Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal Geschehene und fuhr fort: "Eine Pfahldorf¬
geschichte. -- Die kann ordentlich werden."

"Ja, sind Sie denn auch ein Dichter?"

"Nun, das will ich doch glauben! Wen anders
werden denn die Geister so placken und schinden, als
einen Dichter?"

Pause. Dann sagte er mit einem Ausdruck von
großer Freundlichkeit, ja wahrer Herzlichkeit: "Sie
sollen sie haben, bald vollends ist sie fertig, das Manu¬
skript hab' ich im Koffer mit, der nach Airolo voraus¬
geschickt ist. Wenn die Arbeit vollendet ist, sollen Sie
eine Abschrift bekommen aus Italien."

Bei dem Anlaß fiel mir ein, daß ich selbst ein
wenig in Poesie gepfuscht hatte. Ich erzählte ihm
von dem kartoffelnährenden Felsblock, zog mein Blatt
heraus und schickte mich an, ihm meine Verse vorzu¬
lesen, nicht ohne erst versichert zu haben, daß ich mich
sehr bescheide, mich als Kollege in Apollo aufspielen
zu wollen. Er unterbrach mich bei den ersten Worten
mit der Frage, ob ich auch die Haufwerke ange¬
sehen habe. Ich erfuhr von ihm, daß man so die
wild übereinander gestürzten Felstrümmermassen nennt.
"Wissen Sie auch," sagte er, "wie sie das Volk hier
zu Lande heißt?" Ich verneinte. "Dolmen," sagte
er, "das ist keltisch und bedeutet Opfertisch -- Sie
wissen doch von den uralten, geheimnißvollen Stein¬
malen in der Bretagne, Skandinavien, England --

einmal Geſchehene und fuhr fort: „Eine Pfahldorf¬
geſchichte. — Die kann ordentlich werden.“

„Ja, ſind Sie denn auch ein Dichter?“

„Nun, das will ich doch glauben! Wen anders
werden denn die Geiſter ſo placken und ſchinden, als
einen Dichter?“

Pauſe. Dann ſagte er mit einem Ausdruck von
großer Freundlichkeit, ja wahrer Herzlichkeit: „Sie
ſollen ſie haben, bald vollends iſt ſie fertig, das Manu¬
ſkript hab' ich im Koffer mit, der nach Airolo voraus¬
geſchickt iſt. Wenn die Arbeit vollendet iſt, ſollen Sie
eine Abſchrift bekommen aus Italien.“

