die Vergleichung. Das "Wie" oder "Gleichsam" ist eine Verwahrung vor der vorausgesetzten Prosa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und stürzt ebendaher in diese. Das Komische freilich nimmt die Prosa absichtlich auf und liebt darum die beschränkenden Redeformen (z. B. "Gottwalt be- gann mäßig zu erstarren"), und so werden sie poetisch verwendbar wie kümmerliche Körperformen malerisch, aber dieß bestätigt nur ihren negativen Charakter.
2. Es sind nun zuerst die einfachsten Mittel der Veranschaulichung zu betrachten. Die Poesie soll das Wort nicht als einen für die Phantasie todten Begriff liegen lassen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über- nommen wird, so liegt das nächste Mittel, seinen Begriff für die Phantasie zu beleben, in der Eigenschaftsbestimmung. Sie tritt hier wesentlich als Zusatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es handelt sich zunächst nicht um die Aussage, die durch den Satz erst erwachsen soll, sondern, noch abgesehen von dieser, um eine Entwicklung des Subjects an sich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will dieß sagen, ist aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß, was vom prosaischen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetischen wesentliche Aufthauung des im Wort erstarrten Bildes ist. Diese Aus- wicklung ist der Poesie so unentbehrlich, daß sie ihre Epitheta, natürlich vor Allem im epischen Gebiete, gern als stehende fixirt, und zwar keineswegs blos als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer's geflügeltes Wort, haupt- umlockte Achaier, langhinstreckender Tod lassen uns nie stumpf, so oft sie auch wiederkehren. Was schon mehrfach über das Gesetz der Einfachheit der Anschauungsmittel gesagt ist, das gilt nun sogleich auch vom Epitheton. In der neueren Poesie gibt namentlich Göthe's Hermann und Dorothea lehrreiche Beispiele. W. v. Humboldt (Aesth. Vers. Abschn. XXX) entwickelt treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, stark, gewaltig, bei der ersten Schilderung von Dorothea, wo wir sie die Stiere des Wagens lenken sehen, getragen vom großen poetischen Zusammenhang, ein ideales Bild vor uns aufbauen. Ebenso steht durch die Wirkung des Zusammen- hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: -- "des hohen wankenden Kornes, das die Durchschreitenden fast, die hohen Ge- stalten, erreichte," eine heroisch große Anschauung vor uns. Unsere Prosa hat sich so verwöhnt, mit starken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend ist, gegen die Feinheit der Wahl des schlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit fast abgestumpft sind; uns heißt Alles nur sogleich herrlich, schauerlich, glühend, strahlend, lachend u. s. w., wir fühlen kaum die Schönheit und Wirksamkeit der Adjective dunkel, sanft, blau, still, hoch im Anfang des
die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichſam“ iſt eine Verwahrung vor der vorausgeſetzten Proſa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und ſtürzt ebendaher in dieſe. Das Komiſche freilich nimmt die Proſa abſichtlich auf und liebt darum die beſchränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt be- gann mäßig zu erſtarren“), und ſo werden ſie poetiſch verwendbar wie kümmerliche Körperformen maleriſch, aber dieß beſtätigt nur ihren negativen Charakter.
