teristischen Styl eigen sind. Wir haben schon zu jenem §. bemerkt, daß die griechischen Tragiker reich sind an solchen wie aus traumhaft dunklem Grunde seltsam aufglühenden Bildern, die an Shakespeare erinnern. Die feurig bewegte Stimmung des Drama wühlt die Phantasie leidenschaftlicher auf, der spannende Gang läßt keine Zeit, das Bild zu begründen, zu rechtfertigen, es muß schlagartig wirken, zuerst befremden, dann wie in Blitz beleuchten, über- zeugen. -- Es ist der geniale Takt der Griechen, der sie führte, den Jambus als dramatischen Vers auszubilden. Wie ganz sein Charakter der drama- tischen Bewegung entspricht und wie der Trochäus der Spanier eine aus Feierlichkeit und lyrischem Verhauchen gemischte, undramatische Stimmung mit sich führt, ist schon im Abschnitte von der Rhythmik gesagt. Die längere, breit- spurigere Bahn des Trimeter im Unterschiede von der kürzeren des fünffüßigen Jambus im neueren Drama bezeichnet aber auch nach dieser Seite den Gegensatz der Style. Färbung und Belebung durch Zwischenklang anderer Metren (Anapäste und Spondäen), durch einen Kampf von Wort- und Vers-Accent, durch die Wechsel des Verhältnisses zwischen Wortfuß und Versfuß fehlt natürlich auch dem Jambus nicht; daß er im classischen Drama von lyrischen Strophen unterbrochen wird, gehört nur soweit hieher, als die Einflechtung von Reimen im modernen Drama als Ausdruck durch- brechender lyrischer Stimmung, der freilich sparsam sein soll, diesem Form- wechsel ungefähr entspricht. Durchherrschender Reim, wie z. B. in Göthe's Faust, kann nur für die Spezialität eines Drama gerechtfertigt werden, das sich in innerliche Tiefen versenkt, die von der Dicht-Art im Ganzen mit Recht vermieden werden, daneben aber das Phantastische und Natura- listische walten läßt. Der Gebrauch der Prosa hängt mit dem Styl-Unter- schiede zusammen, den wir erst im Folgenden aufnehmen. Im hohen Drama wird er da begründet sein, wo eine grasse Wirklichkeit durchbricht, wie im Makbeth, wo die Lady als Nachtwandlerinn auftritt, im Faust nach den Blocksbergscenen, wo der Held das Schicksal Margaretens erfahren hat und, nachdem ihm die Augen so fürchterlich aufgegangen, dem Mephistopheles die wilden Vorwürfe macht. Komische Einschiebungen werden ebenfalls passend in prosaischer Sprache reden, dieß entspricht der Natur des Komi- schen, obwohl es nicht nothwendig durch sie gefordert ist.
§. 902.
In keinem Kunstwerke hat die Composition so hohe Bedeutung wie im dramatischen. Die Zeit und den Raum, in die sie ihre Handlung setzt, idealisirt sie im Sinne der Zusammenziehung und des gemäßigt freien Wechsels. Die Handlung selbst beherrscht durch strenge Einheit die ihr untergeordnete, sparsame Vielheit von einzelnen Handlungen, worin die Episode nur die
teriſtiſchen Styl eigen ſind. Wir haben ſchon zu jenem §. bemerkt, daß die griechiſchen Tragiker reich ſind an ſolchen wie aus traumhaft dunklem Grunde ſeltſam aufglühenden Bildern, die an Shakespeare erinnern. Die feurig bewegte Stimmung des Drama wühlt die Phantaſie leidenſchaftlicher auf, der ſpannende Gang läßt keine Zeit, das Bild zu begründen, zu rechtfertigen, es muß ſchlagartig wirken, zuerſt befremden, dann wie in Blitz beleuchten, über- zeugen. — Es iſt der geniale Takt der Griechen, der ſie führte, den Jambus als dramatiſchen Vers auszubilden. Wie ganz ſein Charakter der drama- tiſchen Bewegung entſpricht und wie der Trochäus der Spanier eine aus Feierlichkeit und lyriſchem Verhauchen gemiſchte, undramatiſche Stimmung mit ſich führt, iſt ſchon im Abſchnitte von der Rhythmik geſagt. Die längere, breit- ſpurigere Bahn des Trimeter im Unterſchiede von der kürzeren des fünffüßigen Jambus im neueren Drama bezeichnet aber auch nach dieſer Seite den Gegenſatz der Style. Färbung und Belebung durch Zwiſchenklang anderer Metren (Anapäſte und Spondäen), durch einen Kampf von Wort- und Vers-Accent, durch die Wechſel des Verhältniſſes zwiſchen Wortfuß und Versfuß fehlt natürlich auch dem Jambus nicht; daß er im claſſiſchen Drama von lyriſchen Strophen unterbrochen wird, gehört nur ſoweit hieher, als die Einflechtung von Reimen im modernen Drama als Ausdruck durch- brechender lyriſcher Stimmung, der freilich ſparſam ſein ſoll, dieſem Form- wechſel ungefähr entſpricht. Durchherrſchender Reim, wie z. B. in Göthe’s Fauſt, kann nur für die Spezialität eines Drama gerechtfertigt werden, das ſich in innerliche Tiefen verſenkt, die von der Dicht-Art im Ganzen mit Recht vermieden werden, daneben aber das Phantaſtiſche und Natura- liſtiſche walten läßt. Der Gebrauch der Proſa hängt mit dem Styl-Unter- ſchiede zuſammen, den wir erſt im Folgenden aufnehmen. Im hohen Drama wird er da begründet ſein, wo eine graſſe Wirklichkeit durchbricht, wie im Makbeth, wo die Lady als Nachtwandlerinn auftritt, im Fauſt nach den Blocksbergſcenen, wo der Held das Schickſal Margaretens erfahren hat und, nachdem ihm die Augen ſo fürchterlich aufgegangen, dem Mephiſtopheles die wilden Vorwürfe macht. Komiſche Einſchiebungen werden ebenfalls paſſend in proſaiſcher Sprache reden, dieß entſpricht der Natur des Komi- ſchen, obwohl es nicht nothwendig durch ſie gefordert iſt.
