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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Werth; konventionell gewordenes Gemüth ist kein
Gemüth mehr. Man kann höchstens sagen: denen,
die doch wirklich Gemüth haben, hält ringsherrschender
Gemüthston das Wesen des Gemüths in stets frischer
Erinnerung und dient ihnen zugleich als Mittel, das
Gemüth in angemessener Sprachform auszudrücken.


Noch Abstecher in die Schweiz. Tüchtige Männer
kennen gelernt, brave, gastfreundliche Häuser. -- Schon
auf der Eisenbahn aufgefallen: man sieht mehr ganze
Köpfe als anderswo. Ganz: worüber die zermürbende
Egge der Kultur mit ihren theils nützlichen, theils
charakterebrechenden feinen giftigen Spitzen nicht ge¬
gangen ist. Man hört auch gottlob nicht so viel von
Gemüthlichkeit. Was ich von jungen Leuten aus der
Sphäre wissenschaftlicher Bildung kennen gelernt, frisch,
frei von Ironie. -- Schulen blühen, Dörfern ein
schönes Schulhaus Ehrensache. Reinlichkeit höchst wohl¬
thuend. -- Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr
in's Gesicht gesagt wird, als in unserer verschlissenen
Welt, obwohl oft stroblig rauh; doch wie viel besser
dieß, als nach dem Maul schwätzen! Aber ernste Männer
klagen über den reißenden Fortschritt des Geldgeistes.
Monarchieen, sagt ein Schweizer selbst, ein guter
Republikaner, zu mir, öffnen den menschlichen Leiden¬
schaften mehr Abzugskanäle, zum Beispiel Titel, Adels¬

Werth; konventionell gewordenes Gemüth iſt kein
Gemüth mehr. Man kann höchſtens ſagen: denen,
die doch wirklich Gemüth haben, hält ringsherrſchender
Gemüthston das Weſen des Gemüths in ſtets friſcher
Erinnerung und dient ihnen zugleich als Mittel, das
Gemüth in angemeſſener Sprachform auszudrücken.


Noch Abſtecher in die Schweiz. Tüchtige Männer
kennen gelernt, brave, gaſtfreundliche Häuſer. — Schon
auf der Eiſenbahn aufgefallen: man ſieht mehr ganze
Köpfe als anderswo. Ganz: worüber die zermürbende
Egge der Kultur mit ihren theils nützlichen, theils
charakterebrechenden feinen giftigen Spitzen nicht ge¬
gangen iſt. Man hört auch gottlob nicht ſo viel von
Gemüthlichkeit. Was ich von jungen Leuten aus der
Sphäre wiſſenſchaftlicher Bildung kennen gelernt, friſch,
frei von Ironie. — Schulen blühen, Dörfern ein
ſchönes Schulhaus Ehrenſache. Reinlichkeit höchſt wohl¬
thuend. — Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr
in's Geſicht geſagt wird, als in unſerer verſchliſſenen
Welt, obwohl oft ſtroblig rauh; doch wie viel beſſer
dieß, als nach dem Maul ſchwätzen! Aber ernſte Männer
klagen über den reißenden Fortſchritt des Geldgeiſtes.
Monarchieen, ſagt ein Schweizer ſelbſt, ein guter
Republikaner, zu mir, öffnen den menſchlichen Leiden¬
ſchaften mehr Abzugskanäle, zum Beiſpiel Titel, Adels¬

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[247/0260] Werth; konventionell gewordenes Gemüth iſt kein Gemüth mehr. Man kann höchſtens ſagen: denen, die doch wirklich Gemüth haben, hält ringsherrſchender Gemüthston das Weſen des Gemüths in ſtets friſcher Erinnerung und dient ihnen zugleich als Mittel, das Gemüth in angemeſſener Sprachform auszudrücken. Noch Abſtecher in die Schweiz. Tüchtige Männer kennen gelernt, brave, gaſtfreundliche Häuſer. — Schon auf der Eiſenbahn aufgefallen: man ſieht mehr ganze Köpfe als anderswo. Ganz: worüber die zermürbende Egge der Kultur mit ihren theils nützlichen, theils charakterebrechenden feinen giftigen Spitzen nicht ge¬ gangen iſt. Man hört auch gottlob nicht ſo viel von Gemüthlichkeit. Was ich von jungen Leuten aus der Sphäre wiſſenſchaftlicher Bildung kennen gelernt, friſch, frei von Ironie. — Schulen blühen, Dörfern ein ſchönes Schulhaus Ehrenſache. Reinlichkeit höchſt wohl¬ thuend. — Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr in's Geſicht geſagt wird, als in unſerer verſchliſſenen Welt, obwohl oft ſtroblig rauh; doch wie viel beſſer dieß, als nach dem Maul ſchwätzen! Aber ernſte Männer klagen über den reißenden Fortſchritt des Geldgeiſtes. Monarchieen, ſagt ein Schweizer ſelbſt, ein guter Republikaner, zu mir, öffnen den menſchlichen Leiden¬ ſchaften mehr Abzugskanäle, zum Beiſpiel Titel, Adels¬

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/260>, abgerufen am 24.11.2024.