2. Es ſind nun zuerſt die einfachſten Mittel der Veranſchaulichung zu betrachten. Die Poeſie ſoll das Wort nicht als einen für die Phantaſie todten Begriff liegen laſſen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über- nommen wird, ſo liegt das nächſte Mittel, ſeinen Begriff für die Phantaſie zu beleben, in der Eigenſchaftsbeſtimmung. Sie tritt hier weſentlich als Zuſatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es handelt ſich zunächſt nicht um die Ausſage, die durch den Satz erſt erwachſen ſoll, ſondern, noch abgeſehen von dieſer, um eine Entwicklung des Subjects an ſich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will dieß ſagen, iſt aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß, was vom proſaiſchen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetiſchen weſentliche Aufthauung des im Wort erſtarrten Bildes iſt. Dieſe Aus- wicklung iſt der Poeſie ſo unentbehrlich, daß ſie ihre Epitheta, natürlich vor Allem im epiſchen Gebiete, gern als ſtehende fixirt, und zwar keineswegs blos als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer’s geflügeltes Wort, haupt- umlockte Achaier, langhinſtreckender Tod laſſen uns nie ſtumpf, ſo oft ſie auch wiederkehren. Was ſchon mehrfach über das Geſetz der Einfachheit der Anſchauungsmittel geſagt iſt, das gilt nun ſogleich auch vom Epitheton. In der neueren Poeſie gibt namentlich Göthe’s Hermann und Dorothea lehrreiche Beiſpiele. W. v. Humboldt (Aeſth. Verſ. Abſchn. XXX) entwickelt treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, ſtark, gewaltig, bei der erſten Schilderung von Dorothea, wo wir ſie die Stiere des Wagens lenken ſehen, getragen vom großen poetiſchen Zuſammenhang, ein ideales Bild vor uns aufbauen. Ebenſo ſteht durch die Wirkung des Zuſammen- hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: — „des hohen wankenden Kornes, das die Durchſchreitenden faſt, die hohen Ge- ſtalten, erreichte,“ eine heroiſch große Anſchauung vor uns. Unſere Proſa hat ſich ſo verwöhnt, mit ſtarken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend iſt, gegen die Feinheit der Wahl des ſchlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit faſt abgeſtumpft ſind; uns heißt Alles nur ſogleich herrlich, ſchauerlich, glühend, ſtrahlend, lachend u. ſ. w., wir fühlen kaum die Schönheit und Wirkſamkeit der Adjective dunkel, ſanft, blau, ſtill, hoch im Anfang des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0085"n="1221"/>
die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichſam“ iſt eine Verwahrung vor<lb/>
der vorausgeſetzten Proſa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und<lb/>ſtürzt ebendaher in dieſe. Das Komiſche freilich nimmt die Proſa abſichtlich<lb/>
auf und liebt darum die beſchränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt be-<lb/>
gann mäßig zu erſtarren“), und ſo werden ſie poetiſch verwendbar wie<lb/>
kümmerliche Körperformen maleriſch, aber dieß beſtätigt nur ihren negativen<lb/>
Charakter.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Es ſind nun zuerſt die einfachſten Mittel der Veranſchaulichung zu<lb/>
betrachten. Die Poeſie ſoll das Wort nicht als einen für die Phantaſie<lb/>
todten Begriff liegen laſſen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes<lb/>
aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über-<lb/>
nommen wird, ſo liegt das nächſte Mittel, ſeinen Begriff für die Phantaſie<lb/>
zu beleben, in der Eigenſchaftsbeſtimmung. Sie tritt hier weſentlich als<lb/>
Zuſatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es<lb/>
handelt ſich zunächſt nicht um die Ausſage, die durch den Satz erſt erwachſen<lb/>ſoll, ſondern, noch abgeſehen von dieſer, um eine Entwicklung des Subjects<lb/>
an ſich für das innere Schauen. Die Bezeichnung <hirendition="#aq">epitheton ornans</hi> will<lb/>
dieß ſagen, iſt aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß,<lb/>
was vom proſaiſchen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetiſchen<lb/>
weſentliche Aufthauung des im Wort erſtarrten Bildes iſt. Dieſe Aus-<lb/>
wicklung iſt der Poeſie ſo unentbehrlich, daß ſie ihre Epitheta, natürlich vor<lb/>
Allem im epiſchen Gebiete, gern als ſtehende fixirt, und zwar keineswegs blos<lb/>
als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer’s geflügeltes Wort, haupt-<lb/>
umlockte Achaier, langhinſtreckender Tod laſſen uns nie ſtumpf, ſo oft ſie<lb/>
auch wiederkehren. Was ſchon mehrfach über das Geſetz der Einfachheit<lb/>
