Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Als eine solche hat man das Drama mit glücklichem Ausgang aufgeführt,
wofür wir den Namen Schauspiel kaum brauchen können, weil er sich
einmal factisch für eine bestimmte geschichtliche Form, und zwar eine zwei-
felhafte, nämlich das bürgerliche Rührstück, fixirt hat. Man erkennt nun
aber sogleich, daß dieser Begriff sich nicht dem der Tragödie und Komödie
logisch coordiniren kann, so daß man etwa an ein Mittleres zwischen Ernst
und Komik zu denken hätte, was in der frohen Stimmung des heiteren
Ausgangs enthalten wäre. Die Stimmung des Glücklichen und die komische
sind keine Begriffe, die unter Eine Kategorie fallen. Jene kann in diese
übergehen, dann begründet sie, wenn es sich nicht blos von einer mäßigen,
vereinzelten Einmischung des Komischen in das Tragische, wie sie überhaupt
dem charakteristischen Style natürlich ist, sondern von einer starken, zur
Herrschaft gelangenden handelt, eine Komödie, sie muß aber diesen Ueber-
gang nicht nehmen, und ein Drama, das vorherrschend ein Bild von ernstem
Kampf, Schuld und Leiden, darstellt, gehört, mag auch dieß Leiden vorüber-
gehend und der Schluß glücklich sein, zur Tragödie: es ist nichts Anderes,
als das positiv Tragische, dessen Sinn und Werth in §. 128 erörtert ist,
in der Form des Drama realisirt. Es handelt sich einfach um die zwei
Glieder jenes Dualismus, der durch alles Erhabene geht und im Tragischen
seine höchste Bedeutung hat. Wir wiederholen den Satz aus jenem §.,
daß die negative Form die reinere und bedeutendere, die positive aber, d. h.
die Darstellung schwerer und ernster Conflicte mit glücklichem Ausgang, die
schwächere ist, weil sie immer noch einen Schein übrig läßt, als gelte es
die Verherrlichung des subjectiv Erhabenen. Diesen Schein zu vermeiden,
muß der ganze Accent darauf gelegt werden, daß nicht menschliches Ver-
dienst seine Genugthuung erhalte, sondern, daß ihm nach tiefem Leiden,
das mit irgend einer Schuld zusammenhängt, womit edles Streben sich
getrübt hat, von der absoluten Macht der Weltordnung vergönnt sei, seinen
Zweck siegreich durchzuführen. Je schwächer nun das erste Moment in
dieser Bewegung ist, d. h. je weniger tief und furchtbar der Conflict und
die Schwere der Prüfung, desto näher liegt es allerdings, daß der glückliche
Schluß in der Grundstimmung anticipirt wird und diese aus der nur freien
und freudigen in die komische sich umsetzt. Das Mittelglied ist, daß die
Frohheit auch die subjective Willkür, das absolute Leichtnehmen alles Inhalts
entbindet. Dann entsteht eine Form, die, wie gesagt, zwar nicht als dritte
neben Tragödie und Komödie steht, aber eine Art der letzteren bildet, welche
etwas von der ersteren hat: die Komödie mit ernstem Mittelpunct. Die
Sache ist damit allerdings noch nicht erschöpft, das Weitere gehört in die
Unter-Eintheilung der zwei Hauptgattungen, wo die verschiedenen Formen
des Tragischen und Komischen als Motive einer engeren Unterscheidung
hervortreten.


