Schiller (Ueber naive und sentimentale Dichtkunst S. 256 ff.) spricht den Vorzug der Komödie in folgenden Sätzen aus: "die Tragödie fordert das wichtigere Object, die Komödie das wichtigere Subject; dort geschieht schon durch den Gegenstand viel, hier nichts durch ihn und Alles durch den Dichter. Den tragischen Dichter trägt sein Object, der komische muß durch sein Subject das seinige in der ästhetischen Höhe erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu so viel eben nicht gehört, der andere muß sich gleich bleiben, er muß also schon dort sein und dort zu Hause sein, wohin der Erstere nicht ohne einen Anlauf gelangt. Es ist der Unterschied des schönen und des erhabenen Charakters: dieser ist nur ruckweise und nur mit Anstrengung frei, jener ist es mit Leichtigkeit und immer. -- Die Tra- gödie ist bestimmt, die Gemüthsfreiheit, wenn sie durch einen Affect ge- waltsam aufgehoben worden, auf ästhetischem Wege wieder herstellen zu helfen; in ihr muß daher die Gemüthsfreiheit künstlicher Weise und als Experiment aufgehoben werden; in der Komödie dagegen muß verhütet werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreiheit komme. Daher behandelt der Tragödiendichter seinen Stoff immer praktisch, der Ko- mödieendichter den seinigen immer theoretisch, jener muß sich vor dem ruhigen Räsonnement in Acht nehmen, dieser muß sich vor dem Pathos hüten und immer den Verstand unterhalten; jener zeigt also durch beständige Erregung, dieser durch beständige Abwehrung der Leidenschaft seine Kunst. Das Ziel der Komödie ist einerlei mit dem Höchsten, wonach der Mensch zu ringen hat, frei von Leidenschaft zu sein, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall mehr Zufall, als Schicksal, zu finden und mehr über Un- gereimtheit zu lachen, als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen." -- Schiller hat nicht bemerkt, daß diese Sätze in Einem Zuge mit der Behauptung auch deren Einschränkung enthalten. -- Daß zunächst die Komödie in gewissem Sinn höher steht, folgt für uns prinzipiell aus dem innersten Wesen des Komischen, wie es in der Metaphysik des Schönen entwickelt ist. Das Komische hat sich erwiesen als Act der reinen Freiheit des Selbstbewußt- seins, das den Widerspruch, womit alles Erhabene behaftet ist, sich in unendlichem Spiel erzeugt und auflöst. Es enthält also das schlechthin Große, welches eben das Tragische ist, als das eine Moment seines Pro- zesses in sich, hat somit mehr, ist darüber hinaus. Man kann so zunächst immerhin sagen, das Tragische sei stoffartiger, in dem allgemeinen Sinne nämlich, daß der Dichter von der Wucht eines Gesetzes hingenommen sei, das, aus einer Welt aufgewühlter Leidenschaft aufsteigend, furchtbar, obwohl gerecht, durch die Welt geht und keinen Vollgenuß des Lebens, keine subjective Genüge gestattet. Die Leichtigkeit und Freiheit des von dieser Schwere entbundenen Geistes, der in der Komödie waltet, gleicht jener, die wir bei dem epischen Dichter gefunden haben; es ist das verwandte freie Schweben
Schiller (Ueber naive und ſentimentale Dichtkunſt S. 256 ff.) ſpricht den Vorzug der Komödie in folgenden Sätzen aus: „die Tragödie fordert das wichtigere Object, die Komödie das wichtigere Subject; dort geſchieht ſchon durch den Gegenſtand viel, hier nichts durch ihn und Alles durch den Dichter. Den tragiſchen Dichter trägt ſein Object, der komiſche muß durch ſein Subject das ſeinige in der äſthetiſchen Höhe erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu ſo viel eben nicht gehört, der andere muß ſich gleich bleiben, er muß alſo ſchon dort ſein und dort zu Hauſe ſein, wohin der Erſtere nicht ohne einen Anlauf gelangt. Es iſt der Unterſchied des ſchönen und des erhabenen Charakters: dieſer iſt nur ruckweiſe und nur mit Anſtrengung frei, jener iſt es mit Leichtigkeit und immer. — Die Tra- gödie iſt beſtimmt, die Gemüthsfreiheit, wenn ſie durch einen Affect ge- waltſam aufgehoben worden, auf äſthetiſchem Wege wieder herſtellen zu helfen; in ihr muß daher die Gemüthsfreiheit künſtlicher Weiſe und als Experiment aufgehoben werden; in der Komödie dagegen muß verhütet werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreiheit komme. Daher behandelt der Tragödiendichter ſeinen Stoff immer praktiſch, der Ko- mödieendichter den ſeinigen immer theoretiſch, jener muß ſich vor dem ruhigen Räſonnement in Acht nehmen, dieſer muß ſich vor dem Pathos hüten und immer den Verſtand unterhalten; jener zeigt alſo durch beſtändige Erregung, dieſer durch beſtändige Abwehrung der Leidenſchaft ſeine Kunſt. Das Ziel der Komödie iſt einerlei mit dem Höchſten, wonach der