so als große politische Narrheit auftritt. Darf man hoffen, daß eine solche Form wieder aufstehe, so ist es nur möglich in einem großen politischen Moment, etwa einer siegreichen Revolution, wo Alles politisch gestimmt ist, wo das Treiben der Besiegten als ein großartiger, tragikomischer Wahnsinn erscheint und wo der Sieger zugleich großmüthig und klar genug ist, sich selbst, seine Sünden und Schwächen mit in den Taumel des Humors zu werfen. So talentvolle Versuche wie die politische Wochenstube von Prutz sind ein Beweis, daß wenigstens den Deutschen die Ader nicht fehlt. Der größere Theil des Inhalts in diesem Versuch ist allerdings literarische Satyre. Wir haben die Literatur nicht als Stoffquelle im §. aufgeführt; denn die unbedingte Popularität und Oeffentlichkeit, die Verwachsung mit dem politischen Leben, deren sie sich in Griechenland erfreute, kann nicht wieder- kehren (vergl. Hettner D. moderne Drama 162); Komödien wie Tieck's gestiefelter Kater können daher in der neueren Zeit schon aus diesem Grunde nur Lesedramen für wohlbewanderte Kreise sein. -- Die Sphäre der sozialen Komödie unterscheiden wir wie in der Eintheilung der Tragödie als die bürgerliche von der des eigentlichen Privatlebens: es handelt sich von Ver- kehrtheiten, welche durch bestimmte Einrichtungen, Gewohnheiten, Verhält- nisse der Gesellschaft bleibend gegeben sind und aus welchen Typen entstehen, wie der Adelstolze, der bürgerliche Emporkömmling, der Heuchler (Tartuffe), der Charlatan, der Büreaukrat, der Philister, der geplagte Ehemann u. s. w. Das Gebiet liegt innerhalb des nicht politischen Stoffkreises zunächst an der Grenze des letzteren und nimmt historisch-politische Zustände gern zum Hintergrund. Man kann allgemeiner sagen, die Komödie lege es oft mehr auf ein Bild der gegebenen Zustände, der Sitte, als der besondern Fabel an, und die unbestimmte Masse, die unter diesen Standpunct fällt, zur sozialen Komödie rechnen. Spielt ein solches Stück in der feineren Gesell- schaft, so ist es sehr natürlich, daß sich die Handlung an dem Faden der geistreichen, witzigen, beweglichen Conversation verläuft und das Haupt- absehen sich auf diese richtet: das Conversationslustspiel, worin be- greiflich die Franzosen ihre Hauptstärke haben. -- Das Lustspiel des gemeinen Privatlebens lehnt sich wohl an Verhältnisse und Sitten, nimmt aber sein Motiv nicht aus den chronischen Verhärtungen, welche hier eine Welt des Unbequemen und Verkehrten hervorbringen, sondern aus der menschlichen Natur wie sie an sich und jederzeit beschaffen, zu bestimmten Leidenschaften, Verirrungen geneigt ist und in unendliche Collisionen mit der Wirklichkeit geräth. Daß die Liebe in beiden Sphären die Hauptrolle spielt, bedarf nach den Andeutungen des §. 322 keiner weiteren Erklärung; knüpfen sich im modernen Ideale die Metamorphosen der sich entwickelnden Persönlichkeit im ernsten Sinn an diese innigste Genugthuung der Sub- jectivität, so wird die Parodie des Ernstes, die wesentlich das Subjective
ſo als große politiſche Narrheit auftritt. Darf man hoffen, daß eine ſolche Form wieder aufſtehe, ſo iſt es nur möglich in einem großen politiſchen Moment, etwa einer ſiegreichen Revolution, wo Alles politiſch geſtimmt iſt, wo das Treiben der Beſiegten als ein großartiger, tragikomiſcher Wahnſinn erſcheint und wo der Sieger zugleich großmüthig und klar genug iſt, ſich ſelbſt, ſeine Sünden und Schwächen mit in den Taumel des Humors zu werfen. So talentvolle Verſuche wie die politiſche Wochenſtube von Prutz ſind ein Beweis, daß wenigſtens den Deutſchen die Ader nicht fehlt. Der größere Theil des Inhalts in dieſem Verſuch iſt allerdings literariſche Satyre. Wir haben die Literatur nicht als Stoffquelle im §. aufgeführt; denn die unbedingte Popularität und Oeffentlichkeit, die Verwachſung mit dem politiſchen Leben, deren ſie ſich in Griechenland erfreute, kann nicht wieder- kehren (vergl. Hettner D. moderne Drama 162); Komödien wie Tieck’s geſtiefelter Kater können daher in der neueren Zeit ſchon aus dieſem Grunde nur Leſedramen für wohlbewanderte Kreiſe ſein. — Die Sphäre der ſozialen Komödie unterſcheiden wir wie in der Eintheilung der Tragödie als die bürgerliche von der des eigentlichen Privatlebens: es handelt ſich von Ver- kehrtheiten, welche durch beſtimmte Einrichtungen, Gewohnheiten, Verhält- niſſe der Geſellſchaft bleibend gegeben ſind und aus welchen Typen entſtehen, wie der Adelſtolze, der bürgerliche Emporkömmling, der Heuchler (Tartuffe), der Charlatan, der Büreaukrat, der Philiſter, der geplagte Ehemann u. ſ. w. Das