Wächter, treten vor und stemmen mit äußerster Kraft die Schultern an eine Seite des Pfeilers, jedoch nicht in rechtem, sondern in spitzem Winkel, sie drücken und drücken und siehe, er schwankt! Er schwankt nicht nur, sondern er dreht sich auch! Jetzt wiederholen sie den Druck, er dreht sich weiter und so fort, bis eine Kreisbewegung vollendet ist und, da der Druck nicht wiederholt wird, die Felslast in ihre Ruhe zurückkehrt. Ehrfurchtvoll spannen sich alle Blicke auf diese Er¬ scheinung, alle Lippen vereinigen sich zu einem mur¬ melnden Gebet, so lang sie dauert, dann umwandelt der Zug dreimal den ungeheuern Block und schreitet linkwärts weiter.
Was will, was soll dieses räthselhafteste unter den Malen, was bedeuten die heiligen Bräuche, die wir vor und an ihm vollziehen sahen? Niemand weiß es, Niemand selbst unter eben dem Geschlechte, bei dem wir uns hier befinden, es müßte denn eine dunkle Sage Grund haben, die in unserer und rings in mancher Dorfgemeinde umgieng: es leben in den größeren Niederlassungen, den Wasserstädten, wo sich die Druiden- und Bardenschulen befanden, im Schooße dieser Zünfte noch Männer, welche uralte Erinnerungen und mit ihnen den Schlüssel des Geheimnisses be¬ wahren. Der Name dieser Pfeiler war Menhir und der besagt nichts als: Steinsetzung, Steinmal. Am Ufer bei Turik standen deren zwölf, einen Kreis um
Wächter, treten vor und ſtemmen mit äußerſter Kraft die Schultern an eine Seite des Pfeilers, jedoch nicht in rechtem, ſondern in ſpitzem Winkel, ſie drücken und drücken und ſiehe, er ſchwankt! Er ſchwankt nicht nur, ſondern er dreht ſich auch! Jetzt wiederholen ſie den Druck, er dreht ſich weiter und ſo fort, bis eine Kreisbewegung vollendet iſt und, da der Druck nicht wiederholt wird, die Felslaſt in ihre Ruhe zurückkehrt. Ehrfurchtvoll ſpannen ſich alle Blicke auf dieſe Er¬ ſcheinung, alle Lippen vereinigen ſich zu einem mur¬ melnden Gebet, ſo lang ſie dauert, dann umwandelt der Zug dreimal den ungeheuern Block und ſchreitet linkwärts weiter.
Was will, was ſoll dieſes räthſelhafteſte unter den Malen, was bedeuten die heiligen Bräuche, die wir vor und an ihm vollziehen ſahen? Niemand weiß es, Niemand ſelbſt unter eben dem Geſchlechte, bei dem wir uns hier befinden, es müßte denn eine dunkle Sage Grund haben, die in unſerer und rings in mancher Dorfgemeinde umgieng: es leben in den größeren Niederlaſſungen, den Waſſerſtädten, wo ſich die Druiden- und Bardenſchulen befanden, im Schooße dieſer Zünfte noch Männer, welche uralte Erinnerungen und mit ihnen den Schlüſſel des Geheimniſſes be¬ wahren. Der Name dieſer Pfeiler war Menhir und der beſagt nichts als: Steinſetzung, Steinmal. Am Ufer bei Turik ſtanden deren zwölf, einen Kreis um
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0212"n="199"/>
Wächter, treten vor und ſtemmen mit äußerſter Kraft<lb/>
die Schultern an eine Seite des Pfeilers, jedoch nicht<lb/>
in rechtem, ſondern in ſpitzem Winkel, ſie drücken und<lb/>
drücken und ſiehe, er ſchwankt! Er ſchwankt nicht nur,<lb/>ſondern er dreht ſich auch! Jetzt wiederholen ſie den<lb/>
Druck, er dreht ſich weiter und ſo fort, bis eine<lb/>
Kreisbewegung vollendet iſt und, da der Druck nicht<lb/>
wiederholt wird, die Felslaſt in ihre Ruhe zurückkehrt.<lb/>
Ehrfurchtvoll ſpannen ſich alle Blicke auf dieſe Er¬<lb/>ſcheinung, alle Lippen vereinigen ſich zu einem mur¬<lb/>
melnden Gebet, ſo lang ſie dauert, dann umwandelt<lb/>
der Zug dreimal den ungeheuern Block und ſchreitet<lb/>
linkwärts weiter.</p><lb/><p>Was will, was ſoll dieſes räthſelhafteſte unter den<lb/>
Malen, was bedeuten die heiligen Bräuche, die wir<lb/>
vor und an ihm vollziehen ſahen? Niemand weiß es,<lb/>
Niemand ſelbſt unter eben dem Geſchlechte, bei dem<lb/>
wir uns hier befinden, es müßte denn eine dunkle<lb/>
Sage Grund haben, die in unſerer und rings in<lb/>
mancher Dorfgemeinde umgieng: es leben in den<lb/>
größeren Niederlaſſungen, den Waſſerſtädten, wo ſich<lb/>
die Druiden- und Bardenſchulen befanden, im Schooße<lb/>
dieſer Zünfte noch Männer, welche uralte Erinnerungen<lb/>
und mit ihnen den Schlüſſel des Geheimniſſes be¬<lb/>
wahren. Der Name dieſer Pfeiler war Menhir und<lb/>
der beſagt nichts als: Steinſetzung, Steinmal. Am<lb/>
Ufer bei Turik ſtanden deren zwölf, einen Kreis um<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0212]
Wächter, treten vor und ſtemmen mit äußerſter Kraft
die Schultern an eine Seite des Pfeilers, jedoch nicht
in rechtem, ſondern in ſpitzem Winkel, ſie drücken und
drücken und ſiehe, er ſchwankt! Er ſchwankt nicht nur,
ſondern er dreht ſich auch! Jetzt wiederholen ſie den
Druck, er dreht ſich weiter und ſo fort, bis eine
Kreisbewegung vollendet iſt und, da der Druck nicht
wiederholt wird, die Felslaſt in ihre Ruhe zurückkehrt.
Ehrfurchtvoll ſpannen ſich alle Blicke auf dieſe Er¬
ſcheinung, alle Lippen vereinigen ſich zu einem mur¬
melnden Gebet, ſo lang ſie dauert, dann umwandelt
der Zug dreimal den ungeheuern Block und ſchreitet
linkwärts weiter.
Was will, was ſoll dieſes räthſelhafteſte unter den
Malen, was bedeuten die heiligen Bräuche, die wir
vor und an ihm vollziehen ſahen? Niemand weiß es,
Niemand ſelbſt unter eben dem Geſchlechte, bei dem
wir uns hier befinden, es müßte denn eine dunkle
Sage Grund haben, die in unſerer und rings in
mancher Dorfgemeinde umgieng: es leben in den
größeren Niederlaſſungen, den Waſſerſtädten, wo ſich
die Druiden- und Bardenſchulen befanden, im Schooße
dieſer Zünfte noch Männer, welche uralte Erinnerungen
und mit ihnen den Schlüſſel des Geheimniſſes be¬
wahren. Der Name dieſer Pfeiler war Menhir und
der beſagt nichts als: Steinſetzung, Steinmal. Am
Ufer bei Turik ſtanden deren zwölf, einen Kreis um
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/212>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.