Musik und Tanz, fällt weg. Innigere Mischung des Ernsten und Komischen, Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernstes Interesse der Label in der Komödie folgt aus den innersten Bedingungen dieses Styls.
Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Dar- stellung des classisch idealen Styls ausgesprochen, da derselbe nur an seinem Gegensatze geschildert werden konnte, zum Theil müssen sie noch bei der folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen. Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die dunkeln, großen Stoffe aus vorgeschichtlicher, sagenhafter Zeit mit ihren mythischen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht verzichten: die bedeutendsten Tragödien des Vaters des modernen Drama's, Shakespeare's, spielen auf solchem Boden. Die Begründung des charak- teristischen Styls ist sein Werk, er sprang in voller Rüstung, wie Minerva, aus seinem Haupte. Seine sagenhaften Stoffe gehören der nordischen Welt; eignet sich der charakteristische Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache kommen wird, den classischen an, so ist dadurch auch die Aufnahme antiker Sagenstoffe gegeben. Nur wird der Unterschied von den Alten nothwendig der sein, daß alle übernatürlichen Motive, welche diese Stoffe mit sich bringen, im Verlaufe der Handlung in's Innere verfolgt, zurückverlegt werden müssen. Das Schwere ist, dieß so zu behandeln, daß das Wunderbare zum Aus- druck einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie sich auszuhöhlen; Shakespeare ist darin unübertroffen; er verbessert im Fort- gang den mythischen Ausgang, seine Geister und Hexen werden zu That- sachen des Bewußtseins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmosphäre geglaubter Erscheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich verhält es sich mit den Furien in Göthe's Iphigenie; der Dichter verlegt sie von Anfang an nur in das Innere des Orestes und sie behalten doch die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath des modernen Drama ist aber allerdings die wunderlose Wirklichkeit der Geschichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erst dem Ideale der neueren Welt seine Wärme und innere Lebendigkeit erschlossen hat. Wie der Roman, so muß nun das Drama die Stellen aufsuchen, wo die pro- saisch verstandene oder wirklich prosaische Ordnung der Geschichte durchbrochen wird, sich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei dem Unterschiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente sagen, die der dramatische Dichter aufzusuchen hat; die Hinweisung liegt aber schon in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schicksalsbegriff des naturalistischen und individualisirenden Styls enthält. Die Transcendenz des Schicksals ist überwunden, dieß ergibt sich bereits aus der Forderung,
Muſik und Tanz, fällt weg. Innigere Miſchung des Ernſten und Komiſchen, Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernſtes Intereſſe der Label in der Komödie folgt aus den innerſten Bedingungen dieſes Styls.
Die Grundzüge dieſes Unterſchieds ſind zum Theil ſchon in der Dar- ſtellung des claſſiſch idealen Styls ausgeſprochen, da derſelbe nur an ſeinem Gegenſatze geſchildert werden konnte, zum Theil müſſen ſie noch bei der folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen. Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die dunkeln, großen Stoffe aus vorgeſchichtlicher, ſagenhafter Zeit mit ihren mythiſchen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht verzichten: die bedeutendſten Tragödien des Vaters des modernen Drama’s, Shakespeare’s, ſpielen auf ſolchem Boden. Die Begründung des charak- teriſtiſchen Styls iſt ſein Werk, er ſprang in voller Rüſtung, wie Minerva, aus ſeinem Haupte. Seine ſagenhaften Stoffe gehören der nordiſchen Welt; eignet ſich der charakteriſtiſche Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache kommen wird, den claſſiſchen an, ſo iſt dadurch auch die Aufnahme antiker Sagenſtoffe gegeben. Nur wird der Unterſchied von den Alten nothwendig der ſein, daß alle übernatürlichen Motive, welche dieſe Stoffe mit ſich bringen, im Verlaufe der Handlung in’s Innere verfolgt, zurückverlegt werden müſſen. Das Schwere iſt, dieß ſo zu behandeln, daß das Wunderbare zum Aus- druck einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie ſich auszuhöhlen; Shakespeare iſt darin unübertroffen; er verbeſſert im Fort- gang den mythiſchen Ausgang, ſeine Geiſter und Hexen werden zu That- ſachen des Bewußtſeins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmoſphäre geglaubter Erſcheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich verhält es ſich mit den Furien in Göthe’s Iphigenie; der Dichter verlegt ſie von Anfang an nur in das Innere des Oreſtes und ſie behalten doch die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath des modernen Drama iſt aber allerdings die wunderloſe Wirklichkeit der Geſchichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erſt dem Ideale der neueren Welt ſeine Wärme und innere Lebendigkeit erſchloſſen hat. Wie der Roman, ſo muß nun das Drama die Stellen aufſuchen, wo die pro- ſaiſch verſtandene oder wirklich proſaiſche Ordnung der Geſchichte durchbrochen wird, ſich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei dem Unterſchiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente ſagen, die der dramatiſche Dichter aufzuſuchen hat; die Hinweiſung liegt aber ſchon in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schickſalsbegriff des naturaliſtiſchen und individualiſirenden Styls enthält. Die Tranſcendenz des Schickſals iſt überwunden, dieß ergibt ſich bereits aus der Forderung,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#fr"><pbfacs="#f0278"n="1414"/>
Muſik und Tanz, fällt weg. Innigere Miſchung des Ernſten und Komiſchen,<lb/>
Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernſtes Intereſſe der Label in der<lb/>