Als eine ſolche hat man das Drama mit glücklichem Ausgang aufgeführt,
wofür wir den Namen Schauſpiel kaum brauchen können, weil er ſich
einmal factiſch für eine beſtimmte geſchichtliche Form, und zwar eine zwei-
felhafte, nämlich das bürgerliche Rührſtück, fixirt hat. Man erkennt nun
aber ſogleich, daß dieſer Begriff ſich nicht dem der Tragödie und Komödie
logiſch coordiniren kann, ſo daß man etwa an ein Mittleres zwiſchen Ernſt
und Komik zu denken hätte, was in der frohen Stimmung des heiteren
Ausgangs enthalten wäre. Die Stimmung des Glücklichen und die komiſche
ſind keine Begriffe, die unter Eine Kategorie fallen. Jene kann in dieſe
übergehen, dann begründet ſie, wenn es ſich nicht blos von einer mäßigen,
vereinzelten Einmiſchung des Komiſchen in das Tragiſche, wie ſie überhaupt
dem charakteriſtiſchen Style natürlich iſt, ſondern von einer ſtarken, zur
Herrſchaft gelangenden handelt, eine Komödie, ſie muß aber dieſen Ueber-
gang nicht nehmen, und ein Drama, das vorherrſchend ein Bild von ernſtem
Kampf, Schuld und Leiden, darſtellt, gehört, mag auch dieß Leiden vorüber-
gehend und der Schluß glücklich ſein, zur Tragödie: es iſt nichts Anderes,
als das poſitiv Tragiſche, deſſen Sinn und Werth in §. 128 erörtert iſt,
in der Form des Drama realiſirt. Es handelt ſich einfach um die zwei
Glieder jenes Dualismus, der durch alles Erhabene geht und im Tragiſchen
ſeine höchſte Bedeutung hat. Wir wiederholen den Satz aus jenem §.,
daß die negative Form die reinere und bedeutendere, die poſitive aber, d. h.
die Darſtellung ſchwerer und ernſter Conflicte mit glücklichem Ausgang, die
ſchwächere iſt, weil ſie immer noch einen Schein übrig läßt, als gelte es
die Verherrlichung des ſubjectiv Erhabenen. Dieſen Schein zu vermeiden,
muß der ganze Accent darauf gelegt werden, daß nicht menſchliches Ver-
dienſt ſeine Genugthuung erhalte, ſondern, daß ihm nach tiefem Leiden,
das mit irgend einer Schuld zuſammenhängt, womit edles Streben ſich
getrübt hat, von der abſoluten Macht der Weltordnung vergönnt ſei, ſeinen
Zweck ſiegreich durchzuführen. Je ſchwächer nun das erſte Moment in
dieſer Bewegung iſt, d. h. je weniger tief und furchtbar der Conflict und
die Schwere der Prüfung, deſto näher liegt es allerdings, daß der glückliche
Schluß in der Grundſtimmung anticipirt wird und dieſe aus der nur freien
und freudigen in die komiſche ſich umſetzt. Das Mittelglied iſt, daß die
Frohheit auch die ſubjective Willkür, das abſolute Leichtnehmen alles Inhalts
entbindet. Dann entſteht eine Form, die, wie geſagt, zwar nicht als dritte
neben Tragödie und Komödie ſteht, aber eine Art der letzteren bildet, welche
etwas von der erſteren hat: die Komödie mit ernſtem Mittelpunct. Die
Sache iſt damit allerdings noch nicht erſchöpft, das Weitere gehört in die
Unter-Eintheilung der zwei Hauptgattungen, wo die verſchiedenen Formen
des Tragiſchen und Komiſchen als Motive einer engeren Unterſcheidung
hervortreten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0284" n="1420"/>
Als eine &#x017F;olche hat man das Drama mit glücklichem Ausgang aufgeführt,<lb/>
wofür wir den Namen Schau&#x017F;piel kaum brauchen können, weil er &#x017F;ich<lb/>
einmal facti&#x017F;ch für eine be&#x017F;timmte ge&#x017F;chichtliche Form, und zwar eine zwei-<lb/>
felhafte, nämlich das bürgerliche Rühr&#x017F;tück, fixirt hat. Man erkennt nun<lb/>
