Personbildung einträte: die Vollziehung dieses Schrittes scheint immer in nächster Nähe zu schweben, wie in Hölderlin's herrlicher Hymne an den Aether ohne ausdrückliche Personification die Alles umspannende, nährende, labende Naturpotenz zu einem Gott wird. Dieß verändert sich nicht, wenn Fürsten, Helden, Landschaften, Städte, Handlungen, furchtbare Ereignisse, einzelne gewaltige Natur-Erscheinungen besungen werden: sie wachsen in der ganzen Auffassung und Behandlung, sowie durch die speziellern An- knüpfungen an absolute Mächte, an Götter, selbst zu Göttern an, der Weg ist nach dieser Seite hin nur so zu sagen analytisch, bei der unmittelbaren Wendung an das Göttliche synthetisch. Keineswegs wird nun durch die Objectivität in diesem Sinn einer erhabenen Form das Lyrische aufgehoben; vielmehr gerade weil vor der Uebermacht des Gegenstands das Subject zu verschwinden droht, weil sie auf sein Empfindungsleben drückt, so ringt dieß, in seinen Tiefen erschüttert und aufgeboten, um so gewaltiger und schwellt sich an, dem Gegenstande näher zu kommen und ihn so zu bewäl- tigen, daß seine unendliche Größe als ganz vom Dichter empfunden erscheint, es bewegt sich um ihn, häuft Prädicat auf Prädicat, muß aber doch am Ende gestehen, daß es ihn nicht erschöpft hat, wie Haller am Schlusse seiner Hymne auf die Ewigkeit von dieser sagt: er ziehe die Millionen Zahlen ab und sie stehe ganz vor ihm; so löst sich der Versuch der Be- wältigung schließlich in die reine Ausrufung auf und das Verstummen in dieser ist eben ächt lyrisch. Es bleibt bei einem Hinan- und Hinaufsingen an den Gegenstand. Dieß ist ein Tadel, wenn man vom Lyrischen über- haupt spricht, nicht, wenn es in besonderem Sinne von einer seiner For- men aussagt. Nur wo diese Form einseitig in einer ganzen Epoche, wie in der Zeit nach Klopstock herrscht, erscheint sie als Mangel. Sie hat das ganze Recht des Erhabenen.
2. Es folgt zunächst aus dem mythischen Charakter des Hymnischen, daß dasselbe vorzüglich der classischen Lyrik als naturgemäßes Element entspricht. Der Begriff des Objectiven, wie er dieser Gattung des Lyri- schen zu Grunde liegt, ist zwar, wie wir zum vorh. §. gezeigt haben, von der allgemeinen ästhetischen Bedeutung, wie wir ihn sonst anwenden, ver- schieden, allein unbeschadet dieses Unterschieds tritt hier nothwendig ein inniger Zusammenhang ein: eine Lyrik, die dem Verhalten des Bewußtseins nach ihren Inhalt objectiv außer und über sich behält, wird vorzüglich von demjenigen Kunststyle ausgebildet werden, der überall im Sinne der bilden- den Kunst, und zwar der Sculptur, und im Sinne der bildend dichtenden Phantasie, also der epischen Form, auf klare Gestaltung und Schönheit der einzelnen Gestalt dringt. Es kann sich fragen, ob eine solche Art der Phan- tasie überhaupt Beruf zur lyrischen Dichtung habe, die Antwort wird aber sein, es werde sich ähnlich verhalten, wie mit der Malerei, welche diesem
Perſonbildung einträte: die Vollziehung dieſes Schrittes ſcheint immer in nächſter Nähe zu ſchweben, wie in Hölderlin’s herrlicher Hymne an den Aether ohne ausdrückliche Perſonification die Alles umſpannende, nährende, labende Naturpotenz zu einem Gott wird. Dieß verändert ſich nicht, wenn Fürſten, Helden, Landſchaften, Städte, Handlungen, furchtbare Ereigniſſe, einzelne gewaltige Natur-Erſcheinungen beſungen werden: ſie wachſen in der ganzen Auffaſſung und Behandlung, ſowie durch die ſpeziellern An- knüpfungen an abſolute Mächte, an Götter, ſelbſt zu Göttern an, der Weg iſt nach dieſer Seite hin nur ſo zu ſagen analytiſch, bei der unmittelbaren Wendung an das Göttliche ſynthetiſch. Keineswegs wird nun durch die Objectivität in dieſem Sinn einer erhabenen Form das Lyriſche aufgehoben; vielmehr gerade weil vor der Uebermacht des Gegenſtands das Subject zu verſchwinden droht, weil ſie auf ſein Empfindungsleben drückt, ſo ringt dieß, in ſeinen Tiefen erſchüttert und aufgeboten, um ſo gewaltiger und ſchwellt ſich an, dem Gegenſtande näher zu kommen und ihn ſo zu bewäl- tigen, daß ſeine unendliche Größe als ganz vom Dichter empfunden erſcheint, es bewegt ſich um ihn, häuft Prädicat auf Prädicat, muß aber doch am Ende geſtehen, daß es ihn nicht erſchöpft hat, wie Haller am Schluſſe ſeiner Hymne auf die Ewigkeit von dieſer ſagt: er ziehe die Millionen Zahlen ab und ſie ſtehe ganz vor ihm; ſo löst ſich der Verſuch der Be- wältigung ſchließlich in die reine Ausrufung auf und das Verſtummen in dieſer iſt eben ächt lyriſch. Es bleibt bei einem Hinan- und Hinaufſingen an den Gegenſtand. Dieß iſt ein Tadel, wenn man vom Lyriſchen über- haupt ſpricht, nicht, wenn es in beſonderem Sinne von einer ſeiner For- men ausſagt. Nur wo dieſe Form einſeitig in einer ganzen Epoche, wie in der Zeit nach Klopſtock herrſcht, erſcheint ſie als Mangel. Sie hat das ganze Recht des Erhabenen.
