sie es jederzeit als ihr Eigenes und Inneres herstellt. In dieser Tiefe seiner Bedeutung setzt das Komische noch entschiedener den ganz wachen, sicheren Geist voraus, der das dunkle Gefühl hinter sich hat. Wie soll nun eine Kunst diesen Vorgang darstellen können, die so körperlos ideal ist, die keine Objecte aufzuzeigen vermag und darum auch nichts weiß von dem selbst- bewußten freien Ich und den höchsten Gegensätzen, welche dieses klar ein- ander gegenüberstellt? Und doch hat die Sache eine andere Seite. Der komische Vorgang ist recht im engsten Sinne des Worts eine Bewegung; die Stoffe, um die es sich handelt, werden gleichgültig, der plötzliche Con- trast, das Ineinander im Contrast ist Alles; das Subjective am Vorgang aber ist so ganz Stimmung, daß das Subject bis zur Unmittelbarkeit der physiologischen Schüttlung überwältigt wird. Wir haben daher offenbar auch hier eine Amphibolie, die sich in dem Satz ausdrückt: die Musik vermag das Subjective am Komischen, richtiger, das Subjective am Subjectiven des Komischen (denn subjectiv ist der ganze Vorgang, auch in Anschauung und Denken, das Subjective am Subjectiven ist die bloße Stimmungsseite) auszudrücken, und wie sie überhaupt eine Ahnung des Objects erweckt, so wird sie dieß auch hier vermögen. Den ersten Theil dieses Satzes hat F. Hand klar ausgesprochen (Aesth. d. Tonkunst I. Th. §. 79). Man kann nun streiten, ob dieß dann eigentlich Komisches sei, und das ist eben die Amphibolie. Durch welche Mittel die Musik das Komische in dieser Be- schränkung ausdrücke, darüber ist kein Zweifel: dasselbe ist ja wesentlich widersprechende Bewegung, in welcher die scheinbar ansteigende Linie plötzlich durch eine andere abgerissen, über den Riß hinüberwirkt und umgekehrt die abreißende Linie zurückwirkt; es sind also Sprünge, es sind unvermittelte Uebergänge jeder Art, wodurch die Gesetze der Consonanz und der quantitativ- rhythmischen Ordnung wie durch plötzliche Willkühr aufgehoben werden und doch so, daß die Nöthigung entsteht, das Widersprechende in Eins zusammen- zufassen. Es ist aber klar, daß der Boden sehr gefährlich ist, indem es durchaus nahe liegt, statt komischer Musik eine Komik gegen alle Musik hervorzubringen, so daß nicht innerhalb der musikalischen Stimmung gelacht wird, sondern außerhalb derselben über die Sünde gegen ihre künstlerischen Gesetze. Dann ist die Musik mehr Ursache, daß Andere witzig werden, als selbst witzig. Ein anderes Mittel ist die Tonmalerei. Wir haben es dem speziellen Theil der Lehre von der Musik vorbehalten, die Frage aufzuführen, ob oder wie weit die Musik malen darf. Daß sie im Großen und Ganzen zu verneinen ist, folgt streng aus der Begriffsbestimmung der Objectlosigkeit des Gefühls. Allein die strengen Grundbegriffe sind überall nicht bis an ihre äußersten Grenzen rigoristisch durchzuführen, wenn man nicht die leben- dige Wirklichkeit zerstören will, und so wird man die Tonmalerei wenigstens im Komischen, wie die Parabase in der alten Komödie, sich gefallen lassen