aber &#x017F;ogleich, daß die&#x017F;er Begriff &#x017F;ich nicht dem der Tragödie und Komödie<lb/>
logi&#x017F;ch coordiniren kann, &#x017F;o daß man etwa an ein Mittleres zwi&#x017F;chen Ern&#x017F;t<lb/>
und Komik zu denken hätte, was in der frohen Stimmung des heiteren<lb/>
Ausgangs enthalten wäre. Die Stimmung des Glücklichen und die komi&#x017F;che<lb/>
&#x017F;ind keine Begriffe, die unter Eine Kategorie fallen. Jene <hi rendition="#g">kann</hi> in die&#x017F;e<lb/>
übergehen, dann begründet &#x017F;ie, wenn es &#x017F;ich nicht blos von einer mäßigen,<lb/>
vereinzelten Einmi&#x017F;chung des Komi&#x017F;chen in das Tragi&#x017F;che, wie &#x017F;ie überhaupt<lb/>
dem charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Style natürlich i&#x017F;t, &#x017F;ondern von einer &#x017F;tarken, zur<lb/>
Herr&#x017F;chaft gelangenden handelt, eine Komödie, &#x017F;ie <hi rendition="#g">muß</hi> aber die&#x017F;en Ueber-<lb/>
gang nicht nehmen, und ein Drama, das vorherr&#x017F;chend ein Bild von ern&#x017F;tem<lb/>
Kampf, Schuld und Leiden, dar&#x017F;tellt, gehört, mag auch dieß Leiden vorüber-<lb/>
gehend und der Schluß glücklich &#x017F;ein, zur Tragödie: es i&#x017F;t nichts Anderes,<lb/>
als das po&#x017F;itiv Tragi&#x017F;che, de&#x017F;&#x017F;en Sinn und Werth in §. 128 erörtert i&#x017F;t,<lb/>
in der Form des Drama reali&#x017F;irt. Es handelt &#x017F;ich einfach um die zwei<lb/>
Glieder jenes Dualismus, der durch alles Erhabene geht und im Tragi&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;eine höch&#x017F;te Bedeutung hat. Wir wiederholen den Satz aus jenem §.,<lb/>
daß die negative Form die reinere und bedeutendere, die po&#x017F;itive aber, d. h.<lb/>
die Dar&#x017F;tellung &#x017F;chwerer und ern&#x017F;ter Conflicte mit glücklichem Ausgang, die<lb/>
&#x017F;chwächere i&#x017F;t, weil &#x017F;ie immer noch einen Schein übrig läßt, als gelte es<lb/>
die Verherrlichung des &#x017F;ubjectiv Erhabenen. Die&#x017F;en Schein zu vermeiden,<lb/>
muß der ganze Accent darauf gelegt werden, daß nicht men&#x017F;chliches Ver-<lb/>
dien&#x017F;t &#x017F;eine Genugthuung erhalte, &#x017F;ondern, daß ihm nach tiefem Leiden,<lb/>
das mit irgend einer Schuld zu&#x017F;ammenhängt, womit edles Streben &#x017F;ich<lb/>
getrübt hat, von der ab&#x017F;oluten Macht der Weltordnung vergönnt &#x017F;ei, &#x017F;einen<lb/>
Zweck &#x017F;iegreich durchzuführen. Je &#x017F;chwächer nun das er&#x017F;te Moment in<lb/>
die&#x017F;er Bewegung i&#x017F;t, d. h. je weniger tief und furchtbar der Conflict und<lb/>
die Schwere der Prüfung, de&#x017F;to näher liegt es allerdings, daß der glückliche<lb/>
Schluß in der Grund&#x017F;timmung anticipirt wird und die&#x017F;e aus der nur freien<lb/>
und freudigen in die komi&#x017F;che &#x017F;ich um&#x017F;etzt. Das Mittelglied i&#x017F;t, daß die<lb/>
Frohheit auch die &#x017F;ubjective Willkür, das ab&#x017F;olute Leichtnehmen alles Inhalts<lb/>
entbindet. Dann ent&#x017F;teht eine Form, die, wie ge&#x017F;agt, zwar nicht als dritte<lb/>
neben Tragödie und Komödie &#x017F;teht, aber eine Art der letzteren bildet, welche<lb/>
etwas von der er&#x017F;teren hat: die Komödie mit ern&#x017F;tem Mittelpunct. Die<lb/>
Sache i&#x017F;t damit allerdings noch nicht er&#x017F;chöpft, das Weitere gehört in die<lb/>
