Dichtern eine Grundlage tüchtiger Nüchternheit, gesunder Trockenheit finden; ohne diese herbe Wurzel schwebt die Phantasie taumelnd in der Luft. Ist nur das Ganze poetisch empfangen und empfunden, so mag es im Uebrigen gut schlicht und natürlich hergehen. Man sehe z. B. wie außerordentlich einfach die Begebenheit in der Braut von Corinth erzählt ist; eine Menge von Wendungen kommen vor, die unsere Bilderüberwürzten, in jedem Wort aufgestelzten modernen Lyriker als platt und prosaisch verachten würden, aber welcher Stimmungshauch zittert über den einfachen Worten, wie düster spannend, bebend schreitet die Handlung fort, wie ist Alles geschaut! Wenn im Drama ein Charakter wie leibhaftig geschaffen ist, hat er dann nöthig, in jeder einzelnen Rede den Mund voll zu nehmen? Der epische Dichter, wenn er zu viele ausdrückliche Anstalten trifft, sein inneres Bild vor unsere Anschauung zu bringen, fällt in jenes Malen, das wir als Vergehen gegen den poetischen Styl in §. 847 aufgezeigt haben. Einfachheit darf freilich nie mit Dürftigkeit verwechselt werden; das deutsche Epos mit seinen trockenen Farben, seiner unentwickelten Intention der Anschauung gibt ein Beispiel. Selbst den Durchbruch reicherer Fülle, prachtvoller Bilder-Häufungen schließt das Gesetz der Sparsamkeit nicht aus; wo immer Sache und Stimmung den Begriff des Vollen und Ergiebigen mit sich führen, muß auch die Sprache sprudeln. Man vergegenwärtige sich z. B. Shakespeare's Pracht- stelle voll Ueberschwall der Bilder in Heinrich IV, Abtheil. 1, Aufzug 4, Sc. 1: "Ganz rüstig, ganz in Waffen" u. s. w.; hier mußte, um ein in strotzendem Kraftgefühl und jugendlicher Kriegeslust heranwimmelndes Heer zu schildern, auch der Ausdruck strotzen und wimmeln. Die Komik ohne- dieß fordert stellenweis ihre verschwenderischen Witzspiele. Geht aber der Dichter zu ausdrücklich auf die einzelnen Schönheiten, so wird er sie auch in der Quantität ohne wahres Motiv steigern. Es ist vorzüglich die Ueber- fülle derselben, was Argwohn gegen die innere Poesie des Ganzen erregt. Die ganze orientalische Dichtung häuft die Pracht des Einzelnen in dem Grade, in welchem das innere Verhältniß zwischen Idee und Bild nicht das organisch ästhetische ist; sie schlägt dem symbolischen, ästhetisch dürftigeren Kern einen um so reicheren, mit Bilderbrillanten besäten Mantel um. Schiller's zu glänzender Jambenstrom verräth einen innern Mangel seiner poetischen Be- gabung, wo er nicht durch feurige Energie im speziellen Zusammenhange motivirt ist. In seiner Jugendpoesie geht die Uebersättigung des Styls vielfach bis zur Absurdität der euphuistischen Phrasen und concetti, aber er hat sich geläutert und wie tief er theoretisch das Richtige erkannte, zeigt Nro. 377 im Briefwechsel mit Göthe, wo er den folgereichen Satz von einem gewissen Antagonismus zwischen Inhalt und Darstellung ausspricht: sei der Inhalt bedeutend, so könne eine magere Darstellung ihm recht wohl anstehen, wogegen ein unpoetischer, gemeiner Inhalt, wie er in einem größeren
Dichtern eine Grundlage tüchtiger Nüchternheit, geſunder Trockenheit finden; ohne dieſe herbe Wurzel ſchwebt die Phantaſie taumelnd in der Luft. Iſt nur das Ganze poetiſch empfangen und empfunden, ſo mag es im Uebrigen gut ſchlicht und natürlich hergehen. Man ſehe z. B. wie außerordentlich einfach die Begebenheit in der Braut von Corinth erzählt iſt; eine Menge von Wendungen kommen vor, die unſere Bilderüberwürzten, in jedem Wort aufgeſtelzten modernen Lyriker als platt und proſaiſch verachten würden, aber welcher Stimmungshauch zittert über den einfachen Worten, wie düſter ſpannend, bebend ſchreitet die Handlung fort, wie iſt Alles geſchaut! Wenn im Drama ein Charakter wie leibhaftig geſchaffen iſt, hat er dann nöthig, in jeder einzelnen Rede den Mund voll zu nehmen? Der epiſche Dichter, wenn er zu viele ausdrückliche Anſtalten trifft, ſein inneres Bild vor unſere Anſchauung zu bringen, fällt in jenes Malen, das wir als Vergehen gegen den poetiſchen Styl in §. 847 aufgezeigt haben. Einfachheit darf freilich nie mit Dürftigkeit verwechſelt werden; das deutſche Epos mit ſeinen trockenen Farben, ſeiner unentwickelten Intention der Anſchauung gibt ein Beiſpiel. Selbſt den Durchbruch reicherer Fülle, prachtvoller Bilder-Häufungen ſchließt das Geſetz der Sparſamkeit nicht aus; wo immer Sache und Stimmung den Begriff des Vollen und Ergiebigen mit ſich führen, muß auch die Sprache ſprudeln. Man vergegenwärtige ſich z. B. Shakespeare’s Pracht- ſtelle voll Ueberſchwall der Bilder in Heinrich IV, Abtheil. 1, Aufzug 4, Sc. 1: „Ganz rüſtig, ganz in Waffen“ u. ſ. w.; hier mußte, um ein in ſtrotzendem Kraftgefühl und jugendlicher Kriegesluſt heranwimmelndes Heer zu ſchildern, auch der Ausdruck ſtrotzen und wimmeln. Die Komik ohne- dieß fordert ſtellenweis ihre verſchwenderiſchen Witzſpiele. Geht aber der Dichter zu ausdrücklich auf die einzelnen Schönheiten, ſo wird er ſie auch in der Quantität ohne wahres Motiv ſteigern. Es iſt vorzüglich die Ueber- fülle derſelben, was Argwohn gegen die innere Poeſie des Ganzen erregt. Die ganze orientaliſche Dichtung häuft die Pracht des Einzelnen in dem Grade, in welchem das innere Verhältniß zwiſchen Idee und Bild nicht das organiſch äſthetiſche iſt; ſie ſchlägt dem ſymboliſchen, äſthetiſch dürftigeren Kern einen um ſo reicheren, mit Bilderbrillanten beſäten Mantel um. Schiller’s zu glänzender Jambenſtrom verräth einen innern Mangel ſeiner poetiſchen Be- gabung, wo er nicht durch feurige Energie im ſpeziellen Zuſammenhange motivirt iſt. In ſeiner Jugendpoeſie geht die Ueberſättigung des Styls vielfach bis zur Abſurdität der euphuiſtiſchen Phraſen und concetti, aber er hat ſich geläutert und wie tief er theoretiſch das Richtige erkannte, zeigt Nro. 377 im Briefwechſel mit Göthe, wo er den folgereichen Satz von einem gewiſſen Antagoniſmus zwiſchen Inhalt und Darſtellung ausſpricht: ſei der Inhalt bedeutend, ſo könne eine magere Darſtellung ihm recht wohl anſtehen, wogegen ein unpoetiſcher, gemeiner Inhalt, wie er in einem größeren
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[1218/0082]
Dichtern eine Grundlage tüchtiger Nüchternheit, geſunder Trockenheit finden;
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nur das Ganze poetiſch empfangen und empfunden, ſo mag es im Uebrigen
gut ſchlicht und natürlich hergehen. Man ſehe z. B. wie außerordentlich
einfach die Begebenheit in der Braut von Corinth erzählt iſt; eine Menge
von Wendungen kommen vor, die unſere Bilderüberwürzten, in jedem
Wort aufgeſtelzten modernen Lyriker als platt und proſaiſch verachten würden,
aber welcher Stimmungshauch zittert über den einfachen Worten, wie düſter
ſpannend, bebend ſchreitet die Handlung fort, wie iſt Alles geſchaut! Wenn
im Drama ein Charakter wie leibhaftig geſchaffen iſt, hat er dann nöthig,
in jeder einzelnen Rede den Mund voll zu nehmen? Der epiſche Dichter,
wenn er zu viele ausdrückliche Anſtalten trifft, ſein inneres Bild vor unſere
Anſchauung zu bringen, fällt in jenes Malen, das wir als Vergehen gegen
den poetiſchen Styl in §. 847 aufgezeigt haben. Einfachheit darf freilich
nie mit Dürftigkeit verwechſelt werden; das deutſche Epos mit ſeinen trockenen
Farben, ſeiner unentwickelten Intention der Anſchauung gibt ein Beiſpiel.
Selbſt den Durchbruch reicherer Fülle, prachtvoller Bilder-Häufungen ſchließt
das Geſetz der Sparſamkeit nicht aus; wo immer Sache und Stimmung
den Begriff des Vollen und Ergiebigen mit ſich führen, muß auch die
Sprache ſprudeln. Man vergegenwärtige ſich z. B. Shakespeare’s Pracht-
ſtelle voll Ueberſchwall der Bilder in Heinrich IV, Abtheil. 1, Aufzug 4,
Sc. 1: „Ganz rüſtig, ganz in Waffen“ u. ſ. w.; hier mußte, um ein in
ſtrotzendem Kraftgefühl und jugendlicher Kriegesluſt heranwimmelndes Heer
zu ſchildern, auch der Ausdruck ſtrotzen und wimmeln. Die Komik ohne-
dieß fordert ſtellenweis ihre verſchwenderiſchen Witzſpiele. Geht aber der
Dichter zu ausdrücklich auf die einzelnen Schönheiten, ſo wird er ſie auch
in der Quantität ohne wahres Motiv ſteigern. Es iſt vorzüglich die Ueber-
fülle derſelben, was Argwohn gegen die innere Poeſie des Ganzen erregt.
Die ganze orientaliſche Dichtung häuft die Pracht des Einzelnen in dem Grade,
in welchem das innere Verhältniß zwiſchen Idee und Bild nicht das organiſch
äſthetiſche iſt; ſie ſchlägt dem ſymboliſchen, äſthetiſch dürftigeren Kern einen
um ſo reicheren, mit Bilderbrillanten beſäten Mantel um. Schiller’s zu
glänzender Jambenſtrom verräth einen innern Mangel ſeiner poetiſchen Be-
gabung, wo er nicht durch feurige Energie im ſpeziellen Zuſammenhange
motivirt iſt. In ſeiner Jugendpoeſie geht die Ueberſättigung des Styls
vielfach bis zur Abſurdität der euphuiſtiſchen Phraſen und concetti, aber
er hat ſich geläutert und wie tief er theoretiſch das Richtige erkannte, zeigt
Nro. 377 im Briefwechſel mit Göthe, wo er den folgereichen Satz von
einem gewiſſen Antagoniſmus zwiſchen Inhalt und Darſtellung ausſpricht:
ſei der Inhalt bedeutend, ſo könne eine magere Darſtellung ihm recht wohl
anſtehen, wogegen ein unpoetiſcher, gemeiner Inhalt, wie er in einem größeren
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/82>, abgerufen am 16.02.2025.
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