Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

komisch in seiner Menschenähnlichkeit, die doch nicht
zum Menschsein reicht. Jede Gebärde, das Gesicht,
die Leidenschaftlichkeit, die Dummheit in der Ge¬
scheutheit. Legt man ihnen einen Menschen unter,
so gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer
die Thiere nicht liebt, dem fehlt die Phantasie, diese
Unterlegung zu vollziehen.


Die Thiere sind ungeheuer neugierig wie leere
Menschen. Lieber Gott, was sollen sie auch thun,
womit ihren Tag ausfüllen! -- Für die Menschen
gilt: je weniger Wißbegierde, desto mehr Neugierde.


Heute etwas freier. Frühstück geschmeckt. Fällt
mir da am Tisch der Pessimismus und Nihilismus
wieder ein. Habe da einen runden Tisch, trägt mir
loyal meine Kanne, Tasse, Krug, Zeitungen, Schüsseln,
Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig sein,
aber er ist eben rund und mir doch so gerade recht,
bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und sagt:
"Du bist ein elender Optimist, du sollst den ganzen
Tag daran denken, daß der Tisch nicht zugleich vier¬
eckig ist, daß er da aufhört, wo er aufhört, sollst in
das Nichtsein des Vierecks in seinem Rund dich ver¬
tiefen, verbohren, verbeißen, sollst ferner täglich und

komiſch in ſeiner Menſchenähnlichkeit, die doch nicht
zum Menſchſein reicht. Jede Gebärde, das Geſicht,
die Leidenſchaftlichkeit, die Dummheit in der Ge¬
ſcheutheit. Legt man ihnen einen Menſchen unter,
ſo gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer
die Thiere nicht liebt, dem fehlt die Phantaſie, dieſe
Unterlegung zu vollziehen.


Die Thiere ſind ungeheuer neugierig wie leere
Menſchen. Lieber Gott, was ſollen ſie auch thun,
womit ihren Tag ausfüllen! — Für die Menſchen
gilt: je weniger Wißbegierde, deſto mehr Neugierde.


Heute etwas freier. Frühſtück geſchmeckt. Fällt
mir da am Tiſch der Peſſimismus und Nihilismus
wieder ein. Habe da einen runden Tiſch, trägt mir
loyal meine Kanne, Taſſe, Krug, Zeitungen, Schüſſeln,
Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig ſein,
aber er iſt eben rund und mir doch ſo gerade recht,
bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und ſagt:
„Du biſt ein elender Optimiſt, du ſollſt den ganzen
Tag daran denken, daß der Tiſch nicht zugleich vier¬
eckig iſt, daß er da aufhört, wo er aufhört, ſollſt in
das Nichtſein des Vierecks in ſeinem Rund dich ver¬
tiefen, verbohren, verbeißen, ſollſt ferner täglich und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0130" n="117"/>
komi&#x017F;ch in &#x017F;einer Men&#x017F;chenähnlichkeit, die doch nicht<lb/>
zum Men&#x017F;ch&#x017F;ein reicht. Jede Gebärde, das Ge&#x017F;icht,<lb/>
die Leiden&#x017F;chaftlichkeit, die Dummheit in der Ge¬<lb/>
&#x017F;cheutheit. Legt man ihnen einen Men&#x017F;chen unter,<lb/>
&#x017F;o gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer<lb/>
die Thiere nicht liebt, dem fehlt die Phanta&#x017F;ie, die&#x017F;e<lb/>
Unterlegung zu vollziehen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Die Thiere &#x017F;ind ungeheuer neugierig wie leere<lb/>
Men&#x017F;chen. Lieber Gott, was &#x017F;ollen &#x017F;ie auch thun,<lb/>
womit ihren Tag ausfüllen! &#x2014; Für die Men&#x017F;chen<lb/>
gilt: je weniger Wißbegierde, de&#x017F;to mehr Neugierde.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Heute etwas freier. Früh&#x017F;tück ge&#x017F;chmeckt. Fällt<lb/>
mir da am Ti&#x017F;ch der Pe&#x017F;&#x017F;imismus und Nihilismus<lb/>
wieder ein. Habe da einen runden Ti&#x017F;ch, trägt mir<lb/>
loyal meine Kanne, Ta&#x017F;&#x017F;e, Krug, Zeitungen, Schü&#x017F;&#x017F;eln,<lb/>
Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig &#x017F;ein,<lb/>
aber er i&#x017F;t eben rund und mir doch &#x017F;o gerade recht,<lb/>
bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und &#x017F;agt:<lb/>
&#x201E;Du bi&#x017F;t ein elender Optimi&#x017F;t, du &#x017F;oll&#x017F;t den ganzen<lb/>
Tag daran denken, daß der Ti&#x017F;ch nicht zugleich vier¬<lb/>
eckig i&#x017F;t, daß er da aufhört, wo er aufhört, &#x017F;oll&#x017F;t in<lb/>
das Nicht&#x017F;ein des Vierecks in &#x017F;einem Rund dich ver¬<lb/>
tiefen, verbohren, verbeißen, &#x017F;oll&#x017F;t ferner täglich und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0130] komiſch in ſeiner Menſchenähnlichkeit, die doch nicht zum Menſchſein reicht. Jede Gebärde, das Geſicht, die Leidenſchaftlichkeit, die Dummheit in der Ge¬ ſcheutheit. Legt man ihnen einen Menſchen unter, ſo gibt es zu lachen auf Tritt und Schritt. Wer die Thiere nicht liebt, dem fehlt die Phantaſie, dieſe Unterlegung zu vollziehen. Die Thiere ſind ungeheuer neugierig wie leere Menſchen. Lieber Gott, was ſollen ſie auch thun, womit ihren Tag ausfüllen! — Für die Menſchen gilt: je weniger Wißbegierde, deſto mehr Neugierde. Heute etwas freier. Frühſtück geſchmeckt. Fällt mir da am Tiſch der Peſſimismus und Nihilismus wieder ein. Habe da einen runden Tiſch, trägt mir loyal meine Kanne, Taſſe, Krug, Zeitungen, Schüſſeln, Teller. Denke manchmal, er könnte auch viereckig ſein, aber er iſt eben rund und mir doch ſo gerade recht, bin zufrieden. Kommt da ein Kerl her und ſagt: „Du biſt ein elender Optimiſt, du ſollſt den ganzen Tag daran denken, daß der Tiſch nicht zugleich vier¬ eckig iſt, daß er da aufhört, wo er aufhört, ſollſt in das Nichtſein des Vierecks in ſeinem Rund dich ver¬ tiefen, verbohren, verbeißen, ſollſt ferner täglich und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/130
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/130>, abgerufen am 18.05.2024.