Thatsache vorgetragen (Fabel des Menenius Agrippa) oder war Theil eines größeren Gedichts und dieser Zusammenhang gab von selbst die Beziehung, den Sinn (vergl. Hertzberg a. a. O. S. 128, dessen scharfsinniger Unter- suchung wir überhaupt in diesen Erörterungen folgen). Erst die historische Aufbewahrung, die Nachahmung in der Kunstpoesie hat sie vereinzelt, ihr diese Beziehung genommen und dafür das ausdrückliche fabula docet auf- gedrängt. Dadurch ist sie zugleich um ihren Grundzug, die Naivetät ge- kommen und selbst Lessing konnte epigrammatische Kürze mit kindlicher Ein- fachheit verwechseln. Es mag eine witzige, pointirte, satyrische Fabel berechtigt sein, aber sie ist ein später, moderner Ableger der wahren. Diese ist Eigen- thum des frischen Auges, das die Natur liebevoll und unbefangen belauscht, das Thierleben nicht in der Studirstube, sondern in Wald und Feld, Stall und Hof beobachtet hat. Die Fabel ist im besten Sinne ein Stück rechter Bauern-Poesie. Daher ist sie auch nicht eigentlich ethisch; die Bauernklug- heit entnimmt praktische Sätze, Regeln des Lebensverstands aus dem ver- wandten Naturleben, namentlich aus dem Egoismus, der Sinnlichkeit, der List des Thieres. -- Parabel und Fabel sind demgemäß von so ursprüng- lichem Charakter, daß wir sie zu jenen unbefangenen, altehrwürdigen Urfor- men der Lehr-Poesie hätten stellen müssen, wenn sie nicht doch durch die Isolirung einer einzelnen Lebenswahrheit sich von einem Gebiete sonderten, das noch im großen, monumentalen Zusammenhange des mythischen Glau- bens und seiner Phantasiewelt liegt. -- Auf einen größeren Zusammenhang anderer Art weist allerdings die Fabel hin. Dieß ist die Thiersage. Sie belauscht die Thiere und hebt wie die Fabel das Menschenähnliche ihres Thuns in die Form des wirklichen Bewußtseins, der Sprache, allein sie hat nicht daneben den Menschen im Auge, um, was sie an den Thieren be- obachtet, nun mit Lehr-Absicht auf ihn zu beziehen, das Interesse bleibt ihnen ungetheilt und sie werden zu freien, selbständigen Wesen, Personen für sich, wie in der Heldensage die Helden, daher auch mit Eigennamen, die ursprüng- lich Charakterbezeichnungen sind, wie diese ausgestattet. Es ist daher natür- lich, daß die Hauptpersonen freie Waldthiere sind, Raubthiere von fest aus- gesprochenem typischen Charakter, und die Thiersage weist auf die ältesten Zeiten des deutschen Volkes, dem sie ausschließlich eigen ist, auf frisches Wald- und Jägerleben zurück, das "die Heimlichkeit der Thierwelt" belauschte, sie athmet "Waldgeruch" (J. Grimm. Reinhart Fuchs Einl.). Nun kann aber der Mensch, der ein so nahe Verwandtes in der Natur liebend beobachtet und dichtend umbildet, nicht völlig sich selbst neben dem Gegen- stande vergessen; er kann nicht dauernd in das Thier den Menschen ganz hineinsehen; der Mensch ist außerdem noch da und die Hinüberziehung muß eintreten, es muß einleuchten, daß ja dieß Alles ein sprechendes Bild des Menschenlebens ist; das Bewußtsein der Beziehung wächst mit dem
Thatſache vorgetragen (Fabel des Menenius Agrippa) oder war Theil eines größeren Gedichts und dieſer Zuſammenhang gab von ſelbſt die Beziehung, den Sinn (vergl. Hertzberg a. a. O. S. 128, deſſen ſcharfſinniger Unter- ſuchung wir überhaupt in dieſen Erörterungen folgen). Erſt die hiſtoriſche Aufbewahrung, die Nachahmung in der Kunſtpoeſie hat ſie vereinzelt, ihr dieſe Beziehung genommen und dafür das ausdrückliche fabula docet auf- gedrängt. Dadurch iſt ſie zugleich um ihren Grundzug, die Naivetät ge- kommen und ſelbſt Leſſing konnte epigrammatiſche Kürze mit kindlicher Ein- fachheit verwechſeln. Es mag eine witzige, pointirte, ſatyriſche Fabel berechtigt ſein, aber ſie iſt ein ſpäter, moderner Ableger der wahren. Dieſe iſt Eigen- thum des friſchen Auges, das die Natur liebevoll und unbefangen belauſcht, das Thierleben nicht in der Studirſtube, ſondern in Wald und Feld, Stall und Hof beobachtet hat. Die Fabel iſt im beſten Sinne ein Stück rechter Bauern-Poeſie. Daher iſt ſie auch nicht eigentlich ethiſch; die Bauernklug- heit entnimmt praktiſche Sätze, Regeln des Lebensverſtands aus dem ver- wandten Naturleben, namentlich aus dem Egoismus, der Sinnlichkeit, der Liſt des Thieres. — Parabel und Fabel ſind demgemäß von ſo urſprüng- lichem Charakter, daß wir ſie zu jenen unbefangenen, altehrwürdigen Urfor- men der Lehr-Poeſie hätten ſtellen müſſen, wenn ſie nicht doch durch die Iſolirung einer einzelnen Lebenswahrheit ſich von einem Gebiete ſonderten, das noch im großen, monumentalen Zuſammenhange des mythiſchen Glau- bens und ſeiner Phantaſiewelt liegt. — Auf