Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Weib war mehr nur verwundert, die Natur ist ja
gut und bös, bös und gut durcheinander; sie hatte es
in unachtsamen Stunden werden lassen und machte
nun große Augen, wie es da war. Aber die Geister,
das Schandschlammprodukt, wütheten und beschlossen
furchtbare Rache. Sie schlüpften in die Objekte. --
Das Weitere wissen Sie, wissen, wie der Mensch nun
geschunden wird, was Alles ihm über den Weg rennt,
wenn er mitten im besten, im vernünftigsten, im zweck¬
mäßigsten Thun begriffen ist, wissen, wie er in Allem
tückisch durchkreuzt, durchbrochen, das Hackbrett ist, wor¬
auf kichernd, hohnlachend die bösen Geister spielen.
Es ist nur noch beizubringen, daß es ungenau gesprochen
ist, wenn man das besessene Objekt anschuldigt, statt
den besitzenden Dämon. Dieß ist nur sprach- und
phantasiegemäß; man kann nicht allemal zwei nennen."

"Aber Sie waren eigentlich an der Geschichte."

"Ja so, ja! Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid, Hu¬
manität -- wenn sie gründlich geschrieben würde.
Wenn ein braver, wenn ein gescheuter, wenn ein
großer Mann unsinnig, zweckwidrig, unrecht handelt,
schwächlich unterläßt, wenn ein Redner, wenn ein
Denker sich in unbegreifliche Widersprüche verwickelt:
wissen wir denn, ob ihm nicht ein Knopf an den
Hosen gerissen war? Wer kann Vernunft bewahren
in diesem Zustand? Ob ihm nicht der Katarrh ein
teuflisches Haarseil durch den Schlund zog, sein Ge¬

Weib war mehr nur verwundert, die Natur iſt ja
gut und bös, bös und gut durcheinander; ſie hatte es
in unachtſamen Stunden werden laſſen und machte
nun große Augen, wie es da war. Aber die Geiſter,
das Schandſchlammprodukt, wütheten und beſchloſſen
furchtbare Rache. Sie ſchlüpften in die Objekte. —
Das Weitere wiſſen Sie, wiſſen, wie der Menſch nun
geſchunden wird, was Alles ihm über den Weg rennt,
wenn er mitten im beſten, im vernünftigſten, im zweck¬
mäßigſten Thun begriffen iſt, wiſſen, wie er in Allem
tückiſch durchkreuzt, durchbrochen, das Hackbrett iſt, wor¬
auf kichernd, hohnlachend die böſen Geiſter ſpielen.
Es iſt nur noch beizubringen, daß es ungenau geſprochen
iſt, wenn man das beſeſſene Objekt anſchuldigt, ſtatt
den beſitzenden Dämon. Dieß iſt nur ſprach- und
phantaſiegemäß; man kann nicht allemal zwei nennen.“