Gebiet liegt innerhalb des nicht politiſchen Stoffkreiſes zunächſt an der Grenze des letzteren und nimmt hiſtoriſch-politiſche Zuſtände gern zum Hintergrund. Man kann allgemeiner ſagen, die Komödie lege es oft mehr auf ein Bild der gegebenen Zuſtände, der Sitte, als der beſondern Fabel an, und die unbeſtimmte Maſſe, die unter dieſen Standpunct fällt, zur ſozialen Komödie rechnen. Spielt ein ſolches Stück in der feineren Geſell- ſchaft, ſo iſt es ſehr natürlich, daß ſich die Handlung an dem Faden der geiſtreichen, witzigen, beweglichen Converſation verläuft und das Haupt- abſehen ſich auf dieſe richtet: das Converſationsluſtſpiel, worin be- greiflich die Franzoſen ihre Hauptſtärke haben. — Das Luſtſpiel des gemeinen Privatlebens lehnt ſich wohl an Verhältniſſe und Sitten, nimmt aber ſein Motiv nicht aus den chroniſchen Verhärtungen, welche hier eine Welt des Unbequemen und Verkehrten hervorbringen, ſondern aus der menſchlichen Natur wie ſie an ſich und jederzeit beſchaffen, zu beſtimmten Leidenſchaften, Verirrungen geneigt iſt und in unendliche Colliſionen mit der Wirklichkeit geräth. Daß die Liebe in beiden Sphären die Hauptrolle ſpielt, bedarf nach den Andeutungen des §. 322 keiner weiteren Erklärung; knüpfen ſich im modernen Ideale die Metamorphoſen der ſich entwickelnden Perſönlichkeit im ernſten Sinn an dieſe innigſte Genugthuung der Sub- jectivität, ſo wird die Parodie des Ernſtes, die weſentlich das Subjective
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[1432/0296]
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Moment, etwa einer ſiegreichen Revolution, wo Alles politiſch geſtimmt iſt,
wo das Treiben der Beſiegten als ein großartiger, tragikomiſcher Wahnſinn
erſcheint und wo der Sieger zugleich großmüthig und klar genug iſt, ſich
ſelbſt, ſeine Sünden und Schwächen mit in den Taumel des Humors zu
werfen. So talentvolle Verſuche wie die politiſche Wochenſtube von Prutz
ſind ein Beweis, daß wenigſtens den Deutſchen die Ader nicht fehlt. Der
größere Theil des Inhalts in dieſem Verſuch iſt allerdings literariſche Satyre.
Wir haben die Literatur nicht als Stoffquelle im §. aufgeführt; denn
die unbedingte Popularität und Oeffentlichkeit, die Verwachſung mit dem
politiſchen Leben, deren ſie ſich in Griechenland erfreute, kann nicht wieder-
kehren (vergl. Hettner D. moderne Drama 162); Komödien wie Tieck’s
geſtiefelter Kater können daher in der neueren Zeit ſchon aus dieſem Grunde
nur Leſedramen für wohlbewanderte Kreiſe ſein. — Die Sphäre der ſozialen
Komödie unterſcheiden wir wie in der Eintheilung der Tragödie als die
bürgerliche von der des eigentlichen Privatlebens: es handelt ſich von Ver-
kehrtheiten, welche durch beſtimmte Einrichtungen, Gewohnheiten, Verhält-
niſſe der Geſellſchaft bleibend gegeben ſind und aus welchen Typen entſtehen,
wie der Adelſtolze, der bürgerliche Emporkömmling, der Heuchler (Tartuffe),
der Charlatan, der Büreaukrat, der Philiſter, der geplagte Ehemann u. ſ. w.
Das Gebiet liegt innerhalb des nicht politiſchen Stoffkreiſes zunächſt an
der Grenze des letzteren und nimmt hiſtoriſch-politiſche Zuſtände gern zum
Hintergrund. Man kann allgemeiner ſagen, die Komödie lege es oft mehr
auf ein Bild der gegebenen Zuſtände, der Sitte, als der beſondern Fabel
an, und die unbeſtimmte Maſſe, die unter dieſen Standpunct fällt, zur
ſozialen Komödie rechnen. Spielt ein ſolches Stück in der feineren Geſell-
ſchaft, ſo iſt es ſehr natürlich, daß ſich die Handlung an dem Faden der
geiſtreichen, witzigen, beweglichen Converſation verläuft und das Haupt-
abſehen ſich auf dieſe richtet: das Converſationsluſtſpiel, worin be-
greiflich die Franzoſen ihre Hauptſtärke haben. — Das Luſtſpiel des gemeinen
Privatlebens lehnt ſich wohl an Verhältniſſe und Sitten, nimmt
aber ſein Motiv nicht aus den chroniſchen Verhärtungen, welche hier eine
Welt des Unbequemen und Verkehrten hervorbringen, ſondern aus der
menſchlichen Natur wie ſie an ſich und jederzeit beſchaffen, zu beſtimmten
Leidenſchaften, Verirrungen geneigt iſt und in unendliche Colliſionen mit
der Wirklichkeit geräth. Daß die Liebe in beiden Sphären die Hauptrolle
ſpielt, bedarf nach den Andeutungen des §. 322 keiner weiteren Erklärung;
knüpfen ſich im modernen Ideale die Metamorphoſen der ſich entwickelnden
Perſönlichkeit im ernſten Sinn an dieſe innigſte Genugthuung der Sub-
jectivität, ſo wird die Parodie des Ernſtes, die weſentlich das Subjective
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/296>, abgerufen am 21.11.2024.
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