Auge hat, das auch den andern Standpunct fordert, welcher in die reine Form den ethischen Ernst einschließt. Es ist im Erhabenen, sagt §. 229, dem ganzen Schönen ein Unrecht geschehen, indem das Moment der Sinn- lichkeit, Einzelheit, Gegenwärtigkeit negirt wurde; das Komische ist auch ein Unrecht, indem es die Idee negirt. Die humoristische Subjectivität weiß sich als Hort und Bürge der Idee, nur darum wagt sie, in jeder Gestalt sie zu verflüchtigen und aufzulösen, aber sie behält sich ebendarum die wahre Wiederherstellung derselben stets nur vor, ist mit keiner Wirklich- keit derselben zufrieden, gönnt keiner, sich auszubreiten. Und das ist der gute, der höchste Fall. Verbirgt sich unter dem substantiösen Pathos der Tragödie leicht die überschauende Weisheit und den Stoff beherrschende Ironie, lockt daher diese Dichtart Geister an, die es nie über das Pathologische bringen, so ist die leichte Luft der Komödie auch das Element für die win- digen Geister, für die leere Subjectivität im sublimeren und im niedrigeren Sinne: jene kennt nicht den Ausgangspunct vom Ernst im komischen Prozesse, verflüchtigt geistreich Alles im Schaum des inhaltslosen Spiels, wie unsere Romantiker es als Prinzip aufgestellt und geübt haben; was sie noch Stoffartiges bewahrt, ist die reine Grille, die Caprice, die so wenig komisch, als ernst motivirt ist; diese zerrt an den Lachmuskeln um jeden Preis und meint, das Komische dürfe gemein sein, weil es sich mit dem Gemeinen befassen muß. Da verlangt die positive Idealität des Ernstes wieder ihr volles Recht und man sehnt sich, daß sie mit dem strengen Antlitz unter die Narren trete. Shakespeare hat in seiner letzten Periode nur Ko- mödieen mit besonders starker Grundlage des Ernstes geschrieben: Cymbe- line, Wintermährchen, Sturm, Maaß für Maaß (die gallige Satyre Timon von Athen nicht zu rechnen); aber, was wichtiger ist, er hat den Hamlet vollendet, Julius Cäsar, Antonius und Cleopatra, Coriolan, Makbeth, Othello gedichtet, gedankentief, stahlhart, gedrängt und gesättigt von finsterer Kraft und furchtbarem Schicksalsgefühle, doch aber ohne die Freiheit des Gemüths in die Gewalt des Affects zu verlieren und ohne stoffartige Bitter- keit in der Schlußempfindung.
Auge hat, das auch den andern Standpunct fordert, welcher in die reine Form den ethiſchen Ernſt einſchließt. Es iſt im Erhabenen, ſagt §. 229, dem ganzen Schönen ein Unrecht geſchehen, indem das Moment der Sinn- lichkeit, Einzelheit, Gegenwärtigkeit negirt wurde; das Komiſche iſt auch ein Unrecht, indem es die Idee negirt. Die humoriſtiſche Subjectivität weiß ſich als Hort und Bürge der Idee, nur darum wagt ſie, in jeder Geſtalt ſie zu verflüchtigen und aufzulöſen, aber ſie behält ſich ebendarum die wahre Wiederherſtellung derſelben ſtets nur vor, iſt mit keiner Wirklich- keit derſelben zufrieden, gönnt keiner, ſich auszubreiten. Und das iſt der gute, der höchſte Fall. Verbirgt ſich unter dem ſubſtantiöſen Pathos der Tragödie leicht die überſchauende Weisheit und den Stoff beherrſchende Ironie, lockt daher dieſe Dichtart Geiſter an, die es nie über das Pathologiſche bringen, ſo iſt die leichte Luft der Komödie auch das Element für die win- digen Geiſter, für die leere Subjectivität im ſublimeren und im niedrigeren Sinne: jene kennt nicht den Ausgangspunct vom Ernſt im komiſchen Prozeſſe, verflüchtigt geiſtreich Alles im Schaum