wenn nicht seine Gesichtsfarbe, gewölbte Brust, Energie der Bewegungen, wie ich sie während des Tags be¬ obachtet hatte, eine ausdauernde Widerstandskraft ver¬ bürgt hätten. Endlich schlief ich doch selbst ein, freilich nur, um sehr früh geweckt zu werden und zwar durch ein Auf- und Abgehen meines Nachbars, das mit Geräuschen wechselte, aus denen ich auf ein ungedul¬ diges Suchen in Schubladen, auf Tischen, in allen Geräthen des Zimmers schließen mußte. Das Laufen, Stöbern wurde immer heftiger, ein Selbstgespräch, das diese wilden Bewegungen zuerst leis begleitete, wurde lauter und lauter und gieng dann in wüthende Aus¬ rufungen, endlich in einen Hagel von Flüchen über, die in der That nicht christlich, vielmehr türkisch, ja heidnisch zu nennen waren und von einem wüthenden Stampfen und Wettern begleitet wurden. Ich hielt es nicht mehr aus, der Mensch schien mir rein toll geworden, ich kleidete mich flüchtig an, klopfte an seiner Thüre und trat, in meiner Aufregung die Form ver¬ nachlässigend, in's Zimmer, ohne auf das "Herein" zu warten. Mit zornsprühenden Augen, hochroth im Gesicht, fuhr der Bewohner auf mich zu, er schien mich an der Kehle packen zu wollen; plötzlich aber faßte er sich, stand unbewegt vor mir, sah mich mit durchdringendem Blick an und sagte ruhig streng: "Mein Herr, Sie führt ein Bildungsbedürfniß hier¬ herein." Das schlechte Gewissen, das ich über meine
wenn nicht ſeine Geſichtsfarbe, gewölbte Bruſt, Energie der Bewegungen, wie ich ſie während des Tags be¬ obachtet hatte, eine ausdauernde Widerſtandskraft ver¬ bürgt hätten. Endlich ſchlief ich doch ſelbſt ein, freilich nur, um ſehr früh geweckt zu werden und zwar durch ein Auf- und Abgehen meines Nachbars, das mit Geräuſchen wechſelte, aus denen ich auf ein ungedul¬ diges Suchen in Schubladen, auf Tiſchen, in allen Geräthen des Zimmers ſchließen mußte. Das Laufen, Stöbern wurde immer heftiger, ein Selbſtgeſpräch, das dieſe wilden Bewegungen zuerſt leis begleitete, wurde lauter und lauter und gieng dann in wüthende Aus¬ rufungen, endlich in einen Hagel von Flüchen über, die in der That nicht chriſtlich, vielmehr türkiſch, ja heidniſch zu nennen waren und von einem wüthenden Stampfen und Wettern begleitet wurden. Ich hielt es nicht mehr aus, der Menſch ſchien mir rein toll geworden, ich kleidete mich flüchtig an, klopfte an ſeiner Thüre und trat, in meiner Aufregung die Form ver¬ nachläſſigend, in's Zimmer, ohne auf das „Herein“ zu warten. Mit zornſprühenden Augen, hochroth im Geſicht, fuhr der Bewohner auf mich zu, er ſchien mich an der Kehle packen zu wollen; plötzlich aber faßte er ſich, ſtand unbewegt vor mir, ſah mich mit durchdringendem Blick an und ſagte ruhig ſtreng: „Mein Herr, Sie führt ein Bildungsbedürfniß hier¬ herein.“ Das ſchlechte Gewiſſen, das ich über meine
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wenn nicht ſeine Geſichtsfarbe, gewölbte Bruſt, Energie
der Bewegungen, wie ich ſie während des Tags be¬
obachtet hatte, eine ausdauernde Widerſtandskraft ver¬
bürgt hätten. Endlich ſchlief ich doch ſelbſt ein, freilich
nur, um ſehr früh geweckt zu werden und zwar durch
ein Auf- und Abgehen meines Nachbars, das mit
Geräuſchen wechſelte, aus denen ich auf ein ungedul¬
diges Suchen in Schubladen, auf Tiſchen, in allen
Geräthen des Zimmers ſchließen mußte. Das Laufen,
Stöbern wurde immer heftiger, ein Selbſtgeſpräch, das
dieſe wilden Bewegungen zuerſt leis begleitete, wurde
lauter und lauter und gieng dann in wüthende Aus¬
rufungen, endlich in einen Hagel von Flüchen über,
die in der That nicht chriſtlich, vielmehr türkiſch, ja
heidniſch zu nennen waren und von einem wüthenden
Stampfen und Wettern begleitet wurden. Ich hielt
es nicht mehr aus, der Menſch ſchien mir rein toll
geworden, ich kleidete mich flüchtig an, klopfte an ſeiner
Thüre und trat, in meiner Aufregung die Form ver¬
nachläſſigend, in's Zimmer, ohne auf das „Herein“
zu warten. Mit zornſprühenden Augen, hochroth im
Geſicht, fuhr der Bewohner auf mich zu, er ſchien
mich an der Kehle packen zu wollen; plötzlich aber
faßte er ſich, ſtand unbewegt vor mir, ſah mich mit
durchdringendem Blick an und ſagte ruhig ſtreng:
„Mein Herr, Sie führt ein Bildungsbedürfniß hier¬
herein.“ Das ſchlechte Gewiſſen, das ich über meine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/29>, abgerufen am 22.12.2024.
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