ſie es jederzeit als ihr Eigenes und Inneres herſtellt. In dieſer Tiefe ſeiner Bedeutung ſetzt das Komiſche noch entſchiedener den ganz wachen, ſicheren Geiſt voraus, der das dunkle Gefühl hinter ſich hat. Wie ſoll nun eine Kunſt dieſen Vorgang darſtellen können, die ſo körperlos ideal iſt, die keine Objecte aufzuzeigen vermag und darum auch nichts weiß von dem ſelbſt- bewußten freien Ich und den höchſten Gegenſätzen, welche dieſes klar ein- ander gegenüberſtellt? Und doch hat die Sache eine andere Seite. Der komiſche Vorgang iſt recht im engſten Sinne des Worts eine Bewegung; die Stoffe, um die es ſich handelt, werden gleichgültig, der plötzliche Con- traſt, das Ineinander im Contraſt iſt Alles; das Subjective am Vorgang aber iſt ſo ganz Stimmung, daß das Subject bis zur Unmittelbarkeit der phyſiologiſchen Schüttlung überwältigt wird. Wir haben daher offenbar auch hier eine Amphibolie, die ſich in dem Satz ausdrückt: die Muſik vermag das Subjective am Komiſchen, richtiger, das Subjective am Subjectiven des Komiſchen (denn ſubjectiv iſt der ganze Vorgang, auch in Anſchauung und Denken, das Subjective am Subjectiven iſt die bloße Stimmungsſeite) auszudrücken, und wie ſie überhaupt eine Ahnung des Objects erweckt, ſo wird ſie dieß auch hier vermögen. Den erſten Theil dieſes Satzes hat F. Hand klar ausgeſprochen (Aeſth. d. Tonkunſt I. Th. §. 79). Man kann nun ſtreiten, ob dieß dann eigentlich Komiſches ſei, und das iſt eben die Amphibolie. Durch welche Mittel die Muſik das Komiſche in dieſer Be- ſchränkung ausdrücke, darüber iſt kein Zweifel: daſſelbe iſt ja weſentlich widerſprechende Bewegung, in welcher die ſcheinbar anſteigende Linie plötzlich durch eine andere abgeriſſen, über den Riß hinüberwirkt und umgekehrt die abreißende Linie zurückwirkt; es ſind alſo Sprünge, es ſind unvermittelte Uebergänge jeder Art, wodurch die Geſetze der Conſonanz und der quantitativ- rhythmiſchen Ordnung wie durch plötzliche Willkühr aufgehoben werden und doch ſo, daß die Nöthigung entſteht, das Widerſprechende in Eins zuſammen- zufaſſen. Es iſt aber klar, daß der Boden ſehr gefährlich iſt, indem es durchaus nahe liegt, ſtatt komiſcher Muſik eine Komik gegen alle Muſik hervorzubringen, ſo daß nicht innerhalb der muſikaliſchen Stimmung gelacht wird, ſondern außerhalb derſelben über die Sünde gegen ihre künſtleriſchen Geſetze. Dann iſt die Muſik mehr Urſache, daß Andere witzig werden, als ſelbſt witzig. Ein anderes Mittel iſt die Tonmalerei. Wir haben es dem ſpeziellen Theil der Lehre von der Muſik vorbehalten, die Frage aufzuführen, ob oder wie weit die Muſik malen darf. Daß ſie im Großen und Ganzen zu verneinen iſt, folgt ſtreng aus der Begriffsbeſtimmung der Objectloſigkeit des Gefühls. Allein die ſtrengen Grundbegriffe ſind überall nicht bis an ihre äußerſten Grenzen rigoriſtiſch durchzuführen, wenn man nicht die leben- dige Wirklichkeit zerſtören will, und ſo wird man die Tonmalerei wenigſtens im Komiſchen, wie die Parabaſe in der alten Komödie, ſich gefallen laſſen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0072"n="834"/>ſie es jederzeit als ihr Eigenes und Inneres herſtellt. In dieſer Tiefe ſeiner<lb/>
Bedeutung ſetzt das Komiſche noch entſchiedener den ganz wachen, ſicheren<lb/>
