Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

des eigenen Idioms unglücklich genug nachzuahmen
suchte; die Berge waren ihm nicht hoch, der See war
ihm nicht breit genug, er vergliech sie zu ihrem Schaden
mit skandinavischen, irischen, amerikanischen, und die
ganze Gesellschaft mußte hören, wie weit er in der
Welt gewesen sei. Er spielte den Kunstkenner, sprach
von Tinten, Lasuren, Clair-obscur, Konturen, ver¬
sicherte übrigens, die "Schanga-Malachai" sei mehr
sein "Pangschang", als die Landschaftmalerei. Dabei
wandte er sich öfters an einen ernsten Mann, den ich
schon an der Wirthstafel in Zug bemerkt, der mit uns
das Dampfschiff bestiegen hatte und der dem Lästigen
ein beharrliches Schweigen entgegenhielt. Durch diesen
Kontrast wurde meine Aufmerksamkeit auf die Erschei¬
nung des stillen Fremdlings hingezogen. Man konnte
seine Züge nicht eben interessant nennen, aber es war
jenes Etwas darin, das man nicht eben häufig findet
und das Wenige zu bemerken pflegen, -- jenes Etwas,
wozu man sagen möchte: wieder einmal ein Mensch.
Allerdings lag auch eine Art von Beschattung, etwas
wie ein dunkler Flor darüber. Wenn sein Blick an
den waldigen Ufern, am Rücken und steilen Gipfel
des Rigi aufstieg, oder über die schimmernde Fläche
des hellgrünen Sees hinlief, so meinte ich ihn öfters
mit einem gewissen müden Ausdruck von seiner Bahn
zurückkehren zu sehen, als wollte er sagen: das Alles
könnte schön sein, wenn nur -- Was dem Wenn in

des eigenen Idioms unglücklich genug nachzuahmen
ſuchte; die Berge waren ihm nicht hoch, der See war
ihm nicht breit genug, er vergliech ſie zu ihrem Schaden
mit ſkandinaviſchen, iriſchen, amerikaniſchen, und die
ganze Geſellſchaft mußte hören, wie weit er in der
Welt geweſen ſei. Er ſpielte den Kunſtkenner, ſprach
von Tinten, Laſuren, Clair-obſcur, Konturen, ver¬
ſicherte übrigens, die „Schanga-Malachai“ ſei mehr
ſein „Pangſchang“, als die Landſchaftmalerei. Dabei
wandte er ſich öfters an einen ernſten Mann, den ich
ſchon an der Wirthstafel in Zug bemerkt, der mit uns
das Dampfſchiff beſtiegen hatte und der dem Läſtigen
ein beharrliches Schweigen entgegenhielt. Durch dieſen
Kontraſt wurde meine Aufmerkſamkeit auf die Erſchei¬
nung des ſtillen Fremdlings hingezogen. Man konnte
ſeine Züge nicht eben intereſſant nennen, aber es war
jenes Etwas darin, das man nicht eben häufig findet
und das Wenige zu bemerken pflegen, — jenes Etwas,
wozu man ſagen möchte: wieder einmal ein Menſch.
Allerdings lag auch eine Art von Beſchattung, etwas
wie ein dunkler Flor darüber. Wenn ſein Blick an
den waldigen Ufern, am Rücken und ſteilen Gipfel
des Rigi aufſtieg, oder über die ſchimmernde Fläche
des hellgrünen Sees hinlief, ſo meinte ich ihn öfters
mit einem gewiſſen müden Ausdruck von ſeiner Bahn
zurückkehren zu ſehen, als wollte er ſagen: das Alles
könnte ſchön ſein, wenn nur — Was dem Wenn in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="2"/>
des eigenen Idioms unglücklich genug nachzuahmen<lb/>
&#x017F;uchte; die Berge waren ihm nicht hoch, der See war<lb/>
ihm nicht breit genug, er vergliech &#x017F;ie zu ihrem Schaden<lb/>
mit &#x017F;kandinavi&#x017F;chen, iri&#x017F;chen, amerikani&#x017F;chen, und die<lb/>
ganze Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mußte hören, wie weit er in der<lb/>
Welt gewe&#x017F;en &#x017F;ei. Er &#x017F;pielte den Kun&#x017F;tkenner, &#x017F;prach<lb/>
von Tinten, La&#x017F;uren, Clair-ob&#x017F;cur, Konturen, ver¬<lb/>
&#x017F;icherte übrigens, die &#x201E;Schanga-Malachai&#x201C; &#x017F;ei mehr<lb/>
&#x017F;ein &#x201E;Pang&#x017F;chang&#x201C;, als die Land&#x017F;chaftmalerei. Dabei<lb/>
wandte er &#x017F;ich öfters an einen ern&#x017F;ten Mann, den ich<lb/>
&#x017F;chon an der Wirthstafel in Zug bemerkt, der mit uns<lb/>
das Dampf&#x017F;chiff be&#x017F;tiegen hatte und der dem Lä&#x017F;tigen<lb/>
ein beharrliches Schweigen entgegenhielt. Durch die&#x017F;en<lb/>
Kontra&#x017F;t wurde meine Aufmerk&#x017F;amkeit auf die Er&#x017F;chei¬<lb/>
nung des &#x017F;tillen Fremdlings hingezogen. Man konnte<lb/>
&#x017F;eine Züge nicht eben intere&#x017F;&#x017F;ant nennen, aber es war<lb/>
jenes Etwas darin, das man nicht eben häufig findet<lb/>
und das Wenige zu bemerken pflegen, &#x2014; jenes Etwas,<lb/>
wozu man &#x017F;agen möchte: wieder einmal ein Men&#x017F;ch.<lb/>
Allerdings lag auch eine Art von Be&#x017F;chattung, etwas<lb/>
wie ein dunkler Flor darüber. Wenn &#x017F;ein Blick an<lb/>
den waldigen Ufern, am Rücken und &#x017F;teilen Gipfel<lb/>
des Rigi auf&#x017F;tieg, oder über die &#x017F;chimmernde Fläche<lb/>
des hellgrünen Sees hinlief, &#x017F;o meinte ich ihn öfters<lb/>
mit einem gewi&#x017F;&#x017F;en müden Ausdruck von &#x017F;einer Bahn<lb/>
zurückkehren zu &#x017F;ehen, als wollte er &#x017F;agen: das Alles<lb/>
könnte &#x017F;chön &#x017F;ein, wenn nur &#x2014; Was dem Wenn in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0015] des eigenen Idioms unglücklich genug nachzuahmen ſuchte; die Berge waren ihm nicht hoch, der See war ihm nicht breit genug, er vergliech ſie zu ihrem Schaden mit ſkandinaviſchen, iriſchen, amerikaniſchen, und die ganze Geſellſchaft mußte hören, wie weit er in der Welt geweſen ſei. Er ſpielte den Kunſtkenner, ſprach von Tinten, Laſuren, Clair-obſcur, Konturen, ver¬ ſicherte übrigens, die „Schanga-Malachai“ ſei mehr ſein „Pangſchang“, als die Landſchaftmalerei. Dabei wandte er ſich öfters an einen ernſten Mann, den ich ſchon an der Wirthstafel in Zug bemerkt, der mit uns das Dampfſchiff beſtiegen hatte und der dem Läſtigen ein beharrliches Schweigen entgegenhielt. Durch dieſen Kontraſt wurde meine Aufmerkſamkeit auf die Erſchei¬ nung des ſtillen Fremdlings hingezogen. Man konnte ſeine Züge nicht eben intereſſant nennen, aber es war jenes Etwas darin, das man nicht eben häufig findet und das Wenige zu bemerken pflegen, — jenes Etwas, wozu man ſagen möchte: wieder einmal ein Menſch. Allerdings lag auch eine Art von Beſchattung, etwas wie ein dunkler Flor darüber. Wenn ſein Blick an den waldigen Ufern, am Rücken und ſteilen Gipfel des Rigi aufſtieg, oder über die ſchimmernde Fläche des hellgrünen Sees hinlief, ſo meinte ich ihn öfters mit einem gewiſſen müden Ausdruck von ſeiner Bahn zurückkehren zu ſehen, als wollte er ſagen: das Alles könnte ſchön ſein, wenn nur — Was dem Wenn in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/15
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/15>, abgerufen am 22.12.2024.