Der Mensch hat Kreuz und Leiden, Dieß schreib' ich mit der Kreiden, Und wer nicht Kreuz und Leiden hat, Der wische meinen Reimen ab!
"Wisch' ab!" ruft Albrecht einem der Begleiter zu. Dieser sträubt sich -- warnt -- tiefe Scheue. Der Prinz will ihn zwingen, vergeblich; "verlangt's nicht, Herr! Mir hält ein Geist die Hand." Albrecht er¬ greift eine Hellebarde und schürft den Spruch aus. Im selben Augenblick kommt ein Bote und berichtet, wie Agnes vertränkt worden ist, mit allen grassen Einzelheiten des Hergangs. -- Albrecht fällt in Ohn¬ macht.
Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragischer Mensch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann. Aber es füllt mich nicht aus. Poesie, Philosophie: bringe nichts fertig. Ich bin ein rüstig marschirender Stelzfußmann.
Ich glaube, mit der bildenden Kunst befasse ich mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferstiche, Galeriegänge auf Reisen in Deutschland genügen eben nicht. Die bildende Kunst ist mir doch so wohlthätig,
Vischer, Auch Einer. II. 15
Der Menſch hat Kreuz und Leiden, Dieß ſchreib' ich mit der Kreiden, Und wer nicht Kreuz und Leiden hat, Der wiſche meinen Reimen ab!
„Wiſch' ab!“ ruft Albrecht einem der Begleiter zu. Dieſer ſträubt ſich — warnt — tiefe Scheue. Der Prinz will ihn zwingen, vergeblich; „verlangt's nicht, Herr! Mir hält ein Geiſt die Hand.“ Albrecht er¬ greift eine Hellebarde und ſchürft den Spruch aus. Im ſelben Augenblick kommt ein Bote und berichtet, wie Agnes vertränkt worden iſt, mit allen graſſen Einzelheiten des Hergangs. — Albrecht fällt in Ohn¬ macht.
Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragiſcher Menſch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann. Aber es füllt mich nicht aus. Poeſie, Philoſophie: bringe nichts fertig. Ich bin ein rüſtig marſchirender Stelzfußmann.
Ich glaube, mit der bildenden Kunſt befaſſe ich mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferſtiche, Galeriegänge auf Reiſen in Deutſchland genügen eben nicht. Die bildende Kunſt iſt mir doch ſo wohlthätig,
Viſcher, Auch Einer. II. 15
<TEI><text><body><div><pbfacs="#f0238"n="225"/><lgtype="poem"><l>Der Menſch hat Kreuz und Leiden,</l><lb/><l>Dieß ſchreib' ich mit der Kreiden,</l><lb/><l>Und wer nicht Kreuz und Leiden hat,</l><lb/><l>Der wiſche meinen Reimen ab!</l><lb/></lg><lb/><p>„Wiſch' ab!“ ruft Albrecht einem der Begleiter zu.<lb/>
Dieſer ſträubt ſich — warnt — tiefe Scheue. Der<lb/>
Prinz will ihn zwingen, vergeblich; „verlangt's nicht,<lb/>
Herr! Mir hält ein Geiſt die Hand.“ Albrecht er¬<lb/>
greift eine Hellebarde und ſchürft den Spruch aus.<lb/>
Im ſelben Augenblick kommt ein Bote und berichtet,<lb/>
wie Agnes vertränkt worden iſt, mit allen graſſen<lb/>
Einzelheiten des Hergangs. — Albrecht fällt in Ohn¬<lb/>
macht.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten<lb/>
Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragiſcher<lb/>
Menſch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann.<lb/>
Aber es füllt mich nicht aus. Poeſie, Philoſophie:<lb/>
bringe nichts fertig. Ich bin ein rüſtig marſchirender<lb/>
Stelzfußmann.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ich glaube, mit der bildenden Kunſt befaſſe ich<lb/>
mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferſtiche,<lb/>
Galeriegänge auf Reiſen in Deutſchland genügen eben<lb/>
nicht. Die bildende Kunſt iſt mir doch ſo wohlthätig,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Viſcher</hi>, Auch Einer. <hirendition="#aq">II</hi>. 15<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[225/0238]
Der Menſch hat Kreuz und Leiden,
Dieß ſchreib' ich mit der Kreiden,
Und wer nicht Kreuz und Leiden hat,
Der wiſche meinen Reimen ab!
„Wiſch' ab!“ ruft Albrecht einem der Begleiter zu.
Dieſer ſträubt ſich — warnt — tiefe Scheue. Der
Prinz will ihn zwingen, vergeblich; „verlangt's nicht,
Herr! Mir hält ein Geiſt die Hand.“ Albrecht er¬
greift eine Hellebarde und ſchürft den Spruch aus.
Im ſelben Augenblick kommt ein Bote und berichtet,
wie Agnes vertränkt worden iſt, mit allen graſſen
Einzelheiten des Hergangs. — Albrecht fällt in Ohn¬
macht.
Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten
Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragiſcher
Menſch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann.
Aber es füllt mich nicht aus. Poeſie, Philoſophie:
bringe nichts fertig. Ich bin ein rüſtig marſchirender
Stelzfußmann.
Ich glaube, mit der bildenden Kunſt befaſſe ich
mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferſtiche,
Galeriegänge auf Reiſen in Deutſchland genügen eben
nicht. Die bildende Kunſt iſt mir doch ſo wohlthätig,
Viſcher, Auch Einer. II. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/238>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.