einen größeren Zuſammenhang anderer Art weist allerdings die Fabel hin. Dieß iſt die Thierſage. Sie belauſcht die Thiere und hebt wie die Fabel das Menſchenähnliche ihres Thuns in die Form des wirklichen Bewußtſeins, der Sprache, allein ſie hat nicht daneben den Menſchen im Auge, um, was ſie an den Thieren be- obachtet, nun mit Lehr-Abſicht auf ihn zu beziehen, das Intereſſe bleibt ihnen ungetheilt und ſie werden zu freien, ſelbſtändigen Weſen, Perſonen für ſich, wie in der Heldenſage die Helden, daher auch mit Eigennamen, die urſprüng- lich Charakterbezeichnungen ſind, wie dieſe ausgeſtattet. Es iſt daher natür- lich, daß die Hauptperſonen freie Waldthiere ſind, Raubthiere von feſt aus- geſprochenem typiſchen Charakter, und die Thierſage weist auf die älteſten Zeiten des deutſchen Volkes, dem ſie ausſchließlich eigen iſt, auf friſches Wald- und Jägerleben zurück, das „die Heimlichkeit der Thierwelt“ belauſchte, ſie athmet „Waldgeruch“ (J. Grimm. Reinhart Fuchs Einl.). Nun kann aber der Menſch, der ein ſo nahe Verwandtes in der Natur liebend beobachtet und dichtend umbildet, nicht völlig ſich ſelbſt neben dem Gegen- ſtande vergeſſen; er kann nicht dauernd in das Thier den Menſchen ganz hineinſehen; der Menſch iſt außerdem noch da und die Hinüberziehung muß eintreten, es muß einleuchten, daß ja dieß Alles ein ſprechendes Bild des Menſchenlebens iſt; das Bewußtſein der Beziehung wächst mit dem
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Thatſache vorgetragen (Fabel des Menenius Agrippa) oder war Theil eines
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den Sinn (vergl. Hertzberg a. a. O. S. 128, deſſen ſcharfſinniger Unter-
ſuchung wir überhaupt in dieſen Erörterungen folgen). Erſt die hiſtoriſche
Aufbewahrung, die Nachahmung in der Kunſtpoeſie hat ſie vereinzelt, ihr
dieſe Beziehung genommen und dafür das ausdrückliche fabula docet auf-
gedrängt. Dadurch iſt ſie zugleich um ihren Grundzug, die Naivetät ge-
kommen und ſelbſt Leſſing konnte epigrammatiſche Kürze mit kindlicher Ein-
fachheit verwechſeln. Es mag eine witzige, pointirte, ſatyriſche Fabel berechtigt
ſein, aber ſie iſt ein ſpäter, moderner Ableger der wahren. Dieſe iſt Eigen-
thum des friſchen Auges, das die Natur liebevoll und unbefangen belauſcht,
das Thierleben nicht in der Studirſtube, ſondern in Wald und Feld, Stall
und Hof beobachtet hat. Die Fabel iſt im beſten Sinne ein Stück rechter
Bauern-Poeſie. Daher iſt ſie auch nicht eigentlich ethiſch; die Bauernklug-
heit entnimmt praktiſche Sätze, Regeln des Lebensverſtands aus dem ver-
wandten Naturleben, namentlich aus dem Egoismus, der Sinnlichkeit, der
Liſt des Thieres. — Parabel und Fabel ſind demgemäß von ſo urſprüng-
lichem Charakter, daß wir ſie zu jenen unbefangenen, altehrwürdigen Urfor-
men der Lehr-Poeſie hätten ſtellen müſſen, wenn ſie nicht doch durch die
Iſolirung einer einzelnen Lebenswahrheit ſich von einem Gebiete ſonderten,
das noch im großen, monumentalen Zuſammenhange des mythiſchen Glau-
bens und ſeiner Phantaſiewelt liegt. — Auf einen größeren Zuſammenhang
anderer Art weist allerdings die Fabel hin. Dieß iſt die Thierſage.
Sie belauſcht die Thiere und hebt wie die Fabel das Menſchenähnliche ihres
Thuns in die Form des wirklichen Bewußtſeins, der Sprache, allein ſie hat
nicht daneben den Menſchen im Auge, um, was ſie an den Thieren be-
obachtet, nun mit Lehr-Abſicht auf ihn zu beziehen, das Intereſſe bleibt ihnen
ungetheilt und ſie werden zu freien, ſelbſtändigen Weſen, Perſonen für ſich,
wie in der Heldenſage die Helden, daher auch mit Eigennamen, die urſprüng-
lich Charakterbezeichnungen ſind, wie dieſe ausgeſtattet. Es iſt daher natür-
lich, daß die Hauptperſonen freie Waldthiere ſind, Raubthiere von feſt aus-
geſprochenem typiſchen Charakter, und die Thierſage weist auf die älteſten
Zeiten des deutſchen Volkes, dem ſie ausſchließlich eigen iſt, auf friſches
Wald- und Jägerleben zurück, das „die Heimlichkeit der Thierwelt“ belauſchte,
ſie athmet „Waldgeruch“ (J. Grimm. Reinhart Fuchs Einl.). Nun kann
aber der Menſch, der ein ſo nahe Verwandtes in der Natur liebend
beobachtet und dichtend umbildet, nicht völlig ſich ſelbſt neben dem Gegen-
ſtande vergeſſen; er kann nicht dauernd in das Thier den Menſchen ganz
hineinſehen; der Menſch iſt außerdem noch da und die Hinüberziehung
muß eintreten, es muß einleuchten, daß ja dieß Alles ein ſprechendes Bild
des Menſchenlebens iſt; das Bewußtſein der Beziehung wächst mit dem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/331>, abgerufen am 21.11.2024.
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