Meine, sie nun zu kennen, diese Schwaben. Schwer¬ blütig, unvermögend, sich aus sich herauszuleben. Wie leichtlebig dagegen selbst unsere mitteldeutschen Stämme! -- Und dabei merkwürdig starkes Stammesgefühl. Meinen, ihre Eigenheiten seien bessere, eignere Eigen¬ heiten, als die Eigenheiten anderer Stämme. Meinen, sie haben die Gemüthlichkeit gepachtet.
Gemüthlichkeit? Es ist jeder Dialekt gemüthlich und behüte uns der Himmel vor Dialektlosigkeit! Sie mögen Recht haben, daß sie durch alle Stände daran halten. Aber es ist auch Gefahr in diesem Hegen, es bildet sich ein behagliches einander Mögen und Gernhaben im engen Kreise, ein Element, aus welchem schwer zum resoluten Aussprechen der Wahrheit auf¬ getaucht wird, wenn sie unangenehm ist. Die Vetter¬ michelsgemüthlichkeit liegt so nahe an der unwahren Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsschliff, mag sie auch am unrechten Orte manchmal grob sein. Man sollte Jedem, der unfrei im Dialekt hängt, auf zwei Jahre den Gebrauch desselben bei Strafe verbieten und nachher wieder erlauben.
Nachdenkliches Wesen, viel Talent, aber stellt das T und L um, bleibt latent. Sind so gescheut wie nur irgend Jemand, haben aber wie die Schildbürger
Vischer, Auch Einer. II. 16
Meine, ſie nun zu kennen, dieſe Schwaben. Schwer¬ blütig, unvermögend, ſich aus ſich herauszuleben. Wie leichtlebig dagegen ſelbſt unſere mitteldeutſchen Stämme! — Und dabei merkwürdig ſtarkes Stammesgefühl. Meinen, ihre Eigenheiten ſeien beſſere, eignere Eigen¬ heiten, als die Eigenheiten anderer Stämme. Meinen, ſie haben die Gemüthlichkeit gepachtet.
Gemüthlichkeit? Es iſt jeder Dialekt gemüthlich und behüte uns der Himmel vor Dialektloſigkeit! Sie mögen Recht haben, daß ſie durch alle Stände daran halten. Aber es iſt auch Gefahr in dieſem Hegen, es bildet ſich ein behagliches einander Mögen und Gernhaben im engen Kreiſe, ein Element, aus welchem ſchwer zum reſoluten Ausſprechen der Wahrheit auf¬ getaucht wird, wenn ſie unangenehm iſt. Die Vetter¬ michelsgemüthlichkeit liegt ſo nahe an der unwahren Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsſchliff, mag ſie auch am unrechten Orte manchmal grob ſein. Man ſollte Jedem, der unfrei im Dialekt hängt, auf zwei Jahre den Gebrauch deſſelben bei Strafe verbieten und nachher wieder erlauben.
Nachdenkliches Weſen, viel Talent, aber ſtellt das T und L um, bleibt latent. Sind ſo geſcheut wie nur irgend Jemand, haben aber wie die Schildbürger
Viſcher, Auch Einer. II. 16
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Meine, ſie nun zu kennen, dieſe Schwaben. Schwer¬
blütig, unvermögend, ſich aus ſich herauszuleben. Wie
leichtlebig dagegen ſelbſt unſere mitteldeutſchen Stämme!
— Und dabei merkwürdig ſtarkes Stammesgefühl.
Meinen, ihre Eigenheiten ſeien beſſere, eignere Eigen¬
heiten, als die Eigenheiten anderer Stämme. Meinen,
ſie haben die Gemüthlichkeit gepachtet.
Gemüthlichkeit? Es iſt jeder Dialekt gemüthlich
und behüte uns der Himmel vor Dialektloſigkeit! Sie
mögen Recht haben, daß ſie durch alle Stände daran
halten. Aber es iſt auch Gefahr in dieſem Hegen,
es bildet ſich ein behagliches einander Mögen und
Gernhaben im engen Kreiſe, ein Element, aus welchem
ſchwer zum reſoluten Ausſprechen der Wahrheit auf¬
getaucht wird, wenn ſie unangenehm iſt. Die Vetter¬
michelsgemüthlichkeit liegt ſo nahe an der unwahren
Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsſchliff, mag ſie
auch am unrechten Orte manchmal grob ſein. Man
ſollte Jedem, der unfrei im Dialekt hängt, auf zwei
Jahre den Gebrauch deſſelben bei Strafe verbieten
und nachher wieder erlauben.
Nachdenkliches Weſen, viel Talent, aber ſtellt das
T und L um, bleibt latent. Sind ſo geſcheut wie
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/254>, abgerufen am 24.11.2024.
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