Bei dem Anlaß fiel mir ein, daß ich ſelbſt ein
wenig in Poeſie gepfuſcht hatte. Ich erzählte ihm
von dem kartoffelnährenden Felsblock, zog mein Blatt
heraus und ſchickte mich an, ihm meine Verſe vorzu¬
leſen, nicht ohne erſt verſichert zu haben, daß ich mich
ſehr beſcheide, mich als Kollege in Apollo aufſpielen
zu wollen. Er unterbrach mich bei den erſten Worten
mit der Frage, ob ich auch die Haufwerke ange¬
ſehen habe. Ich erfuhr von ihm, daß man ſo die
wild übereinander geſtürzten Felſtrümmermaſſen nennt.
„Wiſſen Sie auch,“ ſagte er, „wie ſie das Volk hier
zu Lande heißt?“ Ich verneinte. „Dolmen,“ ſagte
er, „das iſt keltiſch und bedeutet Opfertiſch — Sie
wiſſen doch von den uralten, geheimnißvollen Stein¬
malen in der Bretagne, Skandinavien, England —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="106"/>
einmal Ge&#x017F;chehene und fuhr fort: &#x201E;Eine Pfahldorf¬<lb/>
ge&#x017F;chichte. &#x2014; Die kann ordentlich werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, &#x017F;ind Sie denn auch ein Dichter?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, das will ich doch glauben! Wen anders<lb/>
werden denn die Gei&#x017F;ter &#x017F;o placken und &#x017F;chinden, als<lb/>
einen Dichter?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Pau&#x017F;e. Dann &#x017F;agte er mit einem Ausdruck von<lb/>
großer Freundlichkeit, ja wahrer Herzlichkeit: &#x201E;Sie<lb/>
&#x017F;ollen &#x017F;ie haben, bald vollends i&#x017F;t &#x017F;ie fertig, das Manu¬<lb/>
&#x017F;kript hab' ich im Koffer mit, der nach Airolo voraus¬<lb/>
ge&#x017F;chickt i&#x017F;t. Wenn die Arbeit vollendet i&#x017F;t, &#x017F;ollen Sie<lb/>
eine Ab&#x017F;chrift bekommen aus Italien.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bei dem Anlaß fiel mir ein, daß ich &#x017F;elb&#x017F;t ein<lb/>
wenig in Poe&#x017F;ie gepfu&#x017F;cht hatte. Ich erzählte ihm<lb/>
von dem kartoffelnährenden Felsblock, zog mein Blatt<lb/>
heraus und &#x017F;chickte mich an, ihm meine Ver&#x017F;e vorzu¬<lb/>
le&#x017F;en, nicht ohne er&#x017F;t ver&#x017F;ichert zu haben, daß ich mich<lb/>
&#x017F;ehr be&#x017F;cheide, mich als Kollege in Apollo auf&#x017F;pielen<lb/>
zu wollen. Er unterbrach mich bei den er&#x017F;ten Worten<lb/>
mit der Frage, ob ich auch die Haufwerke ange¬<lb/>
&#x017F;ehen habe. Ich erfuhr von ihm, daß man &#x017F;o die<lb/>
wild übereinander ge&#x017F;türzten Fel&#x017F;trümmerma&#x017F;&#x017F;en nennt.<lb/>
&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie auch,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;wie &#x017F;ie das Volk hier<lb/>
zu Lande heißt?&#x201C; Ich verneinte. &#x201E;Dolmen,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
er, &#x201E;das i&#x017F;t kelti&#x017F;ch und bedeutet Opferti&#x017F;ch &#x2014; Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en doch von den uralten, geheimnißvollen Stein¬<lb/>
malen in der Bretagne, Skandinavien, England &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0119] einmal Geſchehene und fuhr fort: „Eine Pfahldorf¬ geſchichte. — Die kann ordentlich werden.“ „Ja, ſind Sie denn auch ein Dichter?“ „Nun, das will ich doch glauben! Wen anders werden denn die Geiſter ſo placken und ſchinden, als einen Dichter?“ Pauſe. Dann ſagte er mit einem Ausdruck von großer Freundlichkeit, ja wahrer Herzlichkeit: „Sie ſollen ſie haben, bald vollends iſt ſie fertig, das Manu¬ ſkript hab' ich im Koffer mit, der nach Airolo voraus¬ geſchickt iſt. Wenn die Arbeit vollendet iſt, ſollen Sie eine Abſchrift bekommen aus Italien.“ Bei dem Anlaß fiel mir ein, daß ich ſelbſt ein wenig in Poeſie gepfuſcht hatte. Ich erzählte ihm von dem kartoffelnährenden Felsblock, zog mein Blatt heraus und ſchickte mich an, ihm meine Verſe vorzu¬ leſen, nicht ohne erſt verſichert zu haben, daß ich mich ſehr beſcheide, mich als Kollege in Apollo aufſpielen zu wollen. Er unterbrach mich bei den erſten Worten mit der Frage, ob ich auch die Haufwerke ange¬ ſehen habe. Ich erfuhr von ihm, daß man ſo die wild übereinander geſtürzten Felſtrümmermaſſen nennt. „Wiſſen Sie auch,“ ſagte er, „wie ſie das Volk hier zu Lande heißt?“ Ich verneinte. „Dolmen,“ ſagte er, „das iſt keltiſch und bedeutet Opfertiſch — Sie wiſſen doch von den uralten, geheimnißvollen Stein¬ malen in der Bretagne, Skandinavien, England —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/119
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/119>, abgerufen am 18.05.2024.