nicht genug athmen und die ganz verschwollene Nase ver¬ sagt völlig den Luftdurchgang; er ist am Ersticken; da, in der Wuth, in diesem Krampf des Lebens, diesem rasenden Sieden des Gehirns wird er zum Teufel: soll ich ersticken, so sollst du es auch, so denkt er; das Schnupftuch! das Schnupftuch! Dieser Ausruf -- (er hat das seinige offenbar verlegt) -- zeigt an, mit welchen Objekten seine tollgewordene Phantasie sich einzig noch beschäftigt, und jetzt -- erwürgt er Des¬ demona. In diesem Sinn und in diesem allein richtig aufgefaßt, haben wir im Othello die Tragödie aller Tragödien, die erste, vollkommenste, ergreifendste Dich¬ tung aller Zeiten. Da erst muß jedes Herz klopfen, jede Lippe seufzen: o, was ist Menschengröße, Men¬ schenruhm! O, sehen Sie," fuhr er heftiger fort, -- "ich selbst -- an wie viel Gutem haben mich die Katarrh-Teufel verhindert, aber zum Bösen, zum Grauenhaften -- ja dazu -- damals -- damals -- o man bedarf Nachsicht --"
Er stockte, besann und faßte sich und fuhr ganz nüchtern fort, es falle ihm übrigens nicht ein, irgend Jemand zu vergöttern. Von den bekannten Flecken Shakespeare's -- Absurditäten, Rohheiten -- wolle er jetzt nicht reden, sondern nur bemerken, daß es ihm widerfahren könne, gerade in dem Punkte zu fehlen, worin doch seine wahre Größe bestehe. Er mache auf eine schwere Unterlassung im König Lear auf¬
nicht genug athmen und die ganz verſchwollene Naſe ver¬ ſagt völlig den Luftdurchgang; er iſt am Erſticken; da, in der Wuth, in dieſem Krampf des Lebens, dieſem raſenden Sieden des Gehirns wird er zum Teufel: ſoll ich erſticken, ſo ſollſt du es auch, ſo denkt er; das Schnupftuch! das Schnupftuch! Dieſer Ausruf — (er hat das ſeinige offenbar verlegt) — zeigt an, mit welchen Objekten ſeine tollgewordene Phantaſie ſich einzig noch beſchäftigt, und jetzt — erwürgt er Des¬ demona. In dieſem Sinn und in dieſem allein richtig aufgefaßt, haben wir im Othello die Tragödie aller Tragödien, die erſte, vollkommenſte, ergreifendſte Dich¬ tung aller Zeiten. Da erſt muß jedes Herz klopfen, jede Lippe ſeufzen: o, was iſt Menſchengröße, Men¬ ſchenruhm! O, ſehen Sie,“ fuhr er heftiger fort, — „ich ſelbſt — an wie viel Gutem haben mich die Katarrh-Teufel verhindert, aber zum Böſen, zum Grauenhaften — ja dazu — damals — damals — o man bedarf Nachſicht —“
Er ſtockte, beſann und faßte ſich und fuhr ganz nüchtern fort, es falle ihm übrigens nicht ein, irgend Jemand zu vergöttern. Von den bekannten Flecken Shakeſpeare's — Abſurditäten, Rohheiten — wolle er jetzt nicht reden, ſondern nur bemerken, daß es ihm widerfahren könne, gerade in dem Punkte zu fehlen, worin doch ſeine wahre Größe beſtehe. Er mache auf eine ſchwere Unterlaſſung im König Lear auf¬
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nicht genug athmen und die ganz verſchwollene Naſe ver¬
ſagt völlig den Luftdurchgang; er iſt am Erſticken; da,
in der Wuth, in dieſem Krampf des Lebens, dieſem
raſenden Sieden des Gehirns wird er zum Teufel:
ſoll ich erſticken, ſo ſollſt du es auch, ſo denkt er;
das Schnupftuch! das Schnupftuch! Dieſer Ausruf
— (er hat das ſeinige offenbar verlegt) — zeigt an,
mit welchen Objekten ſeine tollgewordene Phantaſie ſich
einzig noch beſchäftigt, und jetzt — erwürgt er Des¬
demona. In dieſem Sinn und in dieſem allein richtig
aufgefaßt, haben wir im Othello die Tragödie aller
Tragödien, die erſte, vollkommenſte, ergreifendſte Dich¬
tung aller Zeiten. Da erſt muß jedes Herz klopfen,
jede Lippe ſeufzen: o, was iſt Menſchengröße, Men¬
ſchenruhm! O, ſehen Sie,“ fuhr er heftiger fort, —
„ich ſelbſt — an wie viel Gutem haben mich die
Katarrh-Teufel verhindert, aber zum Böſen, zum
Grauenhaften — ja dazu — damals — damals —
o man bedarf Nachſicht —“
Er ſtockte, beſann und faßte ſich und fuhr ganz
nüchtern fort, es falle ihm übrigens nicht ein, irgend
Jemand zu vergöttern. Von den bekannten Flecken
Shakeſpeare's — Abſurditäten, Rohheiten — wolle
er jetzt nicht reden, ſondern nur bemerken, daß es ihm
widerfahren könne, gerade in dem Punkte zu fehlen,
worin doch ſeine wahre Größe beſtehe. Er mache
auf eine ſchwere Unterlaſſung im König Lear auf¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/112>, abgerufen am 22.12.2024.
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