Unter-Eintheilung der zwei Hauptgattungen, wo die ver&#x017F;chiedenen Formen<lb/>
des Tragi&#x017F;chen und Komi&#x017F;chen als Motive einer engeren Unter&#x017F;cheidung<lb/>
hervortreten.</hi> </p>
              </div><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1420/0284] Als eine ſolche hat man das Drama mit glücklichem Ausgang aufgeführt, wofür wir den Namen Schauſpiel kaum brauchen können, weil er ſich einmal factiſch für eine beſtimmte geſchichtliche Form, und zwar eine zwei- felhafte, nämlich das bürgerliche Rührſtück, fixirt hat. Man erkennt nun aber ſogleich, daß dieſer Begriff ſich nicht dem der Tragödie und Komödie logiſch coordiniren kann, ſo daß man etwa an ein Mittleres zwiſchen Ernſt und Komik zu denken hätte, was in der frohen Stimmung des heiteren Ausgangs enthalten wäre. Die Stimmung des Glücklichen und die komiſche ſind keine Begriffe, die unter Eine Kategorie fallen. Jene kann in dieſe übergehen, dann begründet ſie, wenn es ſich nicht blos von einer mäßigen, vereinzelten Einmiſchung des Komiſchen in das Tragiſche, wie ſie überhaupt dem charakteriſtiſchen Style natürlich iſt, ſondern von einer ſtarken, zur Herrſchaft gelangenden handelt, eine Komödie, ſie muß aber dieſen Ueber- gang nicht nehmen, und ein Drama, das vorherrſchend ein Bild von ernſtem Kampf, Schuld und Leiden, darſtellt, gehört, mag auch dieß Leiden vorüber- gehend und der Schluß glücklich ſein, zur Tragödie: es iſt nichts Anderes, als das poſitiv Tragiſche, deſſen Sinn und Werth in §. 128 erörtert iſt, in der Form des Drama realiſirt. Es handelt ſich einfach um die zwei Glieder jenes Dualismus, der durch alles Erhabene geht und im Tragiſchen ſeine höchſte Bedeutung hat. Wir wiederholen den Satz aus jenem §., daß die negative Form die reinere und bedeutendere, die poſitive aber, d. h. die Darſtellung ſchwerer und ernſter Conflicte mit glücklichem Ausgang, die ſchwächere iſt, weil ſie immer noch einen Schein übrig läßt, als gelte es die Verherrlichung des ſubjectiv Erhabenen. Dieſen Schein zu vermeiden, muß der ganze Accent darauf gelegt werden, daß nicht menſchliches Ver- dienſt ſeine Genugthuung erhalte, ſondern, daß ihm nach tiefem Leiden, das mit irgend einer Schuld zuſammenhängt, womit edles Streben ſich getrübt hat, von der abſoluten Macht der Weltordnung vergönnt ſei, ſeinen Zweck ſiegreich durchzuführen. Je ſchwächer nun das erſte Moment in dieſer Bewegung iſt, d. h. je weniger tief und furchtbar der Conflict und die Schwere der Prüfung, deſto näher liegt es allerdings, daß der glückliche Schluß in der Grundſtimmung anticipirt wird und dieſe aus der nur freien und freudigen in die komiſche ſich umſetzt. Das Mittelglied iſt, daß die Frohheit auch die ſubjective Willkür, das abſolute Leichtnehmen alles Inhalts entbindet. Dann entſteht eine Form, die, wie geſagt, zwar nicht als dritte neben Tragödie und Komödie ſteht, aber eine Art der letzteren bildet, welche etwas von der erſteren hat: die Komödie mit ernſtem Mittelpunct. Die Sache iſt damit allerdings noch nicht erſchöpft, das Weitere gehört in die Unter-Eintheilung der zwei Hauptgattungen, wo die verſchiedenen Formen des Tragiſchen und Komiſchen als Motive einer engeren Unterſcheidung hervortreten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/284
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/284>, abgerufen am 22.11.2024.