Hier iſt zunächſt wohl zu unterſcheiden: es iſt nicht die Rede von der
freieren Pantomime ohne Muſik, wie ſie in den Harlekinaden der Italiener
auftritt, auch nicht von der muſikaliſch begleiteten des modernen Ballets;
die erſtere führt hinüber zur eigentlichen Mimik, iſt eine Lostrennung der
Action von der Declamation, und auch die zweite ſteht dem eigentlichen
Tanze, obwohl mit ihm äußerlich verbunden, bereits zu fern. Es gibt eine
Darſtellung von Handlung durch bloße Gebärden, in welcher das Spiel
derſelben einer gemeſſenen Reglung durch die Muſik unterliegt, ſo daß zwar
einige Freiheit, vor Allem die Intenſität des Ausdrucks dem Tänzer über-
laſſen iſt, aber doch die Hauptſtellungen, Bewegungen, Ortsveränderungen
vorgeſchrieben, feſt formulirt ſind. Ein Bild kann man ſich machen an
den Formen der katholiſchen Meſſe, welche der Reſt eines urſprünglichen
liturgiſch dramatiſchen Tanzes iſt; hier wurde das Begräbniß, die Auf-
ſuchung des Leichnams durch die Frauen, die Auferſtehung durch vorgeſchrie-
bene Gänge nach beſtimmten Theilen der Kirche, Stellungen, Bewegungen
dargeſtellt, wovon jetzt nur noch ein abgekürztes Hin- und Wiedergehen,
Verneigen u. ſ. w. am Altar übrig geblieben iſt. — Die Alten gingen,
allerdings erſt in der ſpäteren römiſchen Zeit, in der Ausbildung der Pan-
tomime bis dahin, daß Ein Tänzer die andern Perſonen und weiteren
Objecte, die ſich der Zuſchauer vorzuſtellen hatte, mimiſch anzeigte, ja mit
rapidem Wechſel der Maske, Kleidung und des Standortes alle Perſonen
einer Handlung tanzte, und ſie bewunderten darin noch mehr die pſychiſche
Fülle, Kraft und Einſicht, als die ſomatiſche Geſchicklichkeit (Lucian vom
Tanz c. 66). Ein Zuſammenwirken mehrerer pantomimiſcher Tänzer wird
natürlich dadurch nicht ausgeſchloſſen und bleibt vom Standpuncte des
darzuſtellenden Inhalts das Natürlichere. Die höchſte Fähigkeit, jeden
reichſten Inhalt darzuſtellen, wird nun erreicht, wenn die Pantomime nicht
blos von der Muſik, ſondern auch vom Geſange, deſſen Text den Inhalt
der Handlung wie im Drama ausſpricht, ſich begleiten läßt. Bei den
Alten that dieß urſprünglich der Tänzer ſelbſt, nachher trennten ſich die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 1154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/392>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.