Widerspruch, denn was durch die Verhüllung vor dem äußern Sinne ge- schwächt wird, ist eben nicht das Furchtbare, sondern das Häßliche, das zu sehr als solches sich zu fühlen gibt, um sich in das Furchtbare poetisch auf- zulösen, wenn diese Schwächung nicht Statt findet. Unter Anderem wird es hiedurch möglich, selbst einen Sinnen-Eindruck zu vergegenwärtigen, in welchem das Häßliche recht eigentlich als ein Eckelhaftes auftritt: den Ge- stank; der Dichter kann diese apprehensive Wirkung als Hebel des Furcht- baren (z. B. mephitische Dünste der Flüsse der Unterwelt, verwesender Leich- name) so verwenden, daß der Eckel nur ein Mittel ist, Grauen zu wecken. Er kann aber auch, was den einen Sinn beleidigt, zugleich einem andern zu vernehmen geben, das Uebergewicht des Interesses im Sinne des Furcht- baren diesem zuschieben und so das Häßliche, was jenen verletzt, zu einem bloßen Moment herabsetzen: "wenn Virgil's Laokoon schreit, wenn fällt es dabei ein, daß ein großes Maul zum Schreien nöthig ist und daß dieses große Maul häßlich läßt? Genug daß: clamores horrendos ad sidera tollit ein erhabener Zug für das Gehör ist, mag er doch für das Gesicht sein, was er will" (Lessing Laok. Cap. 4). Hier dient also dem Dichter die gleich- zeitige Verbindung eines Zugs mit andern Zügen; das wichtigste Auflö- sungsmittel aber ist ihm natürlich das successive Fortrücken im Gegensatze gegen das Fixiren des Moments in der bildenden Kunst: das Bild, das schwebend am innern Sinne vorüberzieht, läßt sich unendlich leichter in die positive anderweitige Wirkung überleiten, die es, an sich häßlich, hervorrufen soll; der Laokoon schiene im Marmor unabläßig zu schreien, bei dem Dichter schreit er nur einen Augenblick (Lessing a. a. O. Cap. 3); wie aber ein solcher weitgeöffneter Mund auf die Leinwand gefesselt sich ausnimmt, kann man an dem gekreuzigten Petrus von Rubens in Köln sehen. Es ist schon in der Lehre von der Bildnerkunst gezeigt worden, daß Lessing Unrecht hat, wenn er der bildenden Kunst (obwohl er im Allgemeinen natürlich zugibt, daß sie die Bewegung errathen lassen, daß sie Handlungen andeutungs- weise durch Körper ausdrücken kann), doch das entschieden Transitorische verschließt, vergl. §. 613 und 623; zu dem letztern §. ist der Satz aufge- stellt: verboten ist nicht das Augenblickliche an sich, sondern das, dessen Anblick nur einen Augenblick erträglich ist. Auch Frauenstädt (Aesth. Fragen XIV) weist nach, daß Lessing hier die Form des dargestellten Ge- genstandes und die Natur des Materials, worin dargestellt wird, miteinander verwechselt, indem die Fixirung im dauernden Materiale keineswegs die ab- gebildete Bewegung in räumliche Dauer verwandelt, also z. B. der fliegende Vogel darum, weil sein Bild auf der Leinwand festhaftet, keineswegs zu einem ruhenden wird. Nur fehlt er dann selbst gegen die Logik, wenn er sagt, in der Poesie werden gewisse Darstellungen, welche nicht wegen ihrer Bewegtheit an sich, sondern wegen der grellen Art derselben aus der Sculptur
Widerſpruch, denn was durch die Verhüllung vor dem äußern Sinne ge- ſchwächt wird, iſt eben nicht das Furchtbare, ſondern das Häßliche, das zu ſehr als ſolches ſich zu fühlen gibt, um ſich in das Furchtbare poetiſch auf- zulöſen, wenn dieſe Schwächung nicht Statt findet. Unter Anderem wird es hiedurch möglich, ſelbſt einen Sinnen-Eindruck zu vergegenwärtigen, in welchem das Häßliche recht eigentlich als ein Eckelhaftes auftritt: den Ge- ſtank; der Dichter kann dieſe apprehenſive Wirkung als Hebel des Furcht- baren (z. B. mephitiſche Dünſte der Flüſſe der Unterwelt, verweſender Leich- name) ſo verwenden, daß der Eckel nur ein Mittel iſt, Grauen zu wecken. Er kann aber auch, was den einen Sinn beleidigt, zugleich einem andern zu vernehmen geben, das Uebergewicht des Intereſſes im Sinne des Furcht- baren dieſem zuſchieben und ſo das Häßliche, was jenen verletzt, zu einem bloßen Moment herabſetzen: „wenn Virgil’s Laokoon ſchreit, wenn fällt es dabei ein, daß ein großes Maul zum Schreien nöthig iſt und daß dieſes große Maul häßlich läßt? Genug daß: clamores horrendos ad sidera tollit ein erhabener Zug für das Gehör iſt, mag er doch für das Geſicht ſein, was er will“ (Leſſing Laok. Cap. 4). Hier dient alſo dem Dichter die gleich- zeitige Verbindung eines Zugs mit andern Zügen; das wichtigſte Auflö- ſungsmittel aber iſt ihm natürlich das ſucceſſive Fortrücken im Gegenſatze gegen das Fixiren des Moments in der bildenden Kunſt: das Bild, das ſchwebend am innern Sinne vorüberzieht, läßt ſich unendlich leichter in die poſitive anderweitige Wirkung überleiten, die es, an ſich häßlich, hervorrufen ſoll; der Laokoon ſchiene im Marmor unabläßig zu ſchreien, bei dem Dichter ſchreit er nur einen Augenblick (Leſſing a. a. O. Cap. 3); wie aber ein ſolcher weitgeöffneter Mund auf die Leinwand gefeſſelt ſich ausnimmt, kann man an dem gekreuzigten Petrus von Rubens in Köln ſehen. Es iſt ſchon in der Lehre von der Bildnerkunſt gezeigt worden, daß Leſſing Unrecht hat, wenn er der bildenden Kunſt (obwohl er im Allgemeinen natürlich zugibt, daß ſie die Bewegung errathen laſſen, daß ſie Handlungen andeutungs- weiſe durch Körper ausdrücken kann), doch das entſchieden Tranſitoriſche verſchließt, vergl. §. 613 und 623; zu dem letztern §. iſt der Satz aufge- ſtellt: verboten iſt nicht das Augenblickliche an ſich, ſondern das, deſſen Anblick nur einen Augenblick erträglich iſt. Auch Frauenſtädt (Aeſth. Fragen XIV) weist nach, daß Leſſing hier die Form des dargeſtellten Ge- genſtandes und die Natur des Materials, worin dargeſtellt wird, miteinander verwechſelt, indem die Fixirung im dauernden Materiale keineswegs die ab- gebildete Bewegung in räumliche Dauer verwandelt, alſo z. B. der fliegende Vogel darum, weil ſein Bild auf der Leinwand feſthaftet, keineswegs zu einem ruhenden wird. Nur fehlt er dann ſelbſt gegen die Logik, wenn er ſagt, in der Poeſie werden gewiſſe Darſtellungen, welche nicht wegen ihrer Bewegtheit an ſich, ſondern wegen der grellen Art derſelben aus der Sculptur
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[1188/0052]
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zulöſen, wenn dieſe Schwächung nicht Statt findet. Unter Anderem wird
es hiedurch möglich, ſelbſt einen Sinnen-Eindruck zu vergegenwärtigen, in
welchem das Häßliche recht eigentlich als ein Eckelhaftes auftritt: den Ge-
ſtank; der Dichter kann dieſe apprehenſive Wirkung als Hebel des Furcht-
baren (z. B. mephitiſche Dünſte der Flüſſe der Unterwelt, verweſender Leich-
name) ſo verwenden, daß der Eckel nur ein Mittel iſt, Grauen zu wecken.
Er kann aber auch, was den einen Sinn beleidigt, zugleich einem andern
zu vernehmen geben, das Uebergewicht des Intereſſes im Sinne des Furcht-
baren dieſem zuſchieben und ſo das Häßliche, was jenen verletzt, zu einem
bloßen Moment herabſetzen: „wenn Virgil’s Laokoon ſchreit, wenn fällt es
dabei ein, daß ein großes Maul zum Schreien nöthig iſt und daß dieſes große
Maul häßlich läßt? Genug daß: clamores horrendos ad sidera tollit ein
erhabener Zug für das Gehör iſt, mag er doch für das Geſicht ſein, was
er will“ (Leſſing Laok. Cap. 4). Hier dient alſo dem Dichter die gleich-
zeitige Verbindung eines Zugs mit andern Zügen; das wichtigſte Auflö-
ſungsmittel aber iſt ihm natürlich das ſucceſſive Fortrücken im Gegenſatze
gegen das Fixiren des Moments in der bildenden Kunſt: das Bild, das
ſchwebend am innern Sinne vorüberzieht, läßt ſich unendlich leichter in die
poſitive anderweitige Wirkung überleiten, die es, an ſich häßlich, hervorrufen
ſoll; der Laokoon ſchiene im Marmor unabläßig zu ſchreien, bei dem Dichter
ſchreit er nur einen Augenblick (Leſſing a. a. O. Cap. 3); wie aber ein
ſolcher weitgeöffneter Mund auf die Leinwand gefeſſelt ſich ausnimmt, kann
man an dem gekreuzigten Petrus von Rubens in Köln ſehen. Es iſt ſchon
in der Lehre von der Bildnerkunſt gezeigt worden, daß Leſſing Unrecht hat,
wenn er der bildenden Kunſt (obwohl er im Allgemeinen natürlich zugibt,
daß ſie die Bewegung errathen laſſen, daß ſie Handlungen andeutungs-
weiſe durch Körper ausdrücken kann), doch das entſchieden Tranſitoriſche
verſchließt, vergl. §. 613 und 623; zu dem letztern §. iſt der Satz aufge-
ſtellt: verboten iſt nicht das Augenblickliche an ſich, ſondern das, deſſen
Anblick nur einen Augenblick erträglich iſt. Auch Frauenſtädt (Aeſth.
Fragen XIV) weist nach, daß Leſſing hier die Form des dargeſtellten Ge-
genſtandes und die Natur des Materials, worin dargeſtellt wird, miteinander
verwechſelt, indem die Fixirung im dauernden Materiale keineswegs die ab-
gebildete Bewegung in räumliche Dauer verwandelt, alſo z. B. der fliegende
Vogel darum, weil ſein Bild auf der Leinwand feſthaftet, keineswegs zu
einem ruhenden wird. Nur fehlt er dann ſelbſt gegen die Logik, wenn er
ſagt, in der Poeſie werden gewiſſe Darſtellungen, welche nicht wegen ihrer
Bewegtheit an ſich, ſondern wegen der grellen Art derſelben aus der Sculptur
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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