2. Es folgt zunächſt aus dem mythiſchen Charakter des Hymniſchen, daß daſſelbe vorzüglich der claſſiſchen Lyrik als naturgemäßes Element entſpricht. Der Begriff des Objectiven, wie er dieſer Gattung des Lyri- ſchen zu Grunde liegt, iſt zwar, wie wir zum vorh. §. gezeigt haben, von der allgemeinen äſthetiſchen Bedeutung, wie wir ihn ſonſt anwenden, ver- ſchieden, allein unbeſchadet dieſes Unterſchieds tritt hier nothwendig ein inniger Zuſammenhang ein: eine Lyrik, die dem Verhalten des Bewußtſeins nach ihren Inhalt objectiv außer und über ſich behält, wird vorzüglich von demjenigen Kunſtſtyle ausgebildet werden, der überall im Sinne der bilden- den Kunſt, und zwar der Sculptur, und im Sinne der bildend dichtenden Phantaſie, alſo der epiſchen Form, auf klare Geſtaltung und Schönheit der einzelnen Geſtalt dringt. Es kann ſich fragen, ob eine ſolche Art der Phan- taſie überhaupt Beruf zur lyriſchen Dichtung habe, die Antwort wird aber ſein, es werde ſich ähnlich verhalten, wie mit der Malerei, welche dieſem
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labende Naturpotenz zu einem Gott wird. Dieß verändert ſich nicht, wenn
Fürſten, Helden, Landſchaften, Städte, Handlungen, furchtbare Ereigniſſe,
einzelne gewaltige Natur-Erſcheinungen beſungen werden: ſie wachſen in
der ganzen Auffaſſung und Behandlung, ſowie durch die ſpeziellern An-
knüpfungen an abſolute Mächte, an Götter, ſelbſt zu Göttern an, der Weg
iſt nach dieſer Seite hin nur ſo zu ſagen analytiſch, bei der unmittelbaren
Wendung an das Göttliche ſynthetiſch. Keineswegs wird nun durch die
Objectivität in dieſem Sinn einer erhabenen Form das Lyriſche aufgehoben;
vielmehr gerade weil vor der Uebermacht des Gegenſtands das Subject zu
verſchwinden droht, weil ſie auf ſein Empfindungsleben drückt, ſo ringt
dieß, in ſeinen Tiefen erſchüttert und aufgeboten, um ſo gewaltiger und
ſchwellt ſich an, dem Gegenſtande näher zu kommen und ihn ſo zu bewäl-
tigen, daß ſeine unendliche Größe als ganz vom Dichter empfunden erſcheint,
es bewegt ſich um ihn, häuft Prädicat auf Prädicat, muß aber doch am
Ende geſtehen, daß es ihn nicht erſchöpft hat, wie Haller am Schluſſe
ſeiner Hymne auf die Ewigkeit von dieſer ſagt: er ziehe die Millionen
Zahlen ab und ſie ſtehe ganz vor ihm; ſo löst ſich der Verſuch der Be-
wältigung ſchließlich in die reine Ausrufung auf und das Verſtummen in
dieſer iſt eben ächt lyriſch. Es bleibt bei einem Hinan- und Hinaufſingen
an den Gegenſtand. Dieß iſt ein Tadel, wenn man vom Lyriſchen über-
haupt ſpricht, nicht, wenn es in beſonderem Sinne von einer ſeiner For-
men ausſagt. Nur wo dieſe Form einſeitig in einer ganzen Epoche, wie in
der Zeit nach Klopſtock herrſcht, erſcheint ſie als Mangel. Sie hat das
ganze Recht des Erhabenen.
2. Es folgt zunächſt aus dem mythiſchen Charakter des Hymniſchen,
daß daſſelbe vorzüglich der claſſiſchen Lyrik als naturgemäßes Element
entſpricht. Der Begriff des Objectiven, wie er dieſer Gattung des Lyri-
ſchen zu Grunde liegt, iſt zwar, wie wir zum vorh. §. gezeigt haben, von
der allgemeinen äſthetiſchen Bedeutung, wie wir ihn ſonſt anwenden, ver-
ſchieden, allein unbeſchadet dieſes Unterſchieds tritt hier nothwendig ein
inniger Zuſammenhang ein: eine Lyrik, die dem Verhalten des Bewußtſeins
nach ihren Inhalt objectiv außer und über ſich behält, wird vorzüglich von
demjenigen Kunſtſtyle ausgebildet werden, der überall im Sinne der bilden-
den Kunſt, und zwar der Sculptur, und im Sinne der bildend dichtenden
Phantaſie, alſo der epiſchen Form, auf klare Geſtaltung und Schönheit der
einzelnen Geſtalt dringt. Es kann ſich fragen, ob eine ſolche Art der Phan-
taſie überhaupt Beruf zur lyriſchen Dichtung habe, die Antwort wird aber
ſein, es werde ſich ähnlich verhalten, wie mit der Malerei, welche dieſem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/210>, abgerufen am 23.11.2024.
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