§. 902.
In keinem Kunſtwerke hat die Compoſition ſo hohe Bedeutung wie im dramatiſchen. Die Zeit und den Raum, in die ſie ihre Handlung ſetzt, idealiſirt ſie im Sinne der Zuſammenziehung und des gemäßigt freien Wechſels. Die Handlung ſelbſt beherrſcht durch ſtrenge Einheit die ihr untergeordnete, ſparſame Vielheit von einzelnen Handlungen, worin die Epiſode nur die
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bewegte Stimmung des Drama wühlt die Phantaſie leidenſchaftlicher auf, der
ſpannende Gang läßt keine Zeit, das Bild zu begründen, zu rechtfertigen, es
muß ſchlagartig wirken, zuerſt befremden, dann wie in Blitz beleuchten, über-
zeugen. — Es iſt der geniale Takt der Griechen, der ſie führte, den Jambus
als dramatiſchen Vers auszubilden. Wie ganz ſein Charakter der drama-
tiſchen Bewegung entſpricht und wie der Trochäus der Spanier eine aus
Feierlichkeit und lyriſchem Verhauchen gemiſchte, undramatiſche Stimmung mit
ſich führt, iſt ſchon im Abſchnitte von der Rhythmik geſagt. Die längere, breit-
ſpurigere Bahn des Trimeter im Unterſchiede von der kürzeren des fünffüßigen
Jambus im neueren Drama bezeichnet aber auch nach dieſer Seite den
Gegenſatz der Style. Färbung und Belebung durch Zwiſchenklang anderer
Metren (Anapäſte und Spondäen), durch einen Kampf von Wort- und
Vers-Accent, durch die Wechſel des Verhältniſſes zwiſchen Wortfuß und
Versfuß fehlt natürlich auch dem Jambus nicht; daß er im claſſiſchen
Drama von lyriſchen Strophen unterbrochen wird, gehört nur ſoweit hieher,
als die Einflechtung von Reimen im modernen Drama als Ausdruck durch-
brechender lyriſcher Stimmung, der freilich ſparſam ſein ſoll, dieſem Form-
wechſel ungefähr entſpricht. Durchherrſchender Reim, wie z. B. in Göthe’s
Fauſt, kann nur für die Spezialität eines Drama gerechtfertigt werden,
das ſich in innerliche Tiefen verſenkt, die von der Dicht-Art im Ganzen
mit Recht vermieden werden, daneben aber das Phantaſtiſche und Natura-
liſtiſche walten läßt. Der Gebrauch der Proſa hängt mit dem Styl-Unter-
ſchiede zuſammen, den wir erſt im Folgenden aufnehmen. Im hohen Drama
wird er da begründet ſein, wo eine graſſe Wirklichkeit durchbricht, wie im
Makbeth, wo die Lady als Nachtwandlerinn auftritt, im Fauſt nach den
Blocksbergſcenen, wo der Held das Schickſal Margaretens erfahren hat und,
nachdem ihm die Augen ſo fürchterlich aufgegangen, dem Mephiſtopheles
die wilden Vorwürfe macht. Komiſche Einſchiebungen werden ebenfalls
paſſend in proſaiſcher Sprache reden, dieß entſpricht der Natur des Komi-
ſchen, obwohl es nicht nothwendig durch ſie gefordert iſt.
§. 902.
In keinem Kunſtwerke hat die Compoſition ſo hohe Bedeutung wie
im dramatiſchen. Die Zeit und den Raum, in die ſie ihre Handlung ſetzt,
idealiſirt ſie im Sinne der Zuſammenziehung und des gemäßigt freien Wechſels.
Die Handlung ſelbſt beherrſcht durch ſtrenge Einheit die ihr untergeordnete,
ſparſame Vielheit von einzelnen Handlungen, worin die Epiſode nur die
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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