Geiſt voraus, der das dunkle Gefühl hinter ſich hat. Wie ſoll nun eine<lb/>
Kunſt dieſen Vorgang darſtellen können, die ſo körperlos ideal iſt, die keine<lb/>
Objecte aufzuzeigen vermag und darum auch nichts weiß von dem ſelbſt-<lb/>
bewußten freien Ich und den höchſten Gegenſätzen, welche dieſes klar ein-<lb/>
ander gegenüberſtellt? Und doch hat die Sache eine andere Seite. Der<lb/>
komiſche Vorgang iſt recht im engſten Sinne des Worts eine Bewegung;<lb/>
die Stoffe, um die es ſich handelt, werden gleichgültig, der plötzliche Con-<lb/>
traſt, das Ineinander im Contraſt iſt Alles; das Subjective am Vorgang<lb/>
aber iſt ſo ganz Stimmung, daß das Subject bis zur Unmittelbarkeit der<lb/>
phyſiologiſchen Schüttlung überwältigt wird. Wir haben daher offenbar auch<lb/>
hier eine Amphibolie, die ſich in dem Satz ausdrückt: die Muſik vermag das<lb/>
Subjective am Komiſchen, richtiger, das Subjective am Subjectiven des<lb/>
Komiſchen (denn ſubjectiv iſt der ganze Vorgang, auch in Anſchauung und<lb/>
Denken, das Subjective am Subjectiven iſt die bloße Stimmungsſeite)<lb/>
auszudrücken, und wie ſie überhaupt eine Ahnung des Objects erweckt, ſo<lb/>
wird ſie dieß auch hier vermögen. Den erſten Theil dieſes Satzes hat F.<lb/>
Hand klar ausgeſprochen (Aeſth. d. Tonkunſt <hirendition="#aq">I.</hi> Th. §. 79). Man kann<lb/>
nun ſtreiten, ob dieß dann eigentlich Komiſches ſei, und das iſt eben die<lb/>
Amphibolie. Durch welche Mittel die Muſik das Komiſche in dieſer Be-<lb/>ſchränkung ausdrücke, darüber iſt kein Zweifel: daſſelbe iſt ja weſentlich<lb/>
widerſprechende Bewegung, in welcher die ſcheinbar anſteigende Linie plötzlich<lb/>
durch eine andere abgeriſſen, über den Riß hinüberwirkt und umgekehrt die<lb/>
abreißende Linie zurückwirkt; es ſind alſo Sprünge, es ſind unvermittelte<lb/>
Uebergänge jeder Art, wodurch die Geſetze der Conſonanz und der quantitativ-<lb/>
rhythmiſchen Ordnung wie durch plötzliche Willkühr aufgehoben werden und<lb/>
doch ſo, daß die Nöthigung entſteht, das Widerſprechende in Eins zuſammen-<lb/>
zufaſſen. Es iſt aber klar, daß der Boden ſehr gefährlich iſt, indem es<lb/>
durchaus nahe liegt, ſtatt komiſcher Muſik eine Komik gegen alle Muſik<lb/>
hervorzubringen, ſo daß nicht innerhalb der muſikaliſchen Stimmung gelacht<lb/>
wird, ſondern außerhalb derſelben über die Sünde gegen ihre künſtleriſchen<lb/>
Geſetze. Dann iſt die Muſik mehr Urſache, daß Andere witzig werden, als<lb/>ſelbſt witzig. Ein anderes Mittel iſt die Tonmalerei. Wir haben es dem<lb/>ſpeziellen Theil der Lehre von der Muſik vorbehalten, die Frage aufzuführen,<lb/>
ob oder wie weit die Muſik malen darf. Daß ſie im Großen und Ganzen<lb/>
zu verneinen iſt, folgt ſtreng aus der Begriffsbeſtimmung der Objectloſigkeit<lb/>
des Gefühls. Allein die ſtrengen Grundbegriffe ſind überall nicht bis an<lb/>
ihre äußerſten Grenzen rigoriſtiſch durchzuführen, wenn man nicht die leben-<lb/>
dige Wirklichkeit zerſtören will, und ſo wird man die Tonmalerei wenigſtens<lb/>
im Komiſchen, wie die Parabaſe in der alten Komödie, ſich gefallen laſſen<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[834/0072]