Komödie folgt aus den innerſten Bedingungen dieſes Styls.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Die Grundzüge dieſes Unterſchieds ſind zum Theil ſchon in der Dar-<lb/>ſtellung des claſſiſch idealen Styls ausgeſprochen, da derſelbe nur an ſeinem<lb/>
Gegenſatze geſchildert werden konnte, zum Theil müſſen ſie noch bei der<lb/>
folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen.<lb/>
Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die<lb/>
dunkeln, großen Stoffe aus vorgeſchichtlicher, ſagenhafter Zeit mit ihren<lb/>
mythiſchen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht<lb/>
verzichten: die bedeutendſten Tragödien des Vaters des modernen Drama’s,<lb/>
Shakespeare’s, ſpielen auf ſolchem Boden. Die Begründung des charak-<lb/>
teriſtiſchen Styls iſt ſein Werk, er ſprang in voller Rüſtung, wie Minerva,<lb/>
aus ſeinem Haupte. Seine ſagenhaften Stoffe gehören der nordiſchen<lb/>
Welt; eignet ſich der charakteriſtiſche Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache<lb/>
kommen wird, den claſſiſchen an, ſo iſt dadurch auch die Aufnahme antiker<lb/>
Sagenſtoffe gegeben. Nur wird der Unterſchied von den Alten nothwendig<lb/>
der ſein, daß alle übernatürlichen Motive, welche dieſe Stoffe mit ſich bringen,<lb/>
im Verlaufe der Handlung in’s Innere verfolgt, zurückverlegt werden müſſen.<lb/>
Das Schwere iſt, dieß ſo zu behandeln, daß das Wunderbare zum Aus-<lb/>
druck einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie ſich<lb/>
auszuhöhlen; Shakespeare iſt darin unübertroffen; er verbeſſert im Fort-<lb/>
gang den mythiſchen Ausgang, ſeine Geiſter und Hexen werden zu That-<lb/>ſachen des Bewußtſeins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmoſphäre<lb/>
geglaubter Erſcheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich<lb/>
verhält es ſich mit den Furien in Göthe’s Iphigenie; der Dichter verlegt<lb/>ſie von Anfang an nur in das Innere des Oreſtes und ſie behalten doch<lb/>
die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath<lb/>
des modernen Drama iſt aber allerdings die wunderloſe Wirklichkeit der<lb/>
Geſchichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in<lb/>
die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erſt dem Ideale<lb/>
der neueren Welt ſeine Wärme und innere Lebendigkeit erſchloſſen hat. Wie<lb/>
der Roman, ſo muß nun das Drama die Stellen aufſuchen, wo die pro-<lb/>ſaiſch verſtandene oder wirklich proſaiſche Ordnung der Geſchichte durchbrochen<lb/>
wird, ſich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei<lb/>
dem Unterſchiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente ſagen, die<lb/>
der dramatiſche Dichter aufzuſuchen hat; die Hinweiſung liegt aber ſchon<lb/>
in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schickſalsbegriff<lb/>
des naturaliſtiſchen und individualiſirenden Styls enthält. Die Tranſcendenz<lb/>
des Schickſals iſt überwunden, dieß ergibt ſich bereits aus der Forderung,<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1414/0278]
Muſik und Tanz, fällt weg. Innigere Miſchung des Ernſten und Komiſchen,
Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernſtes Intereſſe der Label in der
Komödie folgt aus den innerſten Bedingungen dieſes Styls.
Die Grundzüge dieſes Unterſchieds ſind zum Theil ſchon in der Dar-
ſtellung des claſſiſch idealen Styls ausgeſprochen, da derſelbe nur an ſeinem
Gegenſatze geſchildert werden konnte, zum Theil müſſen ſie noch bei der
folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen.
Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die
dunkeln, großen Stoffe aus vorgeſchichtlicher, ſagenhafter Zeit mit ihren
mythiſchen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht
verzichten: die bedeutendſten Tragödien des Vaters des modernen Drama’s,
Shakespeare’s, ſpielen auf ſolchem Boden. Die Begründung des charak-
teriſtiſchen Styls iſt ſein Werk, er ſprang in voller Rüſtung, wie Minerva,
aus ſeinem Haupte. Seine ſagenhaften Stoffe gehören der nordiſchen
Welt; eignet ſich der charakteriſtiſche Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache
kommen wird, den claſſiſchen an, ſo iſt dadurch auch die Aufnahme antiker
Sagenſtoffe gegeben. Nur wird der Unterſchied von den Alten nothwendig
der ſein, daß alle übernatürlichen Motive, welche dieſe Stoffe mit ſich bringen,
im Verlaufe der Handlung in’s Innere verfolgt, zurückverlegt werden müſſen.
Das Schwere iſt, dieß ſo zu behandeln, daß das Wunderbare zum Aus-
druck einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie ſich
auszuhöhlen; Shakespeare iſt darin unübertroffen; er verbeſſert im Fort-
gang den mythiſchen Ausgang, ſeine Geiſter und Hexen werden zu That-
ſachen des Bewußtſeins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmoſphäre
geglaubter Erſcheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich
verhält es ſich mit den Furien in Göthe’s Iphigenie; der Dichter verlegt
ſie von Anfang an nur in das Innere des Oreſtes und ſie behalten doch
die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath
des modernen Drama iſt aber allerdings die wunderloſe Wirklichkeit der
Geſchichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in
die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erſt dem Ideale
der neueren Welt ſeine Wärme und innere Lebendigkeit erſchloſſen hat. Wie
der Roman, ſo muß nun das Drama die Stellen aufſuchen, wo die pro-
ſaiſch verſtandene oder wirklich proſaiſche Ordnung der Geſchichte durchbrochen
wird, ſich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei
dem Unterſchiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente ſagen, die
der dramatiſche Dichter aufzuſuchen hat; die Hinweiſung liegt aber ſchon
in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schickſalsbegriff
des naturaliſtiſchen und individualiſirenden Styls enthält. Die Tranſcendenz
des Schickſals iſt überwunden, dieß ergibt ſich bereits aus der Forderung,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/278>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.