„Aber Sie waren eigentlich an der Geſchichte.“

„Ja ſo, ja! Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid, Hu¬
manität — wenn ſie gründlich geſchrieben würde.
Wenn ein braver, wenn ein geſcheuter, wenn ein
großer Mann unſinnig, zweckwidrig, unrecht handelt,
ſchwächlich unterläßt, wenn ein Redner, wenn ein
Denker ſich in unbegreifliche Widerſprüche verwickelt:
wiſſen wir denn, ob ihm nicht ein Knopf an den
Hoſen geriſſen war? Wer kann Vernunft bewahren
in dieſem Zuſtand? Ob ihm nicht der Katarrh ein
teufliſches Haarſeil durch den Schlund zog, ſein Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0107" n="94"/>
Weib war mehr nur verwundert, die Natur i&#x017F;t ja<lb/>
gut und bös, bös und gut durcheinander; &#x017F;ie hatte es<lb/>
in unacht&#x017F;amen Stunden werden la&#x017F;&#x017F;en und machte<lb/>
nun große Augen, wie es da war. Aber die Gei&#x017F;ter,<lb/>
das Schand&#x017F;chlammprodukt, wütheten und be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
furchtbare Rache. Sie &#x017F;chlüpften in die Objekte. &#x2014;<lb/>
Das Weitere wi&#x017F;&#x017F;en Sie, wi&#x017F;&#x017F;en, wie der Men&#x017F;ch nun<lb/>
ge&#x017F;chunden wird, was Alles ihm über den Weg rennt,<lb/>
wenn er mitten im be&#x017F;ten, im vernünftig&#x017F;ten, im zweck¬<lb/>
mäßig&#x017F;ten Thun begriffen i&#x017F;t, wi&#x017F;&#x017F;en, wie er in Allem<lb/>
tücki&#x017F;ch durchkreuzt, durchbrochen, das Hackbrett i&#x017F;t, wor¬<lb/>
auf kichernd, hohnlachend die bö&#x017F;en Gei&#x017F;ter &#x017F;pielen.<lb/>
Es i&#x017F;t nur noch beizubringen, daß es ungenau ge&#x017F;prochen<lb/>
i&#x017F;t, wenn man das be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ene Objekt an&#x017F;chuldigt, &#x017F;tatt<lb/>
den be&#x017F;itzenden Dämon. Dieß i&#x017F;t nur &#x017F;prach- und<lb/>
phanta&#x017F;iegemäß; man kann nicht allemal zwei nennen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber Sie waren eigentlich an der Ge&#x017F;chichte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja &#x017F;o, ja! Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid, Hu¬<lb/>
manität &#x2014; wenn &#x017F;ie gründlich ge&#x017F;chrieben würde.<lb/>
Wenn ein braver, wenn ein ge&#x017F;cheuter, wenn ein<lb/>
großer Mann un&#x017F;innig, zweckwidrig, unrecht handelt,<lb/>
&#x017F;chwächlich unterläßt, wenn ein Redner, wenn ein<lb/>
Denker &#x017F;ich in unbegreifliche Wider&#x017F;prüche verwickelt:<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en wir denn, ob ihm nicht ein Knopf an den<lb/>
Ho&#x017F;en geri&#x017F;&#x017F;en war? Wer kann Vernunft bewahren<lb/>
in die&#x017F;em Zu&#x017F;tand? Ob ihm nicht der Katarrh ein<lb/>
teufli&#x017F;ches Haar&#x017F;eil durch den Schlund zog, &#x017F;ein Ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0107] Weib war mehr nur verwundert, die Natur iſt ja gut und bös, bös und gut durcheinander; ſie hatte es in unachtſamen Stunden werden laſſen und machte nun große Augen, wie es da war. Aber die Geiſter, das Schandſchlammprodukt, wütheten und beſchloſſen furchtbare Rache. Sie ſchlüpften in die Objekte. — Das Weitere wiſſen Sie, wiſſen, wie der Menſch nun geſchunden wird, was Alles ihm über den Weg rennt, wenn er mitten im beſten, im vernünftigſten, im zweck¬ mäßigſten Thun begriffen iſt, wiſſen, wie er in Allem tückiſch durchkreuzt, durchbrochen, das Hackbrett iſt, wor¬ auf kichernd, hohnlachend die böſen Geiſter ſpielen. Es iſt nur noch beizubringen, daß es ungenau geſprochen iſt, wenn man das beſeſſene Objekt anſchuldigt, ſtatt den beſitzenden Dämon. Dieß iſt nur ſprach- und phantaſiegemäß; man kann nicht allemal zwei nennen.“ „Aber Sie waren eigentlich an der Geſchichte.“ „Ja ſo, ja! Billigkeit, Gerechtigkeit, Mitleid, Hu¬ manität — wenn ſie gründlich geſchrieben würde. Wenn ein braver, wenn ein geſcheuter, wenn ein großer Mann unſinnig, zweckwidrig, unrecht handelt, ſchwächlich unterläßt, wenn ein Redner, wenn ein Denker ſich in unbegreifliche Widerſprüche verwickelt: wiſſen wir denn, ob ihm nicht ein Knopf an den Hoſen geriſſen war? Wer kann Vernunft bewahren in dieſem Zuſtand? Ob ihm nicht der Katarrh ein teufliſches Haarſeil durch den Schlund zog, ſein Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/107
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/107>, abgerufen am 18.05.2024.