Menſch zu ringen hat, frei von Leidenſchaft zu ſein, immer ruhig um ſich und in ſich zu ſchauen, überall mehr Zufall, als Schickſal, zu finden und mehr über Un- gereimtheit zu lachen, als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“ — Schiller hat nicht bemerkt, daß dieſe Sätze in Einem Zuge mit der Behauptung auch deren Einſchränkung enthalten. — Daß zunächſt die Komödie in gewiſſem Sinn höher ſteht, folgt für uns prinzipiell aus dem innerſten Weſen des Komiſchen, wie es in der Metaphyſik des Schönen entwickelt iſt. Das Komiſche hat ſich erwieſen als Act der reinen Freiheit des Selbſtbewußt- ſeins, das den Widerſpruch, womit alles Erhabene behaftet iſt, ſich in unendlichem Spiel erzeugt und auflöst. Es enthält alſo das ſchlechthin Große, welches eben das Tragiſche iſt, als das eine Moment ſeines Pro- zeſſes in ſich, hat ſomit mehr, iſt darüber hinaus. Man kann ſo zunächſt immerhin ſagen, das Tragiſche ſei ſtoffartiger, in dem allgemeinen Sinne nämlich, daß der Dichter von der Wucht eines Geſetzes hingenommen ſei, das, aus einer Welt aufgewühlter Leidenſchaft aufſteigend, furchtbar, obwohl gerecht, durch die Welt geht und keinen Vollgenuß des Lebens, keine ſubjective Genüge geſtattet. Die Leichtigkeit und Freiheit des von dieſer Schwere entbundenen Geiſtes, der in der Komödie waltet, gleicht jener, die wir bei dem epiſchen Dichter gefunden haben; es iſt das verwandte freie Schweben
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Schiller (Ueber naive und ſentimentale Dichtkunſt S. 256 ff.) ſpricht den
Vorzug der Komödie in folgenden Sätzen aus: „die Tragödie fordert das
wichtigere Object, die Komödie das wichtigere Subject; dort geſchieht ſchon
durch den Gegenſtand viel, hier nichts durch ihn und Alles durch den
Dichter. Den tragiſchen Dichter trägt ſein Object, der komiſche muß durch
ſein Subject das ſeinige in der äſthetiſchen Höhe erhalten. Jener darf
einen Schwung nehmen, wozu ſo viel eben nicht gehört, der andere muß
ſich gleich bleiben, er muß alſo ſchon dort ſein und dort zu Hauſe ſein,
wohin der Erſtere nicht ohne einen Anlauf gelangt. Es iſt der Unterſchied
des ſchönen und des erhabenen Charakters: dieſer iſt nur ruckweiſe und nur
mit Anſtrengung frei, jener iſt es mit Leichtigkeit und immer. — Die Tra-
gödie iſt beſtimmt, die Gemüthsfreiheit, wenn ſie durch einen Affect ge-
waltſam aufgehoben worden, auf äſthetiſchem Wege wieder herſtellen zu
helfen; in ihr muß daher die Gemüthsfreiheit künſtlicher Weiſe und als
Experiment aufgehoben werden; in der Komödie dagegen muß verhütet
werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreiheit komme.
Daher behandelt der Tragödiendichter ſeinen Stoff immer praktiſch, der Ko-
mödieendichter den ſeinigen immer theoretiſch, jener muß ſich vor dem ruhigen
Räſonnement in Acht nehmen, dieſer muß ſich vor dem Pathos hüten und
immer den Verſtand unterhalten; jener zeigt alſo durch beſtändige Erregung,
dieſer durch beſtändige Abwehrung der Leidenſchaft ſeine Kunſt. Das Ziel
der Komödie iſt einerlei mit dem Höchſten, wonach der Menſch zu ringen
hat, frei von Leidenſchaft zu ſein, immer ruhig um ſich und in ſich zu
ſchauen, überall mehr Zufall, als Schickſal, zu finden und mehr über Un-
gereimtheit zu lachen, als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“ —
Schiller hat nicht bemerkt, daß dieſe Sätze in Einem Zuge mit der Behauptung
auch deren Einſchränkung enthalten. — Daß zunächſt die Komödie in gewiſſem
Sinn höher ſteht, folgt für uns prinzipiell aus dem innerſten Weſen des
Komiſchen, wie es in der Metaphyſik des Schönen entwickelt iſt. Das
Komiſche hat ſich erwieſen als Act der reinen Freiheit des Selbſtbewußt-
ſeins, das den Widerſpruch, womit alles Erhabene behaftet iſt, ſich in
unendlichem Spiel erzeugt und auflöst. Es enthält alſo das ſchlechthin
Große, welches eben das Tragiſche iſt, als das eine Moment ſeines Pro-
zeſſes in ſich, hat ſomit mehr, iſt darüber hinaus. Man kann ſo zunächſt
immerhin ſagen, das Tragiſche ſei ſtoffartiger, in dem allgemeinen Sinne
nämlich, daß der Dichter von der Wucht eines Geſetzes hingenommen ſei,
das, aus einer Welt aufgewühlter Leidenſchaft aufſteigend, furchtbar, obwohl
gerecht, durch die Welt geht und keinen Vollgenuß des Lebens, keine ſubjective
Genüge geſtattet. Die Leichtigkeit und Freiheit des von dieſer Schwere
entbundenen Geiſtes, der in der Komödie waltet, gleicht jener, die wir bei
dem epiſchen Dichter gefunden haben; es iſt das verwandte freie Schweben
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/308>, abgerufen am 21.11.2024.
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