ſie es jederzeit als ihr Eigenes und Inneres herſtellt. In dieſer Tiefe ſeiner
Bedeutung ſetzt das Komiſche noch entſchiedener den ganz wachen, ſicheren
Geiſt voraus, der das dunkle Gefühl hinter ſich hat. Wie ſoll nun eine
Kunſt dieſen Vorgang darſtellen können, die ſo körperlos ideal iſt, die keine
Objecte aufzuzeigen vermag und darum auch nichts weiß von dem ſelbſt-
bewußten freien Ich und den höchſten Gegenſätzen, welche dieſes klar ein-
ander gegenüberſtellt? Und doch hat die Sache eine andere Seite. Der
komiſche Vorgang iſt recht im engſten Sinne des Worts eine Bewegung;
die Stoffe, um die es ſich handelt, werden gleichgültig, der plötzliche Con-
traſt, das Ineinander im Contraſt iſt Alles; das Subjective am Vorgang
aber iſt ſo ganz Stimmung, daß das Subject bis zur Unmittelbarkeit der
phyſiologiſchen Schüttlung überwältigt wird. Wir haben daher offenbar auch
hier eine Amphibolie, die ſich in dem Satz ausdrückt: die Muſik vermag das
Subjective am Komiſchen, richtiger, das Subjective am Subjectiven des
Komiſchen (denn ſubjectiv iſt der ganze Vorgang, auch in Anſchauung und
Denken, das Subjective am Subjectiven iſt die bloße Stimmungsſeite)
auszudrücken, und wie ſie überhaupt eine Ahnung des Objects erweckt, ſo
wird ſie dieß auch hier vermögen. Den erſten Theil dieſes Satzes hat F.
Hand klar ausgeſprochen (Aeſth. d. Tonkunſt I. Th. §. 79). Man kann
nun ſtreiten, ob dieß dann eigentlich Komiſches ſei, und das iſt eben die
Amphibolie. Durch welche Mittel die Muſik das Komiſche in dieſer Be-
ſchränkung ausdrücke, darüber iſt kein Zweifel: daſſelbe iſt ja weſentlich
widerſprechende Bewegung, in welcher die ſcheinbar anſteigende Linie plötzlich
durch eine andere abgeriſſen, über den Riß hinüberwirkt und umgekehrt die
abreißende Linie zurückwirkt; es ſind alſo Sprünge, es ſind unvermittelte
Uebergänge jeder Art, wodurch die Geſetze der Conſonanz und der quantitativ-
rhythmiſchen Ordnung wie durch plötzliche Willkühr aufgehoben werden und
doch ſo, daß die Nöthigung entſteht, das Widerſprechende in Eins zuſammen-
zufaſſen. Es iſt aber klar, daß der Boden ſehr gefährlich iſt, indem es
durchaus nahe liegt, ſtatt komiſcher Muſik eine Komik gegen alle Muſik
hervorzubringen, ſo daß nicht innerhalb der muſikaliſchen Stimmung gelacht
wird, ſondern außerhalb derſelben über die Sünde gegen ihre künſtleriſchen
Geſetze. Dann iſt die Muſik mehr Urſache, daß Andere witzig werden, als
ſelbſt witzig. Ein anderes Mittel iſt die Tonmalerei. Wir haben es dem
ſpeziellen Theil der Lehre von der Muſik vorbehalten, die Frage aufzuführen,
ob oder wie weit die Muſik malen darf. Daß ſie im Großen und Ganzen
zu verneinen iſt, folgt ſtreng aus der Begriffsbeſtimmung der Objectloſigkeit
des Gefühls. Allein die ſtrengen Grundbegriffe ſind überall nicht bis an
ihre äußerſten Grenzen rigoriſtiſch durchzuführen, wenn man nicht die leben-
dige Wirklichkeit zerſtören will, und ſo wird man die Tonmalerei wenigſtens
im Komiſchen, wie die Parabaſe in der alten Komödie, ſich gefallen laſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 834. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/72>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.