mehr -- es ist ja recht gnädig abgelaufen -- nicht immer können die Geister doch das Gute stören. Frau von Vorsehung, geborene Zufall, hat sich dießmal doch ganz ordentlich gehalten."
Wir schwiegen lang, dann fieng er, in den Anblick der stürzenden Wasser vertieft, an: "Wissen Sie, wo die Schönheit liegt in dem Vers: ,Es stürzt der Fels und über ihn die Flut'? Gar nicht bloß im Klang der Vokale und Konsonanten und nicht bloß im Kraft¬ stoß der einsylbigen Wörter; nein, hauptsächlich in der Cäsur, die mitten in das Wort ,über' fällt. Wie die Woge da -- sehen Sie hin -- über den glatt gespülten Felsblock rinnt, so das Wort über den Vers-Einschnitt.
Eine solche lehrhafte Bemerkung in solcher Stunde wollte mir im ersten Augenblick schulmeisterhaft er¬ scheinen, aber schnell besann ich mich, daß ich darin vielmehr ein Zeugniß sokratischer Geisteskraft zu achten hatte; ich fand die Reflexion fein und richtig und die heilsame Kühle wissenschaftlichen Denkens drang mir be¬ ruhigend in die erschütterte Seele, ja ich meinte zu fühlen, daß sie von innen auf die zerstoßene, brennende Haut herausdringe. Ich wollte eben meine Zustim¬ mung aussprechen, als uns ein italienisches Fuhrwerk begegnete, gezogen von einem Maulthier, das ganz nach der wälschen Art aufgeschirrt war: rother Feder¬ busch, roth gesäumter Pelzbesatz an den Scheuledern,
mehr — es iſt ja recht gnädig abgelaufen — nicht immer können die Geiſter doch das Gute ſtören. Frau von Vorſehung, geborene Zufall, hat ſich dießmal doch ganz ordentlich gehalten.“
Wir ſchwiegen lang, dann fieng er, in den Anblick der ſtürzenden Waſſer vertieft, an: „Wiſſen Sie, wo die Schönheit liegt in dem Vers: ‚Es ſtürzt der Fels und über ihn die Flut’? Gar nicht bloß im Klang der Vokale und Konſonanten und nicht bloß im Kraft¬ ſtoß der einſylbigen Wörter; nein, hauptſächlich in der Cäſur, die mitten in das Wort ‚über‘ fällt. Wie die Woge da — ſehen Sie hin — über den glatt geſpülten Felsblock rinnt, ſo das Wort über den Vers-Einſchnitt.
Eine ſolche lehrhafte Bemerkung in ſolcher Stunde wollte mir im erſten Augenblick ſchulmeiſterhaft er¬ ſcheinen, aber ſchnell beſann ich mich, daß ich darin vielmehr ein Zeugniß ſokratiſcher Geiſteskraft zu achten hatte; ich fand die Reflexion fein und richtig und die heilſame Kühle wiſſenſchaftlichen Denkens drang mir be¬ ruhigend in die erſchütterte Seele, ja ich meinte zu fühlen, daß ſie von innen auf die zerſtoßene, brennende Haut herausdringe. Ich wollte eben meine Zuſtim¬ mung ausſprechen, als uns ein italieniſches Fuhrwerk begegnete, gezogen von einem Maulthier, das ganz nach der wälſchen Art aufgeſchirrt war: rother Feder¬ buſch, roth geſäumter Pelzbeſatz an den Scheuledern,
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mehr — es iſt ja recht gnädig abgelaufen — nicht
immer können die Geiſter doch das Gute ſtören. Frau
von Vorſehung, geborene Zufall, hat ſich dießmal doch
ganz ordentlich gehalten.“
Wir ſchwiegen lang, dann fieng er, in den Anblick
der ſtürzenden Waſſer vertieft, an: „Wiſſen Sie, wo
die Schönheit liegt in dem Vers: ‚Es ſtürzt der Fels
und über ihn die Flut’? Gar nicht bloß im Klang
der Vokale und Konſonanten und nicht bloß im Kraft¬
ſtoß der einſylbigen Wörter; nein, hauptſächlich in
der Cäſur, die mitten in das Wort ‚über‘ fällt.
Wie die Woge da — ſehen Sie hin — über den glatt
geſpülten Felsblock rinnt, ſo das Wort über den
Vers-Einſchnitt.
Eine ſolche lehrhafte Bemerkung in ſolcher Stunde
wollte mir im erſten Augenblick ſchulmeiſterhaft er¬
ſcheinen, aber ſchnell beſann ich mich, daß ich darin
vielmehr ein Zeugniß ſokratiſcher Geiſteskraft zu achten
hatte; ich fand die Reflexion fein und richtig und die
heilſame Kühle wiſſenſchaftlichen Denkens drang mir be¬
ruhigend in die erſchütterte Seele, ja ich meinte zu
fühlen, daß ſie von innen auf die zerſtoßene, brennende
Haut herausdringe. Ich wollte eben meine Zuſtim¬
mung ausſprechen, als uns ein italieniſches Fuhrwerk
begegnete, gezogen von einem Maulthier, das ganz
nach der wälſchen Art aufgeſchirrt war: rother Feder¬
buſch, roth geſäumter Pelzbeſatz an den Scheuledern,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/92>, abgerufen am 22.12.2024.
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