des inhaltsloſen Spiels, wie unſere Romantiker es als Prinzip aufgeſtellt und geübt haben; was ſie noch Stoffartiges bewahrt, iſt die reine Grille, die Caprice, die ſo wenig komiſch, als ernſt motivirt iſt; dieſe zerrt an den Lachmuskeln um jeden Preis und meint, das Komiſche dürfe gemein ſein, weil es ſich mit dem Gemeinen befaſſen muß. Da verlangt die poſitive Idealität des Ernſtes wieder ihr volles Recht und man ſehnt ſich, daß ſie mit dem ſtrengen Antlitz unter die Narren trete. Shakespeare hat in ſeiner letzten Periode nur Ko- mödieen mit beſonders ſtarker Grundlage des Ernſtes geſchrieben: Cymbe- line, Wintermährchen, Sturm, Maaß für Maaß (die gallige Satyre Timon von Athen nicht zu rechnen); aber, was wichtiger iſt, er hat den Hamlet vollendet, Julius Cäſar, Antonius und Cleopatra, Coriolan, Makbeth, Othello gedichtet, gedankentief, ſtahlhart, gedrängt und geſättigt von finſterer Kraft und furchtbarem Schickſalsgefühle, doch aber ohne die Freiheit des Gemüths in die Gewalt des Affects zu verlieren und ohne ſtoffartige Bitter- keit in der Schlußempfindung.
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Auge hat, das auch den andern Standpunct fordert, welcher in die reine
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dem ganzen Schönen ein Unrecht geſchehen, indem das Moment der Sinn-
lichkeit, Einzelheit, Gegenwärtigkeit negirt wurde; das Komiſche iſt auch
ein Unrecht, indem es die Idee negirt. Die humoriſtiſche Subjectivität
weiß ſich als Hort und Bürge der Idee, nur darum wagt ſie, in jeder
Geſtalt ſie zu verflüchtigen und aufzulöſen, aber ſie behält ſich ebendarum
die wahre Wiederherſtellung derſelben ſtets nur vor, iſt mit keiner Wirklich-
keit derſelben zufrieden, gönnt keiner, ſich auszubreiten. Und das iſt der
gute, der höchſte Fall. Verbirgt ſich unter dem ſubſtantiöſen Pathos der
Tragödie leicht die überſchauende Weisheit und den Stoff beherrſchende Ironie,
lockt daher dieſe Dichtart Geiſter an, die es nie über das Pathologiſche
bringen, ſo iſt die leichte Luft der Komödie auch das Element für die win-
digen Geiſter, für die leere Subjectivität im ſublimeren und im niedrigeren
Sinne: jene kennt nicht den Ausgangspunct vom Ernſt im komiſchen
Prozeſſe, verflüchtigt geiſtreich Alles im Schaum des inhaltsloſen Spiels,
wie unſere Romantiker es als Prinzip aufgeſtellt und geübt haben; was
ſie noch Stoffartiges bewahrt, iſt die reine Grille, die Caprice, die ſo wenig
komiſch, als ernſt motivirt iſt; dieſe zerrt an den Lachmuskeln um jeden
Preis und meint, das Komiſche dürfe gemein ſein, weil es ſich mit dem
Gemeinen befaſſen muß. Da verlangt die poſitive Idealität des Ernſtes
wieder ihr volles Recht und man ſehnt ſich, daß ſie mit dem ſtrengen Antlitz
unter die Narren trete. Shakespeare hat in ſeiner letzten Periode nur Ko-
mödieen mit beſonders ſtarker Grundlage des Ernſtes geſchrieben: Cymbe-
line, Wintermährchen, Sturm, Maaß für Maaß (die gallige Satyre Timon
von Athen nicht zu rechnen); aber, was wichtiger iſt, er hat den Hamlet
vollendet, Julius Cäſar, Antonius und Cleopatra, Coriolan, Makbeth,
Othello gedichtet, gedankentief, ſtahlhart, gedrängt und geſättigt von finſterer
Kraft und furchtbarem Schickſalsgefühle, doch aber ohne die Freiheit des
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/310>, abgerufen am 21.11.2024.
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