Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857.
erneuert sich innerhalb dieses Styls; theils ist er ein nationaler ebenso wie §. 922. Die Schauspielkunst setzt die Bühne voraus: die Baukunst, die Malerei Der ganze Inhalt unserer Kunstlehre erspart uns eine Widerlegung der
erneuert ſich innerhalb dieſes Styls; theils iſt er ein nationaler ebenſo wie §. 922. Die Schauſpielkunſt ſetzt die Bühne voraus: die Baukunſt, die Malerei Der ganze Inhalt unſerer Kunſtlehre erſpart uns eine Widerlegung der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0317" n="1453"/> erneuert ſich innerhalb dieſes Styls; theils iſt er ein nationaler ebenſo wie<lb/> in der Poeſie: Italiener und Franzoſen haben in der hohen Tragödie immer<lb/> noch etwas Geſang-artiges, Recitativ-ähnliches im Vortrag, ſtrenge, gemeſſene<lb/> Regel, einfach große Bewegung, plaſtiſches Verweilen im Spiel, in der<lb/> Komödie bringt wenigſtens die generelle Behandlung der Charaktere eine<lb/> geringere Individualiſirung mit ſich. Die franzöſiſche Art war mit der<lb/> poetiſchen Dramaturgie und geſammten conventionellen Diſciplin in Deutſch-<lb/> land eingedrungen und ward von Eckhof geſtürzt, der die wahre und indi-<lb/> viduelle Sprache und Tonleiter der Natur zum Geſetz erhob. Nun aber<lb/> riß mit dem bürgerlichen Drama und ſeiner proſaiſchen Redeform, dann<lb/> mit dem wilden Schrei der Sturm- und Drang-Periode ein Grad des<lb/> Naturalismus ein, der eine neue Reaction des plaſtiſchen, claſſiſch idealen<lb/> Styls hervorrufen mußte: er knüpfte ſich an Göthe’s und Schiller’s claſſiſche<lb/> Werke, man führte ſogar wieder franzöſiſche Tragödieen in den Kampf.<lb/> Dieß führte abermals in gleichtöniges Pathos, jambiſche Modulation ohne<lb/> Naturwahrheit des Tonfalls, kaltes Anſtands-Syſtem; die entgegenſtehende<lb/> Richtung mußte abermals ihr Recht zurückfordern. Seither ſuchen wir einen<lb/> charakteriſtiſchen Styl, der naturwahr individualiſirt und doch ideal iſt, wie<lb/> in der Poeſie und in allen Künſten, aber dem richtigen Begriffe des Zieles<lb/> bringt die Zeit nicht die hinreichende Kraft und Friſche entgegen, den falſchen<lb/> Ueberſchuß der Reflexion fühlt man nirgends mehr, als auf dieſem Gebiete. —<lb/> Statt alles Weiteren beſchränken wir uns hier, auf das treffliche Werk von<lb/> Ed. <hi rendition="#g">Devrient</hi>: „Die Geſch. d. deutſchen Schauſpielkunſt“ zu verweiſen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 922.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Schauſpielkunſt ſetzt die <hi rendition="#g">Bühne</hi> voraus: die Baukunſt, die Malerei<lb/> und als Stimmungsmittel die Muſik verbinden ſich mit ihr und es entſteht<lb/> eine Vereinigung aller Künſte, in welcher die Poeſie der beſtimmende Mittel-<lb/> punct iſt (vergl. §. 544 <hi rendition="#sub">3.</hi>). So kehrt denn dieſe zu der bildenden Kunſt im<lb/> eigentlichen Sinn, hiemit die geſammte Kunſt auf ihrer Spitze zur Unmittel-<lb/> barkeit zurück und erreicht hiedurch eine äſthetiſche Wirkung auf die Gemüther,<lb/> welche auch zu einer ſittlich politiſchen Macht wird.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Der ganze Inhalt unſerer Kunſtlehre erſpart uns eine Widerlegung der<lb/> R. Wagner’ſchen Theorie von einer Verbindung ſämmtlicher Künſte im<lb/> Theater, von einem Kunſtwerke, das Drama, Oper, Tanz und hiemit<lb/> lebendige Plaſtik, Gemälde und architektoniſche Schönheit gleichzeitig in der<lb/> Art ſein ſoll, daß wenigſtens die erſteren dieſer Künſte zu gleichen Theilen<lb/> in der Verbindung wiegen. Jede Kunſt hat das ganze Schöne auf ihre<lb/> Weiſe und es gibt daher keine andere richtige Verbindung von Künſten,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1453/0317]
erneuert ſich innerhalb dieſes Styls; theils iſt er ein nationaler ebenſo wie
in der Poeſie: Italiener und Franzoſen haben in der hohen Tragödie immer
noch etwas Geſang-artiges, Recitativ-ähnliches im Vortrag, ſtrenge, gemeſſene
Regel, einfach große Bewegung, plaſtiſches Verweilen im Spiel, in der
Komödie bringt wenigſtens die generelle Behandlung der Charaktere eine
geringere Individualiſirung mit ſich. Die franzöſiſche Art war mit der
poetiſchen Dramaturgie und geſammten conventionellen Diſciplin in Deutſch-
land eingedrungen und ward von Eckhof geſtürzt, der die wahre und indi-
viduelle Sprache und Tonleiter der Natur zum Geſetz erhob. Nun aber
riß mit dem bürgerlichen Drama und ſeiner proſaiſchen Redeform, dann
mit dem wilden Schrei der Sturm- und Drang-Periode ein Grad des
Naturalismus ein, der eine neue Reaction des plaſtiſchen, claſſiſch idealen
Styls hervorrufen mußte: er knüpfte ſich an Göthe’s und Schiller’s claſſiſche
Werke, man führte ſogar wieder franzöſiſche Tragödieen in den Kampf.
Dieß führte abermals in gleichtöniges Pathos, jambiſche Modulation ohne
Naturwahrheit des Tonfalls, kaltes Anſtands-Syſtem; die entgegenſtehende
Richtung mußte abermals ihr Recht zurückfordern. Seither ſuchen wir einen
charakteriſtiſchen Styl, der naturwahr individualiſirt und doch ideal iſt, wie
in der Poeſie und in allen Künſten, aber dem richtigen Begriffe des Zieles
bringt die Zeit nicht die hinreichende Kraft und Friſche entgegen, den falſchen
Ueberſchuß der Reflexion fühlt man nirgends mehr, als auf dieſem Gebiete. —
Statt alles Weiteren beſchränken wir uns hier, auf das treffliche Werk von
Ed. Devrient: „Die Geſch. d. deutſchen Schauſpielkunſt“ zu verweiſen.
§. 922.
Die Schauſpielkunſt ſetzt die Bühne voraus: die Baukunſt, die Malerei
und als Stimmungsmittel die Muſik verbinden ſich mit ihr und es entſteht
eine Vereinigung aller Künſte, in welcher die Poeſie der beſtimmende Mittel-
punct iſt (vergl. §. 544 3.). So kehrt denn dieſe zu der bildenden Kunſt im
eigentlichen Sinn, hiemit die geſammte Kunſt auf ihrer Spitze zur Unmittel-
barkeit zurück und erreicht hiedurch eine äſthetiſche Wirkung auf die Gemüther,
welche auch zu einer ſittlich politiſchen Macht wird.
Der ganze Inhalt unſerer Kunſtlehre erſpart uns eine Widerlegung der
R. Wagner’ſchen Theorie von einer Verbindung ſämmtlicher Künſte im
Theater, von einem Kunſtwerke, das Drama, Oper, Tanz und hiemit
lebendige Plaſtik, Gemälde und architektoniſche Schönheit gleichzeitig in der
Art ſein ſoll, daß wenigſtens die erſteren dieſer Künſte zu gleichen Theilen
in der Verbindung wiegen. Jede Kunſt hat das ganze Schöne auf ihre
Weiſe und es gibt daher keine andere richtige Verbindung von Künſten,
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