das schrecklich mühsame Geschäft auf sich nimmt, die schriftlichen Sachen, Taufschein, Leumundszeugniß u. s. w. herbeizuschaffen. Der Ehebruch einer Frau ist haupt¬ sächlich deßwegen schändlich, weil es sich der Ehemann damit so sauer hat werden lassen müssen. Für diese Plackerei sollte er doch billig sein Weib allein haben dürfen.
Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das versäumte Italien! In die Kunst, in's Große der Kunst -- hier mich einspinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles, Alles so styllos liegt, nichts Durchschlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hinderniß für mich, daß es jetzt in politischen Geburts¬ wehen liegt. Eben, weil mich das so zwiespältig bewegt. Bin kein ästhetischer Ruhkopf, gönne der Nation, daß sie wird. Aber gerade weil mich das beschäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und weil ich als Deutscher den Würfler hasse, dem sie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬ trachtung leben will, so weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreisen sollte, wenn ich könnte.
Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeschylos gelesen. Agamemnon. Wie Klytämnestra
das ſchrecklich mühſame Geſchäft auf ſich nimmt, die ſchriftlichen Sachen, Taufſchein, Leumundszeugniß u. ſ. w. herbeizuſchaffen. Der Ehebruch einer Frau iſt haupt¬ ſächlich deßwegen ſchändlich, weil es ſich der Ehemann damit ſo ſauer hat werden laſſen müſſen. Für dieſe Plackerei ſollte er doch billig ſein Weib allein haben dürfen.
Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das verſäumte Italien! In die Kunſt, in's Große der Kunſt — hier mich einſpinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles, Alles ſo ſtyllos liegt, nichts Durchſchlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hinderniß für mich, daß es jetzt in politiſchen Geburts¬ wehen liegt. Eben, weil mich das ſo zwieſpältig bewegt. Bin kein äſthetiſcher Ruhkopf, gönne der Nation, daß ſie wird. Aber gerade weil mich das beſchäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und weil ich als Deutſcher den Würfler haſſe, dem ſie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬ trachtung leben will, ſo weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreiſen ſollte, wenn ich könnte.
Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeſchylos geleſen. Agamemnon. Wie Klytämneſtra
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das ſchrecklich mühſame Geſchäft auf ſich nimmt, die
ſchriftlichen Sachen, Taufſchein, Leumundszeugniß u. ſ. w.
herbeizuſchaffen. Der Ehebruch einer Frau iſt haupt¬
ſächlich deßwegen ſchändlich, weil es ſich der Ehemann
damit ſo ſauer hat werden laſſen müſſen. Für dieſe
Plackerei ſollte er doch billig ſein Weib allein haben dürfen.
Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das
verſäumte Italien! In die Kunſt, in's Große der
Kunſt — hier mich einſpinnen, hier mich mit ganzer
Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben Alles,
Alles ſo ſtyllos liegt, nichts Durchſchlagendes, nichts,
was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein
Hinderniß für mich, daß es jetzt in politiſchen Geburts¬
wehen liegt. Eben, weil mich das ſo zwieſpältig
bewegt. Bin kein äſthetiſcher Ruhkopf, gönne der
Nation, daß ſie wird. Aber gerade weil mich das
beſchäftigt, ich aber dabei nichts zu thun habe und
weil ich als Deutſcher den Würfler haſſe, dem ſie's
verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Be¬
trachtung leben will, ſo weiß ich doch kaum, ob ich
jetzt hinreiſen ſollte, wenn ich könnte.
Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/251>, abgerufen am 24.11.2024.
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