-- "Wohl, wohl! Nur viel Bildungsvolk oben! Werden die Berge bald vollends wegätzen. Fehlt ein Ab¬ schreckungs-Bädeker, daß es wieder einsam würde und stille Menschen ein vertrautes Wort mit der Natur reden könnten oder von ihr anhören. Wollte auch Morgens den Kerl nicht erleben, der in alter Schweizer¬ tracht den Kuhreigen bläst zum Sonnenaufgang, dann im Gasthof sein Trinkgeld einzieht; daher ab, fort, weg noch in der Nacht!" Damit wandte er sich, flüchtig grüßend, von mir und hielt sich seitab wie Einer, der allein sein will. Er war nun wieder der trüb-ernste Mann und saß so versunken in sich wie gestern. Am Tisch auf dem Verdeck entspann sich ein lebhaftes Ge¬ spräch über eine Umgestaltung des Rütli, die damals im Plane war; es handelte sich darum, saubere Wege anzulegen, die drei Quellen in irgend einer Weise zu fassen, und die Meinungen giengen darüber auseinan¬ der, ob es passender sei, nur mit schonender Hand die gegebene Natur einigermaßen zu regeln oder bei Fassung der Quellen architektonische Kunstformen anzuwenden, und wenn dieß, in welchem Styl, klassisch, Renaissance, romanisch oder gothisch. Mein Mann wurde auf¬ merksam, blieb stehen und hörte mit sichtbarem In¬ teresse dem wachsenden Eifer zu, womit die verschiednen Ansichten sich aussprachen, wobei Schweizer und Deutsche, Herren und Damen in bunter Mischung sich betheiligten. Er nahm Platz am Tische, ließ sich sogar ein Glas
— „Wohl, wohl! Nur viel Bildungsvolk oben! Werden die Berge bald vollends wegätzen. Fehlt ein Ab¬ ſchreckungs-Bädeker, daß es wieder einſam würde und ſtille Menſchen ein vertrautes Wort mit der Natur reden könnten oder von ihr anhören. Wollte auch Morgens den Kerl nicht erleben, der in alter Schweizer¬ tracht den Kuhreigen bläst zum Sonnenaufgang, dann im Gaſthof ſein Trinkgeld einzieht; daher ab, fort, weg noch in der Nacht!“ Damit wandte er ſich, flüchtig grüßend, von mir und hielt ſich ſeitab wie Einer, der allein ſein will. Er war nun wieder der trüb-ernſte Mann und ſaß ſo verſunken in ſich wie geſtern. Am Tiſch auf dem Verdeck entſpann ſich ein lebhaftes Ge¬ ſpräch über eine Umgeſtaltung des Rütli, die damals im Plane war; es handelte ſich darum, ſaubere Wege anzulegen, die drei Quellen in irgend einer Weiſe zu faſſen, und die Meinungen giengen darüber auseinan¬ der, ob es paſſender ſei, nur mit ſchonender Hand die gegebene Natur einigermaßen zu regeln oder bei Faſſung der Quellen architektoniſche Kunſtformen anzuwenden, und wenn dieß, in welchem Styl, klaſſiſch, Renaiſſance, romaniſch oder gothiſch. Mein Mann wurde auf¬ merkſam, blieb ſtehen und hörte mit ſichtbarem In¬ tereſſe dem wachſenden Eifer zu, womit die verſchiednen Anſichten ſich ausſprachen, wobei Schweizer und Deutſche, Herren und Damen in bunter Miſchung ſich betheiligten. Er nahm Platz am Tiſche, ließ ſich ſogar ein Glas
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— „Wohl, wohl! Nur viel Bildungsvolk oben! Werden
die Berge bald vollends wegätzen. Fehlt ein Ab¬
ſchreckungs-Bädeker, daß es wieder einſam würde und
ſtille Menſchen ein vertrautes Wort mit der Natur
reden könnten oder von ihr anhören. Wollte auch
Morgens den Kerl nicht erleben, der in alter Schweizer¬
tracht den Kuhreigen bläst zum Sonnenaufgang, dann
im Gaſthof ſein Trinkgeld einzieht; daher ab, fort,
weg noch in der Nacht!“ Damit wandte er ſich, flüchtig
grüßend, von mir und hielt ſich ſeitab wie Einer, der
allein ſein will. Er war nun wieder der trüb-ernſte
Mann und ſaß ſo verſunken in ſich wie geſtern. Am
Tiſch auf dem Verdeck entſpann ſich ein lebhaftes Ge¬
ſpräch über eine Umgeſtaltung des Rütli, die damals
im Plane war; es handelte ſich darum, ſaubere Wege
anzulegen, die drei Quellen in irgend einer Weiſe zu
faſſen, und die Meinungen giengen darüber auseinan¬
der, ob es paſſender ſei, nur mit ſchonender Hand die
gegebene Natur einigermaßen zu regeln oder bei Faſſung
der Quellen architektoniſche Kunſtformen anzuwenden,
und wenn dieß, in welchem Styl, klaſſiſch, Renaiſſance,
romaniſch oder gothiſch. Mein Mann wurde auf¬
merkſam, blieb ſtehen und hörte mit ſichtbarem In¬
tereſſe dem wachſenden Eifer zu, womit die verſchiednen
Anſichten ſich ausſprachen, wobei Schweizer und Deutſche,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/21>, abgerufen am 22.12.2024.
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