Vielerlei, unter Anderem, daß ein solches Volk, das seine Götter so sich dachte, so bildete, weil es so war, nicht lang bestehen konnte: "auch das Schöne muß sterben". -- Besagt mehr, mehr, leise Klage, die durch alles, alles Leben geht. Aber einige dieser Ge¬ stalten sind noch anders, sind ausdrücklich traurig. Da ist nun der Eros-Torso und der ist mein Liebling. Selig schöner Halbjünglingknabe, das Antlitz unter dem Lockenwald niederneigend in wehmuthvollem, ahnen¬ dem Träumen. Was meinst du damit, Meister Praxiteles? Ist Eros dem Tode verwandt? O ja, er ist es, und nicht bloß, weil ein Ich sterben muß, um im andern aufzugehen. Liebe ist tödtlich schön. Ihr innigster Wunsch kann werden: in Einem Moment sich geliebt wissen und sterben dürfen.
Heute wieder Sixtina. Gewaltensturm im jüngsten Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl! Aber M. Angelo ist eben nicht mein Mann. Verstehe zwar seinen hohen Zorn, das Herum- und Auffahren seiner Geistmenschen gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde. Dabei aber nun diese geschwollene Ueberstärke und die Be¬ gierde, die Zeichnungskunst zu zeigen, und zwischen dem schön Großen das Geschmacklose, das ist und bleibt widerwärtig. Shakespeare -- dem so verwandt -- ist in seinen Absurditäten unschuldiger. Auch in den
Vielerlei, unter Anderem, daß ein ſolches Volk, das ſeine Götter ſo ſich dachte, ſo bildete, weil es ſo war, nicht lang beſtehen konnte: „auch das Schöne muß ſterben“. — Beſagt mehr, mehr, leiſe Klage, die durch alles, alles Leben geht. Aber einige dieſer Ge¬ ſtalten ſind noch anders, ſind ausdrücklich traurig. Da iſt nun der Eros-Torſo und der iſt mein Liebling. Selig ſchöner Halbjünglingknabe, das Antlitz unter dem Lockenwald niederneigend in wehmuthvollem, ahnen¬ dem Träumen. Was meinſt du damit, Meiſter Praxiteles? Iſt Eros dem Tode verwandt? O ja, er iſt es, und nicht bloß, weil ein Ich ſterben muß, um im andern aufzugehen. Liebe iſt tödtlich ſchön. Ihr innigſter Wunſch kann werden: in Einem Moment ſich geliebt wiſſen und ſterben dürfen.
Heute wieder Sixtina. Gewaltenſturm im jüngſten Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl! Aber M. Angelo iſt eben nicht mein Mann. Verſtehe zwar ſeinen hohen Zorn, das Herum- und Auffahren ſeiner Geiſtmenſchen gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde. Dabei aber nun dieſe geſchwollene Ueberſtärke und die Be¬ gierde, die Zeichnungskunſt zu zeigen, und zwiſchen dem ſchön Großen das Geſchmackloſe, das iſt und bleibt widerwärtig. Shakeſpeare — dem ſo verwandt — iſt in ſeinen Abſurditäten unſchuldiger. Auch in den
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Vielerlei, unter Anderem, daß ein ſolches Volk, das
ſeine Götter ſo ſich dachte, ſo bildete, weil es ſo war,
nicht lang beſtehen konnte: „auch das Schöne muß
ſterben“. — Beſagt mehr, mehr, leiſe Klage, die
durch alles, alles Leben geht. Aber einige dieſer Ge¬
ſtalten ſind noch anders, ſind ausdrücklich traurig. Da
iſt nun der Eros-Torſo und der iſt mein Liebling.
Selig ſchöner Halbjünglingknabe, das Antlitz unter
dem Lockenwald niederneigend in wehmuthvollem, ahnen¬
dem Träumen. Was meinſt du damit, Meiſter Praxiteles?
Iſt Eros dem Tode verwandt? O ja, er iſt es, und
nicht bloß, weil ein Ich ſterben muß, um im andern
aufzugehen. Liebe iſt tödtlich ſchön. Ihr innigſter
Wunſch kann werden: in Einem Moment ſich geliebt
wiſſen und ſterben dürfen.
Heute wieder Sixtina. Gewaltenſturm im jüngſten
Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl! Aber M. Angelo
iſt eben nicht mein Mann. Verſtehe zwar ſeinen hohen
Zorn, das Herum- und Auffahren ſeiner Geiſtmenſchen
gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde. Dabei
aber nun dieſe geſchwollene Ueberſtärke und die Be¬
gierde, die Zeichnungskunſt zu zeigen, und zwiſchen
dem ſchön Großen das Geſchmackloſe, das iſt und bleibt
widerwärtig. Shakeſpeare — dem ſo verwandt —
iſt in ſeinen Abſurditäten unſchuldiger. Auch in den
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/281>, abgerufen am 26.11.2024.
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