der Anſchauungsmittel geſagt iſt, das gilt nun ſogleich auch vom Epitheton.<lb/>
In der neueren Poeſie gibt namentlich Göthe’s Hermann und Dorothea<lb/>
lehrreiche Beiſpiele. W. v. Humboldt (Aeſth. Verſ. Abſchn. <hirendition="#aq">XXX</hi>) entwickelt<lb/>
treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, ſtark, gewaltig,<lb/>
bei der erſten Schilderung von Dorothea, wo wir ſie die Stiere des Wagens<lb/>
lenken ſehen, getragen vom großen poetiſchen Zuſammenhang, ein ideales<lb/>
Bild vor uns aufbauen. Ebenſo ſteht durch die Wirkung des Zuſammen-<lb/>
hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: —„des<lb/>
hohen wankenden Kornes, das die Durchſchreitenden faſt, die hohen Ge-<lb/>ſtalten, erreichte,“ eine heroiſch große Anſchauung vor uns. Unſere Proſa<lb/>
hat ſich ſo verwöhnt, mit ſtarken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß<lb/>
wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend iſt, gegen<lb/>
die Feinheit der Wahl des ſchlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit<lb/>
faſt abgeſtumpft ſind; uns heißt Alles nur ſogleich herrlich, ſchauerlich,<lb/>
glühend, ſtrahlend, lachend u. ſ. w., wir fühlen kaum die Schönheit und<lb/>
Wirkſamkeit der Adjective dunkel, ſanft, blau, ſtill, hoch im Anfang des<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[1221/0085]
die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichſam“ iſt eine Verwahrung vor
der vorausgeſetzten Proſa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle, und
ſtürzt ebendaher in dieſe. Das Komiſche freilich nimmt die Proſa abſichtlich
auf und liebt darum die beſchränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt be-
gann mäßig zu erſtarren“), und ſo werden ſie poetiſch verwendbar wie
kümmerliche Körperformen maleriſch, aber dieß beſtätigt nur ihren negativen
Charakter.
2. Es ſind nun zuerſt die einfachſten Mittel der Veranſchaulichung zu
betrachten. Die Poeſie ſoll das Wort nicht als einen für die Phantaſie
todten Begriff liegen laſſen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes
aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, über-
nommen wird, ſo liegt das nächſte Mittel, ſeinen Begriff für die Phantaſie
zu beleben, in der Eigenſchaftsbeſtimmung. Sie tritt hier weſentlich als
Zuſatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es
handelt ſich zunächſt nicht um die Ausſage, die durch den Satz erſt erwachſen
ſoll, ſondern, noch abgeſehen von dieſer, um eine Entwicklung des Subjects
an ſich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will
dieß ſagen, iſt aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß,
was vom proſaiſchen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetiſchen
weſentliche Aufthauung des im Wort erſtarrten Bildes iſt. Dieſe Aus-
wicklung iſt der Poeſie ſo unentbehrlich, daß ſie ihre Epitheta, natürlich vor
Allem im epiſchen Gebiete, gern als ſtehende fixirt, und zwar keineswegs blos
als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer’s geflügeltes Wort, haupt-
umlockte Achaier, langhinſtreckender Tod laſſen uns nie ſtumpf, ſo oft ſie
auch wiederkehren. Was ſchon mehrfach über das Geſetz der Einfachheit
der Anſchauungsmittel geſagt iſt, das gilt nun ſogleich auch vom Epitheton.
In der neueren Poeſie gibt namentlich Göthe’s Hermann und Dorothea
lehrreiche Beiſpiele. W. v. Humboldt (Aeſth. Verſ. Abſchn. XXX) entwickelt
treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, ſtark, gewaltig,
bei der erſten Schilderung von Dorothea, wo wir ſie die Stiere des Wagens
lenken ſehen, getragen vom großen poetiſchen Zuſammenhang, ein ideales
Bild vor uns aufbauen. Ebenſo ſteht durch die Wirkung des Zuſammen-
hangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: — „des
hohen wankenden Kornes, das die Durchſchreitenden faſt, die hohen Ge-
ſtalten, erreichte,“ eine heroiſch große Anſchauung vor uns. Unſere Proſa
hat ſich ſo verwöhnt, mit ſtarken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß
wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend iſt, gegen
die Feinheit der Wahl des ſchlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit
faſt abgeſtumpft ſind; uns heißt Alles nur ſogleich herrlich, ſchauerlich,
glühend, ſtrahlend, lachend u. ſ. w., wir fühlen kaum die Schönheit und
Wirkſamkeit der Adjective dunkel, ſanft, blau, ſtill, hoch im Anfang des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,5. Stuttgart, 1857, S. 